Interview mit Prof. Thomas Deelmann „Beamte sind besonders, Berater aber auch!"

In seinem neuen Buch „Die Berater Republik“ beschäftigt sich Prof. Thomas Deelmann mit dem wachsenden Einfluss externer Berater auf Politik und Wirtschaft. Im Interview mit CONSULTING.de erläutert er unter anderem, warum Lesende kein Berater-Bashing erwarten dürfen, wo im Verhältnis Staatsdiener-Consultant Fallen lauern und was die Auftragsvergabe mit Tinder zu tun hat.

Morgen wird Ihr neues Buch „Die Berater Republik. Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ veröffentlicht. Wann hatte Sie die Idee dazu? Und gab es einen speziellen Auslöser?

Thomas Deelmann: Consultants dringen immer tiefer in immer mehr Branchen, Sektoren und Bereiche ein. Das beobachte ich schon seit einiger Zeit und so brauchte es bei mir für das Buch auch kein Erweckungserlebnis und keinen Heureka!-Moment als Anlass. Und wenn ich die Beobachtungen zusammenfasse, dann kann man drei Dinge festhalten:

  • Erstens: Wir leben in einer Berater-Republik.
  • Zweitens: Die Kunden beziehungsweise die Gesellschaft scheinen langsam, aber sicher die Kontrolle zu verlieren.
  • Drittens: Professionelle Kunden und ihre Berater müssen gemeinsam etwas dagegen unternehmen.

Spötter können jetzt sagen: Das wussten wir schon lange! Aber bisher gerieten vor allem Einzelfälle und Ausnahmen ans Licht der Öffentlichkeit. Inzwischen kann die Stimmung kippen und die ganze Dienstleistung in Misskredit geraten – und davon hat niemand etwas!

Bei dem Titel mögen manche Branchenvertreter einen populistischen Verriss des Berufsstandes befürchten. Eingefleischte Kritiker werden ihn sich womöglich wünschen. Was dürfen Leserinnen und Leser bei der Lektüre tatsächlich erwarten? Was war Ihr Ansatz?

Das Cover zum Buch.

Thomas Deelmann: Sie haben Recht: „Die Berater-Republik“ ist kein Titel für ein Lehr- oder klassisches Fachbuch. Aber ist beziehungsweise war auch nicht die Intention des Textes. Er ist zugespitzt formuliert – aber nicht überspitzt. Ein reines Berater-Bashing gibt es nicht, ebenso wenig ein Hochjubeln der Branche. Das Buch will informieren und unterhalten und damit natürlich Fachleute ansprechen – aber auch diejenigen, die als interessierte Öffentlichkeit beschrieben werden können. Ich hoffe, dass der Text fair geworden ist, auf verschiedene Perspektiven eingeht und Stärken und Schwächen gleichermaßen aufgreift.

Das Buch ist zudem nah am Zeitgeschehen: Jüngst hat EY den Stopp der Unternehmensaufteilung in Prüfung und Beratung bekannt gegeben – im Buch zeige ich genau die strukturellen Konflikte im Geschäftsmodell der Dienstleistungskonzerne auf, die wir bei EY sehen. Die Trennungsgeschichte dort ist wohl auch noch nicht beendet.

Die Einleitung trägt den Titel „Gewinnorientierung trifft Gemeinwohlorientierung“. Welche besonderen Implikationen ergeben sich aus Ihrer Sicht, wenn Staatsbedienstete auf Consultants treffen?

Thomas Deelmann: Bei dem Aufeinandertreffen ergibt sich ein besonderes Konfliktpotenzial. Die einen repräsentieren den öffentlichen Sektor, streben nach dem Besten für alle, sind also am Gemeinwohl orientiert. Um dieses Ziel zu erreichen wird häufig externe Unterstützung in Form von Consultants gesucht. Die wiederum arbeiten aber gewinnorientiert. Das zeigt sich in Angeboten, Verträgen, Projekten, Change Requests, Folgeaufträgen et cetera. Da wird nichts verschenkt – weder an Auftraggeber noch an die Gesellschaft.

Hier darf niemand so naiv sein und denken, dass beide Parteien über ähnlichen Denk- und Handlungsmuster verfügen. Ein kritischer Blick ist notwendig.

Können Sie uns kurz skizzieren, wie sich das Verhältnis von Staat und Beratenden über die Jahre entwickelt hat? Welche Tendenzen gibt es?

Thomas Deelmann: Die Zahlen zeigen: Der Gesamtmarkt für das Beratungsgeschäft wächst ganz ordentlich – und der Public-Teilmarkt noch etwas mehr. Der öffentliche Sektor hat in den vergangenen Jahren immer stärker auf Consultants zurückgegriffen. Auf Bundesebene ist die Entwicklung sehr deutlich: Die Ausgabenseite des Haushalts steigt moderat an – die Beratungsausgaben schießen dabei aber durch die Decke.

Fest steht: Staatsberatung ist gekommen, um zu bleiben. Und da gibt es auch sowas wie eine strategische Passung. Die einen brauchen mit Blick auf den demografischen Wandel und die zunehmenden Aufgaben dringend Ressourcen, die anderen müssen ihr Personal verkaufen, damit das Geschäftsmodell funktioniert.

Beim Business-Tinder heißt es hier: It’s a match!

Sogenannte Beraterskandale gibt es sowohl bei öffentlichen Aufträgen als auch in der sogenannten freien Wirtschaft. Welche Unterschiede gibt es Ihrer Beobachtung nach hinsichtlich Ursachen, Verläufe und Aufarbeitung?

Thomas Deelmann: Das ist ein guter Punkt. Es soll nämlich niemand meinen, in privaten Unternehmen passiere nichts Schlimmes und es gebe keine Fehlentwicklungen. Das ist natürlich Quatsch. Die Themen gelangen nur seltener an die Öffentlichkeit. Ich spreche hier von „unsichtbaren Fehlern“. Tatsächlich gibt es sogar große Ähnlichkeiten.

Die Unterschiede liegen aber oft darin, dass im öffentlichen Raum die politische Opposition, NGOs, Journalisten et cetera ein Transparenzinteresse haben und dem Sachverhalt nachgehen. Und wenn der Suchscheinwerfer etwas entdeckt, dann ist das schnell ein großes Thema. Da kommt ein „Beißreflex“ durch – der bringt dann etwa Klicks und auch kurzfristige Aufmerksamkeit, aber leider häufig in der Sache keinen großen Fortschritt beziehungsweise keine große Verbesserung der Situation.

In Ihrem Buch kommen Sie regelmäßig auf die drei „B“ – Brain, Body und Brand – zurück. Welche Rolle spielen die im Verhältnis Auftraggebende – Auftragnehmende?

Thomas Deelmann: Formal stellen sie so etwas wie das Bindeglied zwischen beiden Seiten dar: Kunden wollen diese Kompetenzen, Berater bieten sie. Das ist entweder Fachexpertise, die Bereitstellung von Personalressourcen oder der Mehrwert des Netzwerkes beziehungsweise die Möglichkeiten, eine etablierte Consulting-Marke einzusetzen und zu nutzen.

Gleichzeitig sind hier aber auch Sollbruchstellen vorhanden. Denn nur, wenn beide Seiten mit ihren Einschätzungen und Erwartungen übereinstimmen, ist alles gut; wenn nicht: Dann sind die Probleme nicht weit!

An vielen Stellen stopfen Consultants Löcher, die durch den Fachkräftemangel entstehen. Das Problem wird ja gerade für öffentliche Arbeitgeber nicht kleiner werden in der Zukunft. Wie ist Ihr Blick auf diese Entwicklung?

Thomas Deelmann: Düster. Hier ergänzen sich zwei Parteien: Die einen haben einen Personalbedarf, der durch externe Kräfte geschlossen werden kann und wird. Die anderen leben davon, dass sie ihr Personal verkaufen. Da sind wir wieder bei der strategischen Passung von vorhin, dem Match beim Business-Tinder.

Dabei gibt es aber eine Paradoxie. In den jeweiligen Situationen, bei den einzelnen Beauftragungen scheint alles zu passen, es geht alles gut auf und man ist erfolgreich. Auf der Makro- beziehungsweise der gesellschaftlichen Ebene ist aber ganz genau die Fehlentwicklung zu erkennen: Hier die Profis, dort die Amateure. Hier die auf den eigenen Gewinn fokussierten Consultants, dort der öffentliche Sektor, der die Daseinsvorsorge aller und das Gemeinwohl im Fokus hat.

Consultants verdienen sicherlich sehr gut an ihren Dienstleistungen. Aber liefern Sie nicht auch einen Mehrwert von Faktor X, indem sie helfen Prozesse zu optimieren, finanzielle Mittel einzusparen und Geschäftschancen zu nutzen?

Thomas Deelmann: Ganz bestimmt ist das so. Und auch an den hohen – oder von manchen als hoch bewerteten Honoraren gibt es erstmal nichts auszusetzen. Kritisch wird es aber, wenn die Kunden die Leistung der Consultants nicht bewerten wollen oder bewerten können. Wenn also gar nicht klar gemacht wird, wofür die Gelder ausgegeben und die Honorare kassiert werden. Zugegeben, den „Faktor X“ zu benennen ist eine nicht ganz triviale Aufgabe, aber der muss man sich stellen!

Wenn ich das nicht mache und zumindest klein anfange, dann muss ich mir immer vorwerfen lassen, dass ich das Geld – in der öffentlichen Verwaltung ist es das Geld der Steuerzahler – zum Fenster rauswerfe.

Jeder Berufsstand hat seine schwarzen Schafe, die gut im Verkaufen sind, aber bei der Lieferung von Mehrwert – sagen wir einmal – hinter den Erwartungen zurückbleiben. Worauf sollten Klienten in Staat und Wirtschaft achten, um keinen Scharlatanen aufzusitzen oder beispielsweise hinsichtlich Folgeprojekten nicht in einer „Abofalle“ zu landen?

Thomas Deelmann: Oh, da kann man jede Menge Punkte aufzählen und besprechen – das wird dann den Rahmen unseres Interviews sprengen. Ein ganz grobes Ratgeberraster kann ich aber anbieten: Beratungseinsätze strukturiert vorbereiten, professionell durchführen, sorgfältig nachbereiten. Und natürlich alles sinnvoll in ein strategisches Umfeld einbinden. Mit dieser Kette kann man schon eine ganze Menge Problemquellen abdecken.

Und wem das immer noch zu viel und zu kompliziert ist, der sollte sich zumindest an die „goldene Regel“ halten: Nix tun, von dem man nicht möchte, dass es morgen in der Zeitung steht beziehungsweise in einer Stunde bei Twitter zirkuliert.

Letzte Frage: Was wünschen Sie sich für die Entwicklung der Rolle von Consultants für Staat und Wirtschaft? Was sollte sich ändern?

Thomas Deelmann: Gut und in meinen Augen wirklich hilfreich wäre, wenn beide Seiten ein besseres Verständnis für die jeweils andere Seite entwickeln. Spreche ich mit Consultants, dann sagen die:  Kunden müssen die Dienstleistung besser verstehen. Und wenn ich mit Kunden aus dem öffentlichen Sektor spreche, dann sagen die: Die Consultants müssen uns besser verstehen.

Da machen beide einen guten Punkt: Beamte sind besonders, Berater aber auch!

Mehr zum Buch:
- Thomas Deelmann, Die Berater Republik. Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen, München 2023. Umfang: 256 Seiten | Preis: 22,- Euro | Weitere Informationen und Bestellung

 

Über die Person

Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten, FinanzBuch... mehr

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