Prof. Thomas Deelmann, Beratungsforscher und Kolumnist "Alle 11 Minuten …"

Wer darf sich eigentlich alles Berater nennen? Darf sich prinzipiell jede Person Consultant nennen? Ist der Berufsbegriff irgendwie geschützt?
Thomas Deelmann: Die Antwort ist ganz pragmatisch: Ja und nein! Ja, denn jeder darf sich in Deutschland Beraterin, Unternehmensberater oder Consultant nennen. Und damit gleichzeitig: Nein, der Begriff ist nicht geschützt.
Das ist doch fantastisch, oder? Die Eintrittsbarrieren in den Markt sind so niedrig, dass man mit einer guten Idee und einem tollen Angebot direkt mitmischen kann. Dem Weg vom Tellerwäscher zum Millionär – oder vielleicht sollte man hier sagen: Vom Studienabbrecher zum Consulting-Millionär – steht nichts entgegen.
Klar ist aber auch: Die Gefahr, dass Probleme auftauchen, steigt natürlich. Das kann von Missverständnissen über Leistungsfähigkeit des Consultants bis zur Fehlinterpretation von Analysen und schlecht laufenden Implementierungen gehen. Das ist dann die andere, die nachteilige Seite einer ungeschützten Berufsbezeichnung und eines kaum regulierten Berufes.
Welche Möglichkeiten der Zertifizierung gibt es?
Thomas Deelmann: Guter Punkt, gute Frage: Der Gedanke an Zertifikate et cetera liegt bei den Herausforderungen durchaus nahe.
Mir fallen spontan drei Kategorien ein. Die könnte man etwas überspitzt als „die beste“ und „die besiegelte“ Form sowie „die Abkürzungsform“ der Zertifizierung bezeichnen. Was meine ich damit?
Die „beste Form“ der Zertifizierung ist streng genommen keine Zertifizierung. Hier müsste man wohl eher von Reputation sprechen. Eine gute Reputation gibt es meist nur für gute Leistung und die ist am Markt hart erarbeitet. Leider ist aber oft total unklar, wie man eine gute Reputation erhält und was genau das bedeutet.
Hier setzt die „besiegelte Form“ der Zertifizierung an. Der BDU vergibt zum Beispiel das Siegel des CMC, des „Certified Management Consultant“. Um ein CMC zu werden, muss ich einen ganz klaren Prüfprozess durchlaufen und bestehen. Hierbei werden Qualifikation, Erfahrungen, Know-how et cetera abgeprüft. Das Ganze ist sogar in einen internationalen Rahmen eingebunden. Den CMC gibt es also nicht nur in Deutschland, sondern er ist weltweit bekannt.
Und dann gibt es noch die Möglichkeit, ein Siegel durch ein Signet zu ersetzen. Die Nutzungsrechte für das passende Logo des „Super-Consultant“ kann ich als Beratung (meist) kostenpflichtig erwerben, wenn ich mich bei einem Wettbewerb anmelde und dort ausgewählt wurde, da ich in irgendeiner Kategorie zu den tollsten oder schönsten Consultants gehöre.
Thema Beraterpersönlichkeit: Gibt es Ihrer Einschätzung nach so etwas wie eine Beraterdisposition? Welche Menschen werden besonders häufig Berater?
Thomas Deelmann: Vielleicht gab es die mal, aber das sollten wir heute differenzierter betrachten.
Sie kennen vielleicht den Werbeslogan mit den „11 Minuten“? So ist es in Deutschland auch im Consulting: Alle 11 Minuten findet eine Beraterin oder ein Berater eine Beratung. Das ist eine so gewaltige Menge von Menschen, da will man nicht mehr über einen Kamm scheren. Zumal es auch eine riesige Bandbreite an Beratungen gibt, die teilweise komplett konträre Vorstellungen von ihrem Beruf haben, Vorgehensweisen pflegen und natürlich auch ganz unterschiedliche Menschen suchen.
Was man aber schon sagen kann ist, dass die einzelnen Beratungsunternehmen durchaus darauf achten, wen sie einstellen. Sie suchen einen gewissen Typ von Menschen. Jemanden, der in ihre Kultur passt. Das machen andere Organisationen natürlich auch, aber bei Beratungen scheint mir das ausgeprägter zu sein.
Gibt es Studien dazu, warum Berater den Beruf wählen? Liegt es nur am Geld?
Thomas Deelmann: Nein, nur am Geld wird es vermutlich nur in Ausnahmen liegen. Auch die gibt es, klar. Einen konkreten Fall habe ich direkt vor Augen.
Aber: Viele Interessenten haben das Gehaltsniveau vermutlich immer im Hinterkopf – und hier wohl auch eher die öffentlichkeitswirksamen Zahlen von den renommierteren Beratungen, die dann eher höher liegen. Aber wenn man nicht total naiv an die Berufswahl geht, dann kann man schnell feststellen, dass den höheren Gehältern auch oftmals höhere Arbeitsbelastungen gegenüberstehen.
Wir können aber auch einen Schritt tiefer gehen und uns ansehen, worauf Absolventen bei der Consulting-Arbeitgeberwahl achten. Da zeigen die Studien, dass die Unternehmenskultur sowie die Kolleginnen und Kollegen ganz oben auf der Liste stehen. Das Einstiegsgehalt und die Gehaltsentwicklung landen erst irgendwo im Mittelfeld.
Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach selbst Erfahrungen auf Kundenseite zu sammeln, bevor man Beraterin oder Berater wird?
Thomas Deelmann: Das ist für die einen elementar wichtig – und für die anderen so egal, wie der sprichwörtliche Sack Reis. Und die Frage, auf welcher Seite man steht, lässt sich unter anderem durch das Beratungsverständnis und die Art der geplanten Leistungserbringung beantworten. Lassen Sie mich zwei oder drei Beispiele zur Verdeutlichung geben. Wenn ich mich als Einzelberater im Bereich der Restrukturierung- und Turnaround-Beratung etablieren will, dann komme ich ohne eigenen Erfahrungsschatz vermutlich nicht weit. Sehe ich mich hingegen als Systemische Beraterin, dann gebe ich ja explizit keine Ratschläge und muss auch das Ziel nicht kennen und nicht vordenken oder die Zielsituation an anderer Stelle schon einmal selber erlebt oder bearbeitet haben. Hier ist es aber vielleicht ganz hilfreich, sich in die Umgebung des Kunden hineinversetzen zu können, um mit den richtigen Wörtern, also dem passenden Vokabular, zu arbeiten. Die zahlenmäßig wohl größte Gruppe an Beratungseinsteigern fängt bei den großen und mittelgroßen Beratungshäusern und Consulting-Konzernen an. Hier mag es sogar sehr gut sein, wenn man als unbeschriebenes Blatt ins Unternehmen kommt, da man noch formbar und anpassbar ist. Alles Wichtige lernt man dann durch meist hausinterne Schulungen und Trainings-on-the-Job. Und bei der praktischen Arbeit ist es ja nun auch nicht so, dass man ab Tag 1 bereits als Junior Consultant der persönliche Chef-Berater einer DAX-Vorständin wird. Das ganze Geschäfts- und Interaktionsmodell der größeren Beratungshäuser ist derzeit auf diese Art ausgelegt.
Welche Studienfächer erleichtern den Einstieg ins Berater-Sein?
Thomas Deelmann: Ganz pauschal gesagt: Die BWL ist für viele noch immer eine gute Wahl, gerne auch als Bindestrich-Fach, also Wirtschafts-Informatik, Wirtschafts-Ingenieurwesen, Wirtschafts-Psychologie und so weiter. Aber auch hier gilt: Das bildet eher den Mainstream mit seinen Massenbedürfnissen ab. Und auch hier ist es so, dass in den Beratungen häufig der Fokus nicht auf einem Studienfach liegt, sondern auf den ganzen Kandidaten beziehungsweise die ganze Kandidatin geschaut wird: Was für eine Type ist das, wie tickt er oder sie, wie geht er oder sie mit Problemen um und reagiert auf gewisse Situationen.
Da ist dann das Studienfach nicht mehr als Auswahlkriterium relevant, sondern etwas, mit dem ich als Bewerber vielleicht etwas sicherer in einen Bewertungsprozess starte, weil ich von vielen Dingen und Fragestellungen, die als Berater auf mich zukommen, zumindest schon mal etwas gehört habe.
Welche Tipps würden Sie Berater-Novizen mit auf den Weg geben, um in der Berater-Welt Fuß zu fassen?
Thomas Deelmann: Schwierig; ich will nicht schon wieder mit „Es kommt darauf an, da es ja so viele unterschiedliche Beratungen gibt“ antworten. Daher versuche ich es mal damit, dass ich empfehle, über Mut und Demut nachzudenken. Mut, da man schon eine exponierte Rolle in den Beratungs-Settings einnimmt und manchmal über seinen Schatten springen oder sich selbst einen kleinen Schubs geben muss. Und eine Portion Demut vor den eigenen Aufgaben, vor den Erfahrungen und Leistungen der anderen, insbesondere der Kunden, die ja nicht alle Anfänger in ihrem Metier sind und gewisse Dinge aus gewissen Gründen getan haben, ist sicherlich auch nicht verkehrt.
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