Interview mit Ralf Strehlau, BDU-Präsident "Bei der CSR-Beratung geht es vielfach noch darum Awareness zu schaffen"

Die Bedeutung ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit nimmt für Beratungsunternehmen seit einigen Jahren deutlich zu. Das betrifft sowohl das Beratungsportfolio als auch den Aufbau einer eigenen Environmental Social Governance. CONSULTING.de sprach mit BDU-Präsident Ralf Strehlau über Angebot und Nachfrage von Nachhaltigkeitsberatung und darüber, was Consulting-Unternehmen in Sachen nachhaltigem Wirtschaften noch besser machen können.

Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeitsberatung heute im Beratungsmarkt?

Ralf Strehlau: Im Grunde genommen ist Nachhaltigkeitsberatung bereits seit mehr als 30 Jahren eine normale Beratungsleistung. Zur Zeit der Anfänge nutzte man allerdings für die entsprechende Sparte beispielsweise bei KPMG eher Begrifflichkeiten wie „Umweltschutzberatung“. Allerdings lief dieses Thema innerhalb der Branche für 25 Jahre eher auf kleiner Flamme. Die Nachfrage zog dann vor drei bis fünf Jahren rapide an. Inzwischen liegt der Anteil von Corporate Social Responsibility-Beratung – Stand 2020 – bei 1,3 Prozent. Dabei konnten wir im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzplus von 9,5 Prozent verzeichnen. Für das Jahr 2022 gehen die Teilnehmer unserer aktuellen Branchenstudie „Facts & Figures zum Beratungsmarkt“ von einem Wachstum dieses Bereichs von 12 Prozent aus – vor Beginn des Ukrainekrieges lagen die Prognosen sogar bei 15 Prozent.

Dem Beratungsthema "Nachhaltiges Wirtschaften" attestieren die Teilnehmer der BDU-Branchenstudie "Facts & Figures zum Beratungsmarkt 2022" ein hohes Wachstumspotenzial. Ihnen zufolge wird der Anteil von CSR-Beratung am Gesamtmarkt in diesem Jahr um 12 Prozent zulegen. (Grafik: Branchenstudie "Facts & Figures zum Beratermarkt 2022", BDU)

Was sind die treibenden Faktoren für diese Entwicklung?

Treiber waren zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Reporting größerer, auch börsennotierter Unternehmen. Parallel dazu gibt es eine Entwicklung, die sowohl unsere Kunden als Beratungsunternehmen selbst betrifft: Sustainability hat bei Mitarbeitern und Bewerbern eine hohe Bedeutung. Wer sich dem Thema nicht widmet, bekommt Probleme bei der Mitarbeiterbindung und beim Recruiting. Der dritte Treiber sind die Endkonsumenten, die Unternehmen mit ihren Erwartungen an Produkte und Dienstleistungen konfrontieren.

Welche Einflussfaktoren werden zunehmen?

Ralf Strehlau: Aktuell bekommen wir durch den Ukrainekrieg neben dem schrecklichen menschlichen Leid ja auch vor Augen geführt, wie strategisch wichtig Rohstoffe für unser Land sind und welche ökonomischen Folgen eine Verknappung und rapide steigende Preise haben können. Möglichst ressourcenschonend produzieren zu können wird demzufolge als unternehmerische Aufgabe noch einmal wichtiger – analog dazu entsprechende Beratungsleistungen.

Infolgedessen wird Nachhaltigkeit auch als Finanzierungsthema an Bedeutung zulegen. In der Beurteilung von Kreditrisiken werden Banken den Stand eines Unternehmens beim Thema Sustainability mitberücksichtigen. Damit kommt gerade bei größeren Mittelständlern noch einmal Druck auf das Thema. Das Rating wird schlechter, wenn beispielsweise nicht vorgedacht wird beim CO2-Ausstoß, da die potenziellen Mehrkosten die Profitabilität verringern und somit bei mangelnder Berücksichtigung beim Kreditrisiko einfließen werden.

Welche Beratungsleistungen im Bereich ESG/CSR werden aktuell am meisten nachgefragt?

Ralf Strehlau: Sehr viel Handlungsdruck liegt auf dem Reporting, da es Compliance-relevant ist. Dazu werden dann Beratungsdienstleistungen wie der Aufbau eines Reportings und die Sicherstellung der Governance nachgefragt. Die entsprechenden Anforderungen geben gerade größere Unternehmen innerhalb ihrer Lieferkette auch an mittlere und kleinere Firmen weiter.

Wie bei vielen anderen Fragestellungen, die relativ neu sind, geht es in der Beratung allerdings vielfach noch darum Awareness zu schaffen. In diesem Sinne werden spezielle Präsentationen und Workshops für Geschäftsführer und Führungskräfte aufgesetzt. Solche Beratungsleistungen werden in zwei bis drei Jahren an Bedeutung verlieren, weil Nachhaltigkeit dann zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

Gegenläufig wird die Zahl derjenigen Aufträge deutlich zunehmen, in denen es um die Auswirkung auf Geschäftsmodelle sowie Strategie und größere organisatorische Veränderungen aufgrund von Sustainability-Zielen geht. Dann werden die Bereiche Aufbau- und Ablauforganisation, Wertschöpfungskette, Technologie et cetera in den Fokus rücken.

Lassen Sie uns über Sustainability in der Beratungsbranche sprechen. Wie sehen Sie Consulting-Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt?

Ralf Strehlau: Ich nehme für unserer Branche insgesamt an, dass wir bei dem Thema proaktiver und offener sind als der Durchschnitt der deutschen Wirtschaft. Das hat auch damit zu tun, dass wir einen sehr großen Anteil jüngerer Mitarbeiter haben. Schon vor Corona hat der BDU beispielsweise eine Studie unter Studierenden der für Consulting prädestinierten Fächer durchgeführt, in denen entsprechende Anforderungen an potenzielle Arbeitgeber deutlich wurden. Es gibt natürlich wie in jeder Branche Unternehmen, die bei dem Thema schon weiter sind als andere.

Was können Consulting-Unternehmen konkret tun, um selbst nachhaltiger zu wirtschaften?

Ralf Strehlau: Bei Professional Service Companies – darunter fallen Beratungen genauso wie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater – ist traditionell der CO2-Ausstoß durch Reisetätigkeit ein wichtiger Ansatzpunkt. So ziemlich alle Beratungsunternehmen, das gilt auch für den BDU, sehen inzwischen von Flügen innerhalb Deutschlands ab und fahren eher Bahn. Zoom, Teams und Co. ersetzen viele Anlässe für Reisetätigkeit. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt.

Ich gehe davon aus, dass dieser Effekt im Vergleich zu Vor-Corona zu einem nachhaltigen Rückgang der Reisetätigkeit von 20-30 Prozent führen wird. Auch das Firmen-Fahrrad als Alternative zum Firmenwagen wird in vielen Beratungen mit den Mitarbeitern diskutiert. Viele Beratungsunternehmen halten ihren CO2-Ausstoß nach.

Darüber hinaus gibt es auch Beratungsunternehmen, die sich fragen: Wenn wir mit unserer Beratungstätigkeit dafür sorgen, dass ein Kundenunternehmen 20 bis 30 Prozent CO2 einspart – kann man das nicht auch irgendwie messen?

Viele Unternehmen haben den Wunsch, ihre CSR-Aktivitäten mit einem Siegel oder einem Zertifikat zu untermauern: Sprechen Sie an dieser Stelle als BDU Empfehlungen aus?

Ralf Strehlau: Empfehlungen sind nicht so einfach zu geben. Vielfach steht die Entwicklung von belastbaren Standards, beispielsweise im Hinblick auf Lieferketten ja erst noch am Anfang oder werden weiterentwickelt. Als Handlungsorientierung werden von Beratungsunternehmen nicht selten die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen oder auch die 10 Prinzipien des UN Global Compacts herangezogen. Statt eines Siegels bietet sich aus BDU-Sicht zudem an, die regelmäßige Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts anzustreben, der idealerweise auf einem Drittportal veröffentlicht wird. Die bekanntesten Berichterstattungsstandards kommen vom UN Global Compact, der Global Reporting Initiative und mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) vom Rat für Nachhaltige Entwicklung.

Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit innerhalb des BDU?

Ralf Strehlau: Nachhaltigkeit ist innerhalb des BDU in verschiedenen Gremien und auf verschiedenen Ebenen verankert – wobei wir ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte gleichrangig behandeln. Wir haben beispielsweise eine eigene Arbeitsgruppe CSR, in der sich Verantwortliche mit Branchenkollegen über Best Practices austauschen können. Wichtige Impulse werden auch in unserer Arbeitsgruppe Diversity gesetzt. Zudem ist Nachhaltigkeit ein wiederkehrender Agendapunkt in unseren turnusmäßigen CEO-Sitzungen und in der Arbeitsgruppe Personal.

Praktisch wollen wir unseren Mitgliedsunternehmen ein breites Portfolio an Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung stellen, um das Thema Nachhaltigkeit auch als Beratungsgesellschaft intern vorantreiben zu können. Beispielsweise stellen wir unseren Mitgliedern Tools für die CO2-Messung zur Verfügung oder handeln mit Herstellern von Elektroautos Rahmenverträge aus.

Der BDU hat als eigene Initiative das Projekt „Verbandswald“ ins Leben gerufen. Worum geht es da?

Ralf Strehlau: In Kooperation mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) finanzieren wir mit 40 beteiligten Mitgliedsunternehmen in der Nähe von Kaiserslautern auf einer etwa vier Hektar großen Fläche eine Erstaufforstung mit rund 15.000 Bäumen. Die Pflanzaktion wird den teilnehmenden Unternehmensberatungen dabei nicht als eigene Kompensationsleistung angerechnet, sondern die erzielten CO2-Einsparungen fließen in die nationale Treibhausgasbilanz ein.

Der 21. März 2022 war der internationale Tag des Waldes. Am selben Tag startete der BDU gemeinsam mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) die Initiative "Verbandswald" zur Erstaufforstung einer rund vier Hektar großen Fläche in Rheinland Pfalz. (Bild: BDU)

Stichwort Diversity. Die Beratungsbranche ist auf den Führungsebenen deutlich männerdominiert, wie auch Zahlen aus Ihrer aktuellen Branchenstudie „Facts & Figures zum Beratungsmarkt“ zeigen.

Ralf Strehlau: Wir wissen, dass wir beim Frauenanteil auf allen Hierarchieebenen noch nicht da sind, wo wir als Branche hinwollen. Allerdings erkennen wir zumindest eine Entwicklung in die richtige Richtung. Von den rund 219.000 Beschäftigten der Branche sind inzwischen 39 Prozent weiblich. Der Anteil in Geschäftsführungen lag 2021 bei 14 Prozent. An dieser Stelle gab es – wenn auch von einem niedrigen Ausgangspunkt – einen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr um neun Prozent. Unter den Senior Consultants sind 26 Prozent Frauen, was einen Zuwachs um 15 Prozent bedeutete.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Hebel, um in Consulting-Unternehmen mehr Frauen in Führung zu bringen?

Ralf Strehlau: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist an dieser Stelle wichtig. Hier brauchen wir einen weiteren kulturellen Wandel, den viele Unternehmensberatungen bereits durchlaufen haben. Nehmen wir das Beispiel Nachschichten inklusive Pizza-Bestellen um 21 Uhr oder Wochenendschichten, die früher bei manchen Consulting-Unternehmen noch als besonderes Arbeitsethos zelebriert wurden. Das sind für mich keine Merkmale einer guten Beratungskultur, sondern sprechen eher für ein schlechtes Projektmanagement. Bezogen auf Arbeitszeiten müssen wir allerdings teilweise auch gegenüber Kunden noch mehr Grenzen setzen.

Leider haben wir bei der Karriere innerhalb einer Beratungsgesellschaft zudem auch ein Phänomen, das mit unserem Geschäftsmodell zu tun hat. Die Entscheidung beispielsweise, ob eine Person Partnerin oder Partner wird, fällt in der Regel nach 6 bis 8 Jahren Zugehörigkeit zum Unternehmen. Und diese Phase liegt gerade in einer Lebensphase, in der Frauen oft Mütter werden und auch gesellschaftlich die Rahmenbedingungen für Führungsfunktion nicht gegeben sind. Hier müssen wir als Branche noch flexiblere und auf die individuelle Lebenssituation ausgerichtete Lösungen anbieten, damit Beraterinnen die Übernahme von unternehmerischen Führungsverantwortung während der Familienphase erleichtert wird.

 

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