#1Blick vom Beratungsforscher Notizen zum neuen Schwarzbuch: Bärendienst zugunsten von McKinsey?

Ausgezeichnete Investigativ-Journalisten knöpfen sich in einem neuen Buch McKinsey und deren „fragwürdige Praktiken“ vor. Es scheint aber, als würden sie am Ende aller Bemühungen ausgerechnet ihrem eigenen Anliegen einen Bärendienst erweisen. Dieser #1Blick nimmt ein paar Lesenotizen zur Hilfe und prüft nach.

Kolumnist Thomas Deelmann fasst nach der Lektüre des neuen "Schwarzbuch McKinsey" seine Eindrücke zusammen. (Bild: picture-alliance / akg-images | akg-images)

Vor wenigen Tagen ist „mal wieder“ ein Text über McKinsey erschienen, wie in den letzten Jahren beispielsweise schon mit Titeln wie „The McKinsey Way“, „beraten & verkauft – McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater“, „The Firm – The Inside Story of McKinsey“, „McKinsey kommt“, „Die McKinsey-Gesellschaft“ (wobei dieser Titel schließlich nicht verwendet werden durfte – das Buch ist jetzt unter „Unser effizientes Leben“ zu finden), „Goodbye McK… & Co.“ oder „How McKinsey destroyed the Middle Class“.

Immer wieder McKinsey

Diese Beratung muss wohl stärker als jede andere als Platzhalter herhalten, wenn irgendein Lob oder öfter noch Kritik über die Consulting-Branche formuliert wird und steht wohl häufiger als alle anderen im Mittelpunkt von Diskussionen, Beobachtungen und Analysen.

Das „Schwarzbuch McKinsey“ und das englische Original „When McKinsey Comes to Town“ sind beide im Oktober 2022 erschienen. Eine Rezension folgt jetzt nicht (eine solche ist schon hier in der FAZ zu finden), vielmehr werden ein paar Lesenotizen aufbereitet und die Frage in den Vordergrund geschoben, ob die Autoren nicht ihrem Ansinnen, McKinsey als das personifizierte Böse hinzustellen (eigene Wahrnehmung, eigene Worte), einen Bärendienst erwiesen haben?

Autoren und Buch

Walt Bogdanich und Michael Forsythe arbeiten als investigative Journalisten bei der New York Times und sind für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden. Ihre Recherchen rund um die Arbeit von McKinsey haben sie in den letzten Monaten beziehungsweise Jahren immer wieder zeitnah in der Times veröffentlicht (siehe hier für ihre eigene Erzählung der Genese).

Über die meisten Fälle, die im Schwarzbuch zu finden sind, wurde also schon mehr oder minder ausführlich berichtet; von den beiden Autoren selbst und auch von anderen Journalisten.

Bogdanich und Forsythe haben allerdings tief gegraben und beispielsweise bisher geheim gehaltene Umsatzdaten von McKinsey für einzelne Kunden finden können.

Viele der Rechercheergebnisse versammeln sie im Buch. In Summe liegt eine detailliert recherchierte, interessant geschriebene und gut zu lesende Darstellung von verschiedenen Fällen oder Episoden vor, in denen immer versucht wird, das Erscheinen von McKinsey bei einem Kunden mit einer späteren Katastrophe, einem folgenden Skandal, einem auftretendem Fehlverhalten etc. bei ebendiesen Kunden in Verbindung zu bringen.

Auffälligkeiten

Abseits des Lesevergnügens sind Auffälligkeiten auf drei Ebenen zu beobachten. Manche Details über das Consulting-Business scheinen nicht ganz plausibel; bei der Lektüre von einigen der gewählten Episoden fällt es schwer, die Positionierung von McKinsey als Zentrum der Erzählung nachzuvollziehen und schließlich schafft es das Buch nicht, das Grundproblem der Wirkungsmessung zu überwinden, also einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer vor vielen Jahren durchgeführten Handlung und einem beobachtbaren Ereignis heute eindeutig nachzuzeichnen (und McKinsey für das Ergebnis die Schuld zu geben).

Diese Auffälligkeiten sind schade (und vielleicht sogar schädlich) für die Wahrnehmung des gesamten Buches. In Summe ist es zwar …

  • robust beim Insinuieren von Beziehungen (wie gerade beschrieben), aber dabei
  • zurückhaltend beim Liefern von Analysen, Erläuterungen und Erklärungen sowie
  • überschaubar mit Blick auf Verbesserungsvorschläge und Lösungsansätze.

Das eigentliche Versäumnis

Die Voraussetzungen für einen sprichwörtlichen großen Wurf wären hingegen gegeben. Die beiden Autoren haben ihr Buch zu einem für ihre Zwecke sehr passenden Zeit publiziert: McKinsey ist so groß, dass die Marke auch über die Branchengrenzen weithin bekannt ist und eine kritische Beobachtung viele dunkle Flecken hervorbringt. Gleichzeitig sind neue firmeninterne Regelungen, Werte & Leitlinien sowie Verhaltensanweisungen (auf die die Autoren am Rande immer wieder hinweisen) aber anscheinend noch nicht so etabliert, als dass das Unternehmen „skandalfrei“ sein beziehungsweise die vorgestellten Fälle als Schnee von gestern abgetan werden könnten.

Die fehlende Orientierung an den eigenen Werten ist dann auch dasjenige massive Versagen, welches McKinsey angekreidet werden kann.

Das ist – wenn man es nüchtern betrachtet – sehr ungeschickt für die Firma, aber beheb- beziehungsweise korrigierbar. Kritischer wären konkrete Fehler in der Sache oder eine direkte Alleinschuld an den im Buch genannten Skandalen. Die bleiben aber weitestgehend aus (nur ein sächlicher Fehler ist nach der Lektüre erinnerlich: Eine schlecht geschriebene Studie, die dann auch zügig zurückgezogen wurde) oder werden vor dem Hintergrund von getätigten Vergleichszahlungen – wie im Kontext der Opioid-Krise in den USA und ohne, dass damit Schuldeingeständnisse verbunden sind –wohl nicht mehr aufgelöst werden können.

Bärendienst?

Und so kann man sich fragen, ob das Buch in dieser Form nicht dem oben zugespitzt formulierten Ansinnen, McKinsey als Grund allen Übels hinzustellen, einen Bärendienst erwiesen hat und sogar von McKinsey zum eigenen Vorteil genutzt werden kann?

Die Beratung könnte (!) zukünftig durchaus argumentieren, dass zwei der renommiertesten Investigativ-Reporter das Unternehmen durchleuchtet, hunderte Interviews geführt und zehntausende von vertraulichen Dokumenten erhalten haben (Eigenangaben auf dem Schutzumschlag) – und doch in der Sache nicht substanziell fündig geworden sind. Wenn die Profis es nicht schaffen und nichts finden, so eine mögliche Argumentationslinie, dann wird da auch wohl nichts sein, oder?

Und McKinsey? Kontert ganz trocken

Vermutlich wird es aber so weit nicht kommen und die Beratung diese Argumentation nicht nutzen. McKinsey scheint die ganze Episode bei allem Ernst der Lage aber auch mit einer gewissen Prise Humor zu nehmen: Entgegen der gelebten Praxis der Firma und auch entgegen der am Ende des Buches nochmal wiederholten McKinsey-Aussage, „niemals öffentlich über Klienten oder den Gegenstand der Beratung [zu] sprechen“, kontert die Beratung in einer Stellungnahme zum Buch:

Indeed, we helped the authors’ own newspaper, The New York Times, develop the digital subscription model that has made it one of the most successful media companies.

Fazit & Leseempfehlung

Auch mit den notierten Anmerkungen erhält das Buch eine ordentliche Leseempfehlung. Denn zum einen ist das Notieren von Auffälligkeiten deutlich leichter als das Schreiben eines solchen Textes mit diesen Ambitionen. Zum anderen untersucht das Buch, auch wenn es dabei unkonkret bleiben muss, intensiv „The Hidden Influence of the World’s Most Powerful Consulting Firm“, wie es im Untertitel der englischen Ausgabe heißt. Und schließlich legt es dabei McKinsey den Finger in die Wunde der fehlenden Orientierung an den eigenen Werten.

Freude bereiten wird das Buch insbesondere denjenigen, die der Branche bisher eher skeptisch gegenüberstanden. Sie werden (vermutlich) über die skizzierten Auffälligkeiten nonchalant hinwegsehen und sich in ihrer kritischen Position bestätigt fühlen. Aber auch denjenigen, die sich mit McKinsey sowie der Branche professionell beschäftigen und sie reflektiert betrachten, kann es als Referenzpunkt dienen.

Über den Autor

Thomas Deelmann
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium“ (2021, Erich Schmidt Verlag, 49,95 Euro).

 

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