Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Beratungstools weiter auf dem Vormarsch – von der BCG-Matrix zu den agilen Tools

Vom krativen Brainstorming über die Strategiewahl bis zur Geschäftsprozessmodellierung - für so ziemlich alle unternehmerischen Herausforderungen sind Beratungstools auf dem Markt. Prof. Dr. Dirk Lippold gibt einen Überblick über Vorteile und Schwächen einzelner Techniken. (Bild: picture alliance / Zoonar | lev dolgachov).
Von der Produktion über das Qualitätsmanagement bis zum Marketing – es gibt kaum einen unternehmerischen Bereich, zu dem Beratungshäuser nicht bereits eine idealtypische Vorgehensweise in Tool-Form gegossen haben. Und ständig kommen neue Tools hinzu, so dass bereits von „Managementmoden“ und von „inflationärer Entwicklung auf dem Tool-Sektor“ die Rede ist (siehe Abbildung 1).
Diese betriebswirtschaftlichen Werkzeuge, auf die der Berater (und damit auch das Management) zurückgreifen kann, sind nicht nur derart zahlreich, sondern auch so unterschiedlich konzipiert, dass es eine besondere Herausforderung ist, Ordnung in diese Vielfalt zu bringen. Einige Techniken sind sehr einfach, andere wiederum sehr komplex konzipiert. Manche Tools stellen lediglich einen Formalismus, ein Schema dar. Andere Techniken beruhen auf empirischen Studien und haben gesetzesähnlichen Charakter.
Und noch ein weiteres Wort zur Klarstellung: Bei diesem Tool-Überblick soll kein Unterschied zwischen den Begriffen Tools und Techniken (und teilweise auch Methoden) gemacht werden. Denn auch bei der entsprechenden Namensgebung bestimmter Verfahren wird mal der Begriff Tool und mal die Bezeichnung Technik angehängt.
Unterteilung in drei Technologietypen
Allen Tools gemeinsam ist ein hoher Standardisierungsgrad der zugrundeliegenden Beratungskonzeption. Genauer geht es um den Standardisierungsgrad der in den Beratungsleistungen enthaltenen Technologie. Ja, auch in der eigentlich nichttechnischen Beratungsdienstleistung spricht man von einer Technologie.
Konkret werden unter Beratungstechnologie alle Tool- und Know-how-Komponenten zusammengefasst, die Berater nutzen, um ihre Kunden zu beraten. Dies schließt auch das Erfahrungswissen des Beraters mit ein. Hinsichtlich des Standardisierungsgrades lässt sich Beratungstechnologie unterteilen in
- individuelle, flexible Technologie,
- standardisierte Technologie (Tools) und
- starre Technologie (Beratungsprodukte).
Vorzüge und Nachteile standardisierter Beratungsleistungen
Die Vorzüge standardisierter Beratungsleistungen liegen zunächst in der Verkürzung der Beratungsdauer und damit in der Senkung der Beratungskosten, ohne dass es zu (nennenswerten) Qualitätseinbußen kommt. Standardisierte Beratungsleistungen weisen zudem eine vergleichsweise geringe Personenbindung auf, so dass neue Mitarbeiter schneller eingearbeitet und kreative Fähigkeiten an anderer Stelle effektiver eingesetzt werden können. Standardisierte Beratungsleistungen lassen sich darüber hinaus leichter positionieren und kommunizieren als individuelle Leistungen.
Auf diese Weise ist bei den Beratungsunternehmen eine Vielzahl von standardisierten Beratungsprodukten entstanden.
Beratungsprodukte sind die ausgeprägteste Form der Standardisierung und ermöglichen es dem Berater, für bestimmte Problemlösungen eine Art „Marke“ aufzubauen und sich vom Wettbewerb abzuheben. Beispiele dafür sind die Gemeinkostenwertanalyse (GWA) von McKinsey, die 4-Felder-Matrix der Boston Consulting Group oder das Economic Value Added-Modell (EVA) von Stern Stewart.
Die Nachteile standardisierter Beratungsansätze können darin gesehen werden, dass sie zumeist erhebliche Forschungs- und Entwicklungskosten verursachen und zudem Konjunktur- und Modezyklen unterliegen. Beratungsprodukte folgen einem ausgeprägten Lebenszyklus und veralten in aller Regel schneller als eine Beratungsspezialisierung auf Branchen oder Funktionsbereiche. Außerdem sind Beratungsprodukte und Tools durch Wettbewerber immer leichter kopierbar als „stilles“ Wissen. Mit dem Einsatz einer starren Technologie verzichtet der Unternehmensberater zudem auf Handlungsspielräume. Konkret bedeutet dies, dass es bei Zieldefinitionen, bei der Personaleinsatzplanung und auch bei Honorarzahlungen kaum Freiheitsgrade gibt.
In Abbildung 2 sind die Konsequenzen dieser drei Technologietypen auf verschiedene Kriterien optisch zusammengefasst.
Systematik der Beratungstools
Strategieberatungen haben früher damit begonnen, auftragsindividuell entwickelte Vorgehensweisen als Beratungsprodukte zu entwickeln und zu vermarkten, als IT-Beratungsgesellschaften. Zwischenzeitlich werden aber auch von den IT-Beratungsgesellschaften gezielt (IT-) Beratungsprodukte entwickelt, die aber – mit wenigen Ausnahmen – noch bei weitem nicht den Bekanntheitsgrad und Einfluss erzielt haben wie Produkte der großen Strategieberater. Das bekannteste Beispiel in diesem Bereich ist das Prozessmodellierungstool ARIS der Software AG.
Um eine gewisse Ordnung bzw. Systematik in die Vielzahl der Tools zu bringen, bietet sich als Strukturierungsansatz das Prozessmodell eines idealtypischen Beratungsprojektes mit den folgenden Phasen an (siehe Abbildung 3)
- Akquisition,
- Analyse,
- Problemlösung und
- Implementierung.
Die Akquisitionsphase
Im Mittelpunkt der Akquisitionsphase eines Beraters steht die Angebots- und Vertragsgestaltung. Die Besonderheit dieser Phase liegt darin, dass sie im Normalfall nicht Teil des eigentlichen Projektes ist. Die Akquisitionsphase liegt zeitlich vor der Leistungserstellung (engl. Delivery) und wird in der Regel vom Kundenunternehmen nicht bezahlt. Dennoch ist sie bei Kontraktgütern für den Verlauf und das Ergebnis des Projektes von enorm wichtiger Bedeutung. Zum einen wird in dieser Phase entschieden, ob der Berater den Auftrag für die Projektdurchführung überhaupt erhält. Zum anderen werden hier die Erwartungshaltungen beider Partner im Hinblick auf das letztlich angestrebte Projektergebnis festgelegt.
Inhaltlich gesehen steht die Akquisitionsphase ganz im Zeichen der Informationsbeschaffung. Daher herrschen in dieser Phase, die häufig auch als Informationsphase bezeichnet wird, die Tools zur Informationsbeschaffung, -auswertung und -darstellung vor. Die wichtigste Informationsquelle ist dazu der mögliche Auftraggeber, also der potenzielle Kunde mit seinen Mitarbeitern. Zu den Beratungstechnologien, die in dieser Phase zum Einsatz kommen können, zählen in erster Linie:
- Kommunikationstools wie Workshop, Moderation, Diskussion, Kartenabfrage, Präsentation
- Tools zur Informationsbeschaffung und -darstellung wie Sekundärauswertungen (z. B. Company Profiling) und Primärerhebungen auf der Basis von Befragungen und Beobachtungen
- Prognosetools auf der Basis von Befragungen, von Indikatoren, von Zeitreihen und von Funktionen.
Die Analysephase
Die anschließende Analysephase setzt unmittelbar nach dem Vertragsabschluss auf. Auch in dieser Phase stehen die einzuholenden Informationen im Vordergrund. Die Beschaffung, Vertiefung und Analyse der Informationen konzentrieren sich aber bereits auf das in der Angebotsphase spezifizierte Beratungsproblem. Interviews, standardisierte Fragbögen und Beobachtungen – letztlich also die Methoden der Marktforschung – dominieren den Informationsbeschaffungsteil in der Analysephase.
Die in dieser Phase eingesetzten Problemlösungstechnologien lassen sich in drei Kategorien einteilen. Zum einen sind es Informationsbeschaffungstools, wie sie bereits in der Akquisitionsphase zum Einsatz kommen und daher an dieser Stelle nicht noch einmal erläutert werden sollen (vornehmlich Befragungen, Darstellungs- und Prognosetechniken). Des Weiteren handelt es um standardisierte
- Tools zur Umwelt-, Wettbewerbs- und Unternehmensanalyse wie SWOT/TOWS-Analyse, Five-Forces-Modell, Analyse der Kompetenzposition, Wertkettenanalyse und Benchmarking,
- Tools zur Zielformulierung wie das SMART-Prinzip, Kennzahlensysteme, Zielsysteme und Balanced Scorecard sowie
- Tools zur Problemstrukturierung wie Aufgaben-, Kernfragen- und Sequenzanalyse, aber auch Strukturierungstools für Marketing/Vertrieb und Human Resources.
Die Problemlösungsphase als Kernphase
Die Problemlösungsphase ist in der Regel die Kernphase eines Beratungsprojekts. Diese Phase ist gekennzeichnet durch einen kreativen Prozess, der aufzeigen soll, wie man von einem analysierten Ist-Zustand, der unbefriedigend ist, zu einem Zustand gelangt, der für den Auftraggeber wünschenswert ist. Es geht in dieser Phase um die beste Gestaltungsalternative der Soll-Konzeption, die dann in einen Maßnahmenkatalog umgesetzt wird. Ein präziser Aktionsplan ist das Ergebnis.
Die in der Problemlösungsphase eingesetzte Beratungstechnologie dient dementsprechend vornehmlich der Generierung von Gestaltungsalternativen. Im Vordergrund stehen hierbei:
- Planungs- und Kreativitätstools wie Brainstorming, Brainwriting, Methode 635, Synektik, Bionik, Morphologischer Kasten
- Tools zur Strategiewahl wie Erfahrungskurve, Produktlebenszyklusmodelle
- Portfoliotechniken wie BCG-Matrix, McKinsey-Matrix, ADL-Matrix
- Tools zur Formulierung der strategischen Stoßrichtung wie Wachstumsstrategien, Wettbewerbsstrategien, Markteintrittsstrategien
- Beratungsprodukte wie Gemeinkostenwertanalyse, Zero-Base-Budgeting, Nachfolgeregelung, Mergers & Acquisitions, Business Process Reengineering
- Tools zur Geschäftsprozessmodellierung wie EPK und BPMN.
Die Implementierungsphase
Der Zweck der abschließenden Implementierungsphase besteht darin, die in der Problemlösungsphase verabschiedeten und abgesicherten Maßnahmen termin- und kostengerecht umzusetzen, in der Praxis zu erproben und Auswirkungen auf andere Bereiche zu analysieren. In den meisten Fällen übernimmt der Kunde in dieser Phase wieder die Hauptverantwortung, obwohl in diesem Projektabschnitt über den endgültigen ökonomischen Erfolg des Projektes entschieden wird.
Zur Sicherstellung der Qualität in der letzten Auftragsphase haben die meisten Beratungsunternehmen Checklisten erstellt, die vom Projektleiter sukzessive abgearbeitet werden. Die darüber hinaus eingesetzte Beratungstechnologie in der Implementierungsphase bezieht sich in erster Linie auf
- Projektmanagement-Tools wie Prince2 oder PMBoK,
- Qualitätsmanagement-Tools wie Fehlersammelliste, Histogramm, Kontrollkarte, Ursache-Wirkungsdiagramm, Pareto-Diagramm, Korrelationsdiagramm, Flussdiagramm,
- Agile Tools wie Scrum, Design Thinking, IT-Kanban und
- Tools zur Evaluierung wie Kundenzufriedenheitsanalyse, Auftragsbeurteilung, Abschlussakquisition.
Bekanntheitsgrad und Aussagekraft sind nicht immer deckungsgleich
In meinem neuesten Buch stelle ich „Die 80 wichtigsten Management- und Beratungstools. Von der BCG-Matrix zu den agilen Tools“ vor. Allerdings befinden sich bei weitem nicht alle Tools auf dem gleichen Qualitätsniveau. Auch erkennt man die tatsächliche Aussagekraft häufig erst dann, wenn man die Tools mit den entsprechenden Daten füllt. Ich möchte daher abschließend ein Beispiel benennen, in dem Image- und Bekanntheitsgrad und tatsächliche Aussagekraft weit auseinanderklaffen. Es handelt sich dabei um die BCG-Matrix, die auch als 4-Felder-Matrix oder als Marktanteils-Marktwachstums-Matrix bezeichnet wird:
Die BCG-Matrix ist wohl das bekannteste und bei vielen Beratern, Managern und auch BWL-Studierenden das beliebteste Tool. Es ist sehr einfach in der Handhabung und auch die Datenbeschaffung macht keine großen Probleme. Soweit zum Glanz des Tools. Problematisch dagegen ist seine Aussagekraft – und darum geht es ja schließlich.
Da die Kritikpunkte an diesem Werkzeug den Rahmen dieser kurzen Einführung sprengen würde, habe ich für den interessierten Leser folgenden Link eigerichtet: Link.
Quellen (mit weiteren Literaturangaben):
- D. Lippold: Die 80 wichtigsten Management- und Beratungstools. Von der BCG-Matrix zu den agilen Tools, 2. Aufl., Berlin-Boston 2023.
- D. Lippold: Die Unternehmensberatung. Von der strategischen Konzeption zur praktischen Umsetzung, 4. Aufl., Berlin-Boston 2022.
- D. Lippold: Management-Tools richtig einsetzen, WISU-Reihe I-VI, Jg. 2021 und 2022.
Über die Person
Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.
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