Norbert Eisenberg, Boyden Interim Management 100 Tage im Amt – Fehler und Fallstricke für Interim Manager

Der von 1933 bis 1945 amtierende US-Präsident Franklin Delano Roosevelt (1882-1945) prägte die Formulierung der „First 100 days“. In seinen ersten einhundert Tagen brachte er über 70 Gesetze durch den Kongress. (Bild: picture alliance / Photo12/Ann Ronan Picture Librar)
Sorgfalt im Auswahlprozess
Da für ein „Hereinfinden“ in die Aufgabenstellung, Branche und das Geschäftsmodell des Klientenunternehmens kaum Zeit ist, ist der wichtigste Schritt für ein Gelingen der 100 Tage und des Einsatzes insgesamt für beide Seiten ein sorgfältiger Auswahlprozess.
Interim Manager sollte man nur werden, wenn man nicht den finanziellen Druck hat, den nächstangebotenen Auftrag anzunehmen – und als Auftraggebende sollte man Sorgfalt und Zeit in den Auswahlprozess investieren.
Die wichtigsten Fragen sind an dieser Stelle:
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Reichen die Erfahrungen in Branche, Funktion, Verantwortungsumfang, derzeitigem Geschäftsmodell und ggf. neu angestrebten Geschäftsmodell?
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Gibt es bereits einen z. B. von einem Berater definierten Plan – wenn ja, sollte sich der Interim Manager vorab vergewissern, dass er diesen als zielführend akzeptiert. Es gibt unter Umständen mehrere Wege zum Ziel, aber der Lotse sollte an den zu steuernden Kurs glauben. Gerade in Restrukturierungssituationen kann es sehr kontraproduktiv sein, wenn Interim Manager und vorher eingeschalteter Berater nicht zum selben Konzept stehen.
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Passt der Manager von der Person her in das Umfeld? Vor einer Entscheidung sollten sich beide Seiten ausreichend kennengelernt haben. Trotz aller fachlichen Übereinstimmungen signalisiert ein schlechtes Bauchgefühl am Anfang – auf welcher Seite auch immer –, dass das notwendige Vertrauensverhältnis nicht zustande kommen wird.
Die Aufgabenstellung und Erwartungen klar definieren
Interim Manager werden gerufen, um Veränderungen sicher zu gestalten, Transformationsprozesse erfolgreich zu durchlaufen. Das ist nicht immer bei allen Betroffenen beliebt. Es ist daher am Anfang eines Auftrages wichtig, dass die Aufgabenstellung eines Interim Managers und die Erwartungen klar definiert und kommuniziert sind, und dass Auftraggebende – ob Gesellschafter, Aufsichts- oder Beirat, Geschäftsführung – je nach Position, hinter dem Auftrag und dem ausführenden Manager stehen. Die wesentlichen Stakeholder müssen informiert sein und ggf. auch an der Entscheidung über den Interim Manager mitgewirkt haben. Zum Beispiel betrifft das in Restrukturierungssituationen oft die Finanziererseite: Interim Manager müssen die involvierten Stakeholder und ihre Interessenlage verstehen und ihre Erwartungen berücksichtigen.
In einer persönlichen Vorstellung durch den Auftraggeber wird die Unterstützung am klarsten kommuniziert – in Zeiten von Remote Work wie in der Corona-Pandemie müssen hier geeignete Tools gefunden werden. Wir haben beispielsweise auch schon sehr persönliche Videos von Managern gedreht, damit diese im Unternehmen auch als Person „ankommen“.
Der Start im Unternehmen
Interim Manager sollten Vertrauen erzeugen, in sie demonstrieren, dass sie das Geschäft des Unternehmens verstehen – es aber vermeiden, vorschnell mit Handlungskonzepten aufzuwarten. Offene und ausführliche persönliche Gespräche sollten mit allen wesentlichen Mitarbeitern, den für seine Arbeit relevanten Funktionsträgern und Stakeholdern stattfinden. Hierbei müssen sie Erwartungshaltungen abholen und ein effizientes „Management of Expectations“ betreiben.
Bereits vor dem Start sollten Manager definiert haben, welche Informationen sie benötigen und dafür sorgen, dass diese baldmöglichst nach ihrer Tätigkeitsaufnahme zur Verfügung stehen, sodass sie aus den sachlichen Informationen in Verbindung mit den Ergebnissen der persönlichen Gespräche, ggf. auch vorliegenden Beratungskonzepten eine Bestandsaufnahme durchführen können. Hierfür besteht wenig Zeit, höchstens einige Wochen zur Verfügung. Dann müssen die Ergebnisse mit den betroffenen diskutiert und abgeglichen werden, um auf dieser Basis ein Vorgehenskonzept zu entwickeln. Dieses wird einen systematisch aufgebauten Maßnahmenplan, eine Zeitplanung mit klar definierten Meilensteinen und Ergebnissen beinhalten.
Hilfreich ist es dabei, wenn Interim Manager ein Toolkit für die Bestandsaufnahme mitbringen, auch Analyse- und Reporting-Werkzeuge, die idealerweise an die Informationssysteme des Klienten andocken können.
Auch erfahrene Interim Manager machen bisweilen den Fehler, zu selbstsicher aufzutreten und damit Mitarbeiter zu demotivieren. Auf konstruktiven Widerspruch sind Interim Manager aber besonders angewiesen, da sie unmöglich das Unternehmen, seine Lieferanten und Kunden in allen relevanten Facetten kennen können und ohne solche Korrekturinformationen in vermeidbare Fehler laufen.
Für diese gesamte Start- und Bestandsaufnahmephase haben Interim Manager weit weniger als die im Titel zitierten 100 Tage zur Verfügung, auch in komplexen Fällen selten mehr als sechs Wochen.
Bis dahin müssen allerdings nicht nur Maßnahmenpläne, Unternehmensplanungen und Meilensteine vorliegen, sondern es muss auch die Organisation für den Weg gewonnen sein und ggf. eine effiziente Projektorganisation, in der Regel auch ein Programm-Management installiert sein. In dieses sind oft auch weitere Berater – Strategieberater, Restrukturierungsberater, spezialisierte Unternehmensberater, Rechtsberater und andere – einzubinden, je nach Lage des Falls. Bei rein operativen Aufgabenstellungen werden Interim Manager in den meisten Fällen aber vor allem mit den Mitarbeitendne des Unternehmens ihr Programm auf den Weg bringen – Chance auch, um zukünftige Leistungsträger des Unternehmens zu identifizieren und zu entwickeln.
Interim Management als Chance für einen „New Deal“
Von Interim Managern wird also deutlich mehr in seinen ersten 100 Tagen erwartet als man bei uns gewöhnlich mit diesem Begriff assoziert. Allerdings: Die „First 100 Days“ wurden vom US-amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt geprägt, der in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit den für die Entwicklung der Vereinigten Staaten entscheidenden „New Deal“ durchgesetzt hat. Auch der Interim Manager wird also in dieser Zeit weit über das „Ankommen“, seine Bestandsaufnahme und Konzeptentwicklung hinausgehen – bis hin zu einem Entwurf für ein neues Geschäftsmodell – New Deal!
Hier zusammenfassend die wesentlichen Aufgaben in dieser Phase:
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Vertrauen aufbauen
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Durch persönliche Kompetenz und Integrität, offene, faire und klare Kommunikation zum richtigen Zeitpunkt schaffen, Verlässlichkeit in Sagen und Tun beweisen
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Sorgfältige und vorurteilsfreie Bestandsaufnahme, Verständnis der Stakeholder-Interessen und deren Berücksichtigung bei der Entwicklung des Vorgehens- und Maßnahmenplans
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Definition von Bereichen, in denen schnelle Erfolge möglich sind, Vermitteln von Freude und Motivation an der Veränderung
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Zuverlässiges Erreichen der definierten Etappenziele
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Wenig formale Autoritätsdemonstration, viel Charisma!
Über Norbert Eisenberg

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