Die #BeraterBeraterin Authentizität und Storytelling: Ein größerer Balanceakt, als viele denken

Hatte einfach Spaß auf einer Party, das darf aber nicht sein: Finnlands Ministerpräsidentin sieht sich wegen eines geleakten Feiervideos schweren Vorwürfen gegenübergestellt. (Bild: picture alliance / EPA | KIMMO BRANDT)
Was haben ein verheulter CEO, Finnlands feiernde Ministerpräsidentin, ein Top-Manager, der eine Alpenüberquerung mit dem Rennrad vortäuscht und die Luxusuhr einer Klientin gemeinsam?
Den nicht trivialen Balanceakt rund um Authentizität und Storytelling!
Beides sind wichtige Spielarten der Kommunikation. Aber falsch interpretiert, leider der sichere Weg zum Reputationsschaden.
Aber von Anfang an
Storytelling ist unbestritten eine der ältesten Erzählarten der Welt. Auch im Business macht diese absolut Sinn. Wer Storytelling gezielt einsetzt, wird nahbar. Kunden-Beziehungen entstehen, die rein auf Fakten-Basis nicht vorstellbar wären.
Das gleiche gilt für Authentizität. Es macht Entscheider ‚menschlicher‘. Es öffnen sich Gesprächsebenen, die bei Unternehmensbroschüren oder Power Point-Präsentationen verschlossen blieben.
Der Haken
Brauchen – und zum Teil leider auch für Tränendrüsen-Dramen „miss-brauchen“ – plötzlich alle durch Storytelling das Erzählschema der Heldenreise, wird es schnell langweilig.
Das gleiche gilt für eine misinterpretierte oder spaltende Authentizität. Am Ende bringt sie mehr Feinde als Freunde ein.
Vier aktuelle Beispiele
Virale Authentizität: Der weinende CEO

Braden Wallake, CEO von HyperSocial, postete: “This will be the most vulnerable thing I'll ever share.”. Er ging als „The Crying CEO“ – der weinende Vorstandschef – viral.
Und das nicht nur auf LinkedIn, sondern auch in Leitmedien wie Washington Post oder FAZ.
Das eine Lager der knapp 11.000 Kommentierenden warf Wallake vor, er sei unsensibel, narzisstisch und ‚cringe‘. Angesichts von mehr als 68.000 entlassenen Mitarbeitern im Start-up-Bereich sahen viele in seinem Post den unpassenden Fokus auf dem eigenen Schmerz statt auf den entlassenen Mitarbeitern. "Das wirkt unbedarft, selbstverliebt und unauthentisch".
Das andere Lager lobte ihn für seine Verletzlichkeit, Menschlichkeit sowie ‚raw honesty‘.
Meine ehrliche Meinung:
Für mich ist das eine Grenzüberschreitung beim öffentlichen Kommunizieren von Business-Entscheidungen und Fehleinschätzungen.
Nicht, dass man mir wie einem geschätzten Kollegen aus Booz-Tagen „toxic masculinity“ vorwirft. Natürlich darf jeder – gleich welchen Genders, Levels oder Alters – weinen!
Aber dieses auf LinkedIn zu posten, ist der falsche Weg. Im Worst Case unterstellt man einem billiges click baiting, sprich die Lust auf Reichweite durch die Kommerzialisierung des Leids Dritter.
Die spaltende Authentizität: Die groovende Ministerpräsidentin Sanna Marin
Das geleakte Video der groovenden Ministerpräsidentin Sanna Marin entfachte in klassischen Leitmedien ebenso wie in Social Media ein Feuer, das seinesgleichen sucht. Tausende Menschen bekundeten ihre Solidarität á la „Brave Mädchen kommen in den Himmel, rockende überall hin“.
Der Hashtag #SolidaritywithSanna trendete und zeigte Videos tanzender Social Media-User rund um den Globus. Rein exemplarisch: Der Post von Lea-Sophie Cramer, Multigründerin und Investorin. Ihr Tanz-Video kommentiert sie mit der Aussage „Man darf Politiker:in sein und gleichzeitig Mensch bleiben. Das eine tun, ohne das andere zu lassen.“
Ihre Kritiker – besonders in Finnland – fanden es der Rolle unangemessen. Da Marin Alkoholgenuss zugegeben hatte, sahen die oppositionellen Christdemokraten gar die Sicherheit des Landes in Gefahr. Schließlich müsse eine Regierungschefin 24/7 ‚handlungsfähig‘ sein.
Um Ruhe in das – auch von russischen Trollen angeheizte – Geschehen zu bringen, unterzog sich Marin zwischenzeitlich einem Drogentest. Er war negativ.
Sanna Marins Statement „Ich hoffe, dass es im Jahr 2022 akzeptiert wird, dass auch Entscheidungsträger tanzen, singen und zu Partys gehen.“ unterstreicht die Krux und den Gender Bias. Warum sie ihre Handlungen als verhaltensauffälliger oder gar fragwürdiger machten als feiernde männliche Politiker wie Trump, Johnson oder Orbán, ist offen.
Denn eigentlich…
- … zeigt das Video nur eine 36jährige, die tanzt.
- … ist es ein positives Symbol, dass sich eine Gesellschaft wandelt und sich dieses auch in der Politik reflektiert – eben á la Thomas Jefferson: “The government you elect is the government you deserve.”
- … verdeutlicht es, dass man/frau auch in hohen politischen Funktionen trotz aller Krisen ein Privatleben hat.
Kurzum:
Normalität, Sichtbarkeit, Identifikationspotential für alle mit Politikverdrossenheit sowie Authentizität – aber eben eine, die spaltet.
Die strategisch kuratierte Authentizität: Die Luxusuhr meiner Klientin
Jüngst zeigte mir eine #MBS-Klientin ihre neuen Business-Portraits. Darauf trug die Top-Managerin, die lange erfolgreich Unternehmen aufgebaut hat, eine Luxusuhr.
Als Schmuckliebhaberin habe ich gejubelt. Als Positionierungsexpertin habe ich trocken geschluckt.
Wir bauen sie gerade als starke Experten-Marke auf. Leider wird sie auch Journalisten treffen, die sich an Nebensächlichkeiten aufhängen. Ich habe ihr das Beispiel eines bekannten Wirtschaftsmagazins skizziert. Dieses „philosophierte“ in einem Business-Feature zu Tina Müller über ihre Roger Vivier-Schuhe sowie die Stoffqualität ihres Mantels.
Daraufhin haben wir uns – quasi präventiv – für Fotos ohne Uhr entschieden.
Mein flankierender LinkedIn-Post fragte „Richtige oder falsche Beratungsentscheidung!?“. Er ging viral. Die eine Hälfte konnte meinen Rat im Sinne der „sicheren“ PR-Positionierung nachvollziehen. Die andere Hälfte kritisierte mich ob meines Verstoßes gegen das Authentizitätsdiktat.
Wie in meiner #BeraterBeraterin-Kolumne „Authentizität: Warum der Hype darum im Marketing gefährlich ist“ im November 2020 beschrieben:
Manch‘ einer übersieht die mögliche Authentizitätsfalle. Jede, der medial unbeschadet auf Top-Managementlevel reüssieren will, benötigt eine professionelle Haltung sowie eine dem Anlass und Kontext entsprechende – eben kuratierte – Authentizität.
Wie sagen Medientrainer: „Lassen Sie Ihr Inneres, wo es ist!“ Es lohnt sich also, den feinen Unterschied zwischen „authentisch wirken und authentisch sein“ zu beachten.
Storytelling – das zweischneidige Schwert
Storytelling ist in Kommunikation übersetzte Authentizität. Natürlich liebt jeder eine gute Geschichte. Hollywood verdient Milliarden mit dieser Erzählstrategie. Um auf dem neuesten Stand zu sein, habe ich gerade eine zehnwöchige Storytelling-Masterclass absolviert.
Dort wurde immer wieder der notwendige Brückenschlag von Contents zum Business betont. Dennoch philosophieren seit Monaten Dutzende Entscheider, was sie aus dem Spiel mit dem Lego ihres Kindes gelernt haben oder was ihre fünf Learnings aus jeder noch so trivialen Alltagsbegebenheit sind.
Welche Blüten der Hype von visuellem Storytelling treibt, zeigt der Fall eines Top-Managers.
Er ließ sich in einem Tesla eine Bergstrecke hochchauffieren. Schließlich stoppte er an einer Haarnadelkurve und hievte sein Marken-Rennrad aus dem Kofferraum. Dort sprühte ihm eine Mitarbeiterin mit einer Blumenspritze Ersatz-Schweiß ins Gesicht. Anschließend schoss sie seine „Bike-Bergtour-Bilder“ – faktisch ein knallharter Fake. Denn auf seinem Fahrrad hat er nie gesessen.
Richtig (und ehrlich) eingesetzt hilft starkes Storytelling, das Rennen um die Aufmerksamkeit zu gewinnen. Wer auf Emotionen in spannenden Narrativen baut, differenziert sich vom Wettbewerb.
Wie rät meine Kolumne „Modernes Storytelling: Was Berater von Cowboys lernen können“:
Erzählen Sie die richtigen Stories, erzählen Sie sie richtig und erzählen Sie die passenden Geschichten an der entscheidenden Stelle!
Fazit: Die richtige Dosierung entscheidet über eine erfolgreiche Positionierung
Professional Services-Player stehen alle vor der gleichen Herausforderung: die Abstraktion. Weil Expertise noch kein USP ist, bedarf es in der Markenführung andere Wege der Differenzierung. Die Erfolgsformel für eine erfolgreiche Positionierung lautet: „STRATEGIE x KONGRUENZ x PERSÖNLICHKEIT x KONZEPT x BOTSCHAFT“.
Richtig dosiert, sind Storytelling und Authentizität dabei wirksame Hebel. Aber den Bogen zu überspannen, bringt es nicht. Auch hier gilt: „Warum man im Consulting nicht jede Kuh durch’s Dorf treiben sollte“.
Über Susanne Mathony

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden