#1Blick vom Beratungsforscher 400.000 neue Consulting-Arbeitsverträge bis 2030

Der War for Talents ist schon länger ausgerufen und auch Aufforderungen, als Beratungshaus an der Arbeitgeberattraktivität zu arbeiten, sind verkündet. So weit, so gut – zurück zur Tagesordnung, denkt sich mancher. Das wäre aber kurzsichtig. Manchmal ist der Blick auf die Entwicklungen im Großen notwendig, um die Dringlichkeit für Handlungen im Kleinen zu realisieren. Dieser #1Blick von Prof. Deelmann zeigt die Dimension auf, in der neue Consulting-Einstellungen und Arbeitsverträge getätigt werden müssten und gibt Tipps für den Umgang.

Pilger am Weltjugendtag 2005 (Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Felix Heyder)

Über 40.000 Pilger feierten 2005 einen der drei Eröffnungsgottesdienste des Weltjugendtages in Bonn. Zehnmal so groß wird der Bedarf an Mitarbeitenden für die Consultingbranche bis 2030 sein. (Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Felix Heyder)

Great Resignation, Brain Drain & Co. 

Der War for Talents ist im Consulting ja schon länger ausgerufen und die mit ihm verknüpften Personalprobleme werden zuletzt durch die postulierte Great Resignation ergänzt. Auch den Brain Drain gab es häufiger: Mal hat Deutschland als Quelle und mal als Senke gedient. All dies führt dazu, dass das Personalmanagement für Beratungsunternehmen unter hohem Druck steht. Diese Entwicklungen sind jedoch nicht neu und weder mangelt es an warnenden Stimmen noch an Handlungsanregungen, um als Beratungshaus attraktiver zu werden

Verdopplung der Consultant-Zahl 

Neben der (mehr oder minder bekannten) Empfehlungslage für die einzelnen Beratungshäuser sind aber auch die Auswirkungen auf die Branche insgesamt von Interesse. Beispielsweise die Frage, wie groß der Gesamtbedarf an Consultants sein wird? Hierzu hilft im ersten Schritt eine einfache und sprichwörtliche Back-of-an-envelope-Abschätzung. 

Als Ausgangsbasis dienen die 162.500 aktiven Consultants, die der Branchenverband BDU in seiner jüngsten Marktstudie für das Jahr 2021 ermittelt hat. Dies lässt sich kombinieren mit einem moderaten Marktwachstum von acht Prozent pro Jahr, das – geht man davon aus, dass Preisbereinigungen, Honorarsteigerungen und ähnliche Effekte sich mehr oder minder gegenseitig ausgleichen – mit einem Mengen- bzw. Personalwachstum korrespondiert. Für 2022 würde sich so ein Plus von 13.000 Consultants ergeben. Eine Fortschreibung der Zahlen bis 2030 führt zu 325.000 aktiven Consultants und damit zu einer Verdopplung gegenüber dem aktuellen Wert. 

Marktwachstum trifft Fluktuation  

Um die Zahl der notwendigen Einstellungen (bzw. notwendigen neuen Arbeitsverträge) zu ermitteln, reichen diese Wachstumszahlen aber nicht aus. Es müssen zusätzlich Fluktuationseffekte berücksichtigt werden. Der einfache Durchschnitt der Fluktuationsquoten der letzten acht Jahre lag bei gut 12 Prozent; für 2022 ließe sich das in knapp 20.000 Beraterinnen und Berater übersetzen, die ihre Beratungen verlassen.  

Allerdings: Nicht alle Consultants, die aus einer Beratung ausscheiden, verlassen auch die Branche. Für die Abschätzung wird angenommen, dass ein Drittel im System bzw. in der Branche bleibt und zwei Drittel die Branche verlassen (Für 2022 wären dies: Knapp 6.600 wechseln von einer Beratung zur nächsten, knapp 13.400 gehen in die Industrie, wählen die Selbständigkeit etc.). 

Aus den beiden Blöcken der wachstumsbedingten sowie fluktuationsbedingen Neueinstellungen resultiert dann allein für 2022 ein Bruttoeinstellungsbedarf von rund 33.000 Consultants. Werden die 6.600 internen Wechsler in Abzug gebracht, bleiben noch knapp 26.400 branchenfremde Neueinstellungen. 

Gesamteinstellungen und Branchenneuzugänge 

Eine Fortsetzung der Rechnung bis 2030 zeigt, dass für kumuliert gut 410.000 Beraterinnen und Berater neue Arbeitsverträge ausgestellt werden müssen. Diese Summe übersteigt die Zahl der heute aktiven Consultants um den Faktor 2,5. Auch nach dem Abzug der brancheninternen Wechsler von diesem Brutto-Wert blieben noch rund 330.000 Consultants übrig (ungefähr Faktor 2), die neu für die Branche gefunden und erstmalig eingestellt werden müssen. 

Der guten Form halber sollte zu der Abschätzung nochmal unterstrichen werden, dass es sich um eine grobe Kalkulation (Back-of-an-envelope) handelt, die mit Vergangenheitswerten arbeitet und beispielsweise Möglichkeiten einer Disruption (die schon seit spätestens 2013 angekündigt ist) unberücksichtigt lässt. Aber sie soll dabei helfen, einen groben Überblick beziehungsweise ein Gefühl für die Größenordnung der Entwicklung zu bekommen.

Handlungsimpulse 

Jede Beratung muss die Frage, was diese Gesamtzahlen nun bedeuten, natürlich individuell beantworten. Dennoch sollen zum Abschluss ein paar Impulse nicht fehlen: 

  • Mittlere und größere Häuser kombinieren vermutlich diese Daten mit den Effekten des demografischen Wandels und stellen dann zusätzlich fest, dass in 2030 auf jeden Einsteiger ins Arbeitsleben zwei Aussteiger (Neu-Rentner) kommen. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, wie das Geschäft aufrechterhalten und dem eigenen Wachstumszwang genüge getan werden kann
  • Für die klassischen Einzelberaterinnen und Einzelberater scheint die Situation hingegen relativ komfortabel: Wenn sie weiterhin alleine arbeiten wollen, können die Daten zügig beiseitegelegt werden. Gegebenenfalls mag man sich über das Anwachsen der Consulting-Familie freuen. 
  • Wenn der Personalbedarf steigt, sich der Ressourcenpool aber reduziert, dann ist es Zeit, die Recruiting-Maschinen zu ölen. Das fällt größeren Häusern vermutlich leichter als kleineren, da sie mit einer anderen Ausgangsbasis operieren. 
  • Auf der anderen Seite können sich Interessenten freuen. Egal, ob es um Experienced Hires oder New Hires geht: Die angenehmen Effekte eines Angebotsmarktes warten auf die einzelnen Consultants und Interessenten! 
  • Beratungsintern wird gleichzeitig das Wissensmanagement wichtiger. Rein rechnerisch verlässt jeder der heute aktiven Consultants in den nächsten sechs Jahren sein Unternehmen – und nimmt das Wissen exklusiv mit, soweit es nicht vorher sinnvoll aufbereitet wurde. 
  • Kundinnen und Kunden wiederum sind in diesem Umfeld gut beraten, bei den Consultant-Profilen für einzelne Projekte genau hinzusehen, wer angeboten wird. Fixierte Parameter, an denen beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Karrierestufe abgelesen werden kann, sind für mehr Sicherheit im Beschaffungsprozess zu empfehlen. 
  • Und schließlich kann der allgemeine und regelmäßig wiederkehrende Jubel über den jährlichen Rekord bei Einstellungszahlen einzelner Beratungen etwas gedämpft werden. Es wird schlicht und ergreifend zur Pflicht, beziehungsweise zur betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit, im laufenden Jahr mehr Consultants einzustellen, als im letzten – und im nächsten Jahr mehr, als in diesem.

Über Thomas Deelmann

Thomas Deelmann
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium“ (2021, Erich Schmidt Verlag, 49,95 Euro).

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