Blick in die Bilanz: CONSULTING.de-Kolumne von Bert Erlen BioNTech und Moderna: Verdienen die eigentlich Geld?

BioNTech aus Mainz und Moderna aus den USA sind die Hoffnungsträger in der Corona-Pandemie. In Blitzgeschwindigkeit haben sie Impfstoffe entwickelt, die nun in Massen produziert und weltweit eingesetzt werden. Aber ist dieser Weg eigentlich profitabel und ist die mittlerweile hohe Aktienbewertung gerechtfertigt? Bert Erlen hat sich die Bilanz genauer angeschaut.

Biontech aus Mainz und Moderna aus den USA sind die Hoffnungsträger für den Weg aus der Corona-Pandemie. In Blitzgeschwindigkeit haben die Unternehmen Impfstoffe zur Marktreife entwickelt, die nun in Massen produziert und weltweit eingesetzt werdenBeide Unternehmen waren vorher nur in Fachkreisen bekannt und spezialisieren sich eigentlich auf die individualisierte Krebstherapie und auf Impfstoffe gegen Influenza und HIVAber als dann Corona ausbrach, packten die Managementteams ohne zu zögern die Gelegenheit beim Schopf, um ihr Know-how im Kampf gegen die Pandemie einzusetzen. 

Eine bewundernswerte Leistung – sowohl medizinisch als auch unternehmerisch. Aber ist dieser Weg eigentlich profitabel und ist die mittlerweile hohe Aktienbewertung gerechtfertigt? Wir schauen in die Bilanzen, genauer in die Quartalsabschlüsse zum dritten Quartal 2020.  

Umsatz 

1. Frage: Wie hoch war der Umsatz der Unternehmen im vergangenen Dreivierteljahr und um wieviel hat er sich im Verhältnis zum entsprechenden Vorjahreszeitraum verändert? 

In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres erzielte Biontech einen Umsatz von 136,9 Millionen Euro. In dem entsprechenden Dreivierteljahr 2019 waren es 80,6 Millionen Euro. Das Unternehmen konnte also den Umsatz um 70% steigern. Diese Steigerung resultiert insbesondere aus den Kooperationen mit Pfizer und Fosun Pharmabei denen Biontech die Impfstoffe entwickelt, während die Partner die Impfstoffkandidaten dann über die klinischen Studien, die Zulassungen und die Produktionslogistik an den Markt bringen.   

Wer hätte sich vor Corona jemals mit der Frage beschäftigt, wie ein Biotechnologieunternehmen Geld verdient? Aber jetzt erkennen wir, wie elementar diese Forschungsarbeit ist. 

Größe und Wachstum 

Also 70% mehr durch den Verkauf der Impfstoffforschung. Das klingt beeindruckend, aber Moderna, der amerikanische Wettbewerber im Rennen um die mRNA-Impfstoffe, legte ein Wachstum von 404% im gleichen Zeitraum hin. Modernas Umsätze bewegen sich mit 232,6 Millionen US-Dollar absolut in der gleichen Größenordnung. 

Überhaupt ist es bemerkenswert, wie ähnlich die Bilanzstrukturen der Unternehmen sind. Beide Unternehmen möchten neben der Entwicklung auch in die Impfstoffproduktion einsteigen, wodurch die Umsätze deutlich steigen können. 

Welche Rolle spielt Größe dabei? Bei der Fertigung sind die Skaleneffekte durch Automatisierung und Standardisierung enorm und wenn uns Corona noch länger begleitet, sind hier erhebliche Steigerungen möglich. In der Forschung ist die Fixkostendegression dagegen nur bedingt möglich. Dass beide Unternehmen auch produzieren möchten und werden, ist daher betriebswirtschaftlich sehr sinnvoll.  

Profitabilität: Umsatzrendite 

2. Frage: Wie hoch ist der prozentuale Anteil des operativen Ergebnisses EBIT (Earnings before interest and taxes, Gewinn vor Zinsen und Steuern) am Umsatz? 

Die EBIT-Marge von Biontech beträgt in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 unterirdische minus 239% nach minus 160% im Vorjahreszeitraum. Geld zu verdienen scheint bei dem Geschäft derzeit keine Rolle zu spielen. Und Moderna steht mit minus 210% und sogar minus 902% in den entsprechenden Zeiträumen 2020 und 2019 ähnlich da. 

Beide Unternehmen geben das meiste Geld erwartungsgemäß für Forschung aus: Biontech das zwei-bis-dreifache seines Umsatzes und Moderna, in ähnlicher Größenordnungim umsatzschwachen Jahr 2019 sogar das neunfache. Daran wird deutlich, dass das Geschäft bisher nicht darauf ausgelegt war, profitabel zu sein. Obwohl beide Unternehmen schon lange existieren. Die Eigentümer pumpen weiterhin viel Eigenkapital in die Unternehmen. 

Profitabilität und Vermögensrendite  

3. Frage Wie hoch ist das operative Ergebnis EBIT im Verhältnis zum Vermögen des Unternehmens? 

Mit den negativen EBITs sind auch die ROIs negativ, beide Unternehmen vernichten also ihr Vermögen. Bei Biontech errechnet sich der ROI mit minus 29%, bei Moderna sind es minus 16%. Die Unternehmen sind auf den guten Willen und den langen Atem ihrer Geldgeber angewiesen, zu denen neben den klassischen Eigentümern auch die Kooperationspartner (zum Beispiel Pfizer bei Biontech und Lonza bei Moderna) und auch nationale Regierungen gehören. Die Impfstoffentwicklung wird als politisch wichtig betrachtet. 

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Streben die Unternehmen Gewinne an? 

Es ist eine interessante Frage, ob die Unternehmen das überhaupt ändern wollen. Die Planung von Produktionslinien deutet darauf hin, den Umsatz und damit die Profitabilität zu steigern. Andererseits erzielen auch verlustträchtige Unternehmen deutliche Unternehmenswerte (siehe diese beiden, aber auch Tesla oder Snapchat oder Lieferando), so dass die Eigentümer der beiden Biotechunternehmen möglicherweise mit der negativen Performance gar nicht unzufrieden sind.  

Bei beiden Unternehmen sind die Aktienkurse 2020 deutlich gestiegen. Es reicht vielleicht aus, eine gute Zukunftsgeschichte zu erzählen und in einen vielversprechenden Business Case zu gießen. Denn viele Aktionäre werden auch bereits jetzt ihre Gewinne durch Anteilverkäufe realisiert haben. 

Vermögensstruktur: Cash is King  

4. Frage: Mit welchen Vermögensgegenständen wurde der EBIT erwirtschaftet? 

Am 30.9.2020 lagen 68% des von Biontech gehaltenen Vermögens in der Kasse! Und zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass kurze Zeit später noch 375 Millionen Euro Forschungsförderung von der Bundesrepublik dazukommen würden – dann wären es 75%.  

Ist auch nachvollziehbar: Biontech stand im Herbst vor großen Investitionen und man wusste wahrscheinlich nicht, wann genau welche Beträge notwendig sind. Auch hatte das Unternehmen aus mehreren Finanzierungsrunden sowohl von Eigenkapital- als auch von Fremdkapitalgebern Geld eingesammelt und war möglicherweise einfach noch nicht dazu gekommen, die Summen strukturiert in die entsprechenden Kanäle zu leiten.  

Trotzdem ist die Höhe sehr bemerkenswert, und auch zum Jahreswechsel 2019 (also vor Corona) war die Kasse mit 65% der größte Vermögensgegenstand. In der Quartalsmitteilung zum September 2020 schreibt Biontech, man werde im laufenden Jahr insgesamt 450 bis 600 Millionen Euro investieren. 

Nicht erstaunlich ist, dass der Rest des Vermögens in immateriellen Vermögenswerten (Patenten und aktivierten Entwicklungsleistungen), Sachanlagen (Gebäude und Maschinen) und Nutzungsrechten steckt. Das war auch Ende 2019 der Fall. 

Working Capital Management 

In Relation zum Gesamtvermögen sind Vorräte und Forderungen gering. WenBiontech tiefer in die Fertigung einsteigt, wird dieser Punkt allerdings wesentlich wichtiger werden. Alle Vermögensrelationen sind bei Moderna übrigens sehr ähnlich, was einmal mehr auf die sehr ähnliche Situation der beiden Unternehmen hindeutet. 

Finanzierungsstruktur 

5. Frage: Wie ist das Unternehmen finanziert? Wie hoch ist der prozentuale Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital? 

Und jetzt wird es spannend: Woher kommt das ganze Geld? Welcher Eigentümer nimmt in Kauf, dass Biontech und Moderna Verluste erwirtschaften  

Beide Unternehmen sind relativ üppig mit Eigenkapital ausgestattet, zwischen 64% (Biontechbeziehungsweise 59% des Vermögens (Moderna) sind von Investoren finanziert. Damit sieht das Eigenkapitalpolster zwar auskömmlich aus, angesichts der aktuellen Verluste wäre man trotzdem ohne weitere Investorenmillionen in zwei bis drei Jahre insolvent. 

Die anderen Finanzierungsquellen spielen keine so große Rolle. Insbesondere fällt auf, dass es kaum Kredite gibt. Biontech macht auch von der Möglichkeit von Wandelanleihen Gebrauch, wodurch Kredite sich später in Aktien umwandeln. 

Zu hoch verschuldet? 

6. Frage: Wie hoch ist das Verhältnis der Finanzverbindlichkeiten zum EBITDA (Earnings before InterestTaxes, Depreciation and Amortization, Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Vermögensgegenstände)? 

Und hier erkennt man, warum sich beide Unternehmen nicht am Fremdkapitalmarkt bedienen können: Der EBITDA ist negativ. Bei Biontech sind es beachtliche minus 300 Millionen Euro, bei Moderna minus 465 Millionen US-Dollar. Die Tilgungsdauer wäre also negativ, ist damit unendlich hoch und daher nicht aussagekräftig: Das Geschäft erwirtschaftet keine operativen Cashflows, um Kredite zurückzuzahlen. 

Unter diesen Umständen ist kein Kreditgeber bereit, Geld zu leihen. 

Liquidität und Cashflow 

7. Frage: Wie viel Bargeld generiert das Unternehmen aus dem laufenden Geschäft? 

In Analogie zum EBITDA sind auch die operativen Cashflows hochnegativ. Die Geschäfte verbrennen Geld, was bereits deutlich wurde. Immerhin gibt es kleinere Umsätze – siehe erste Frage. Es ist aber ganz offensichtlich, dass beide Unternehmen eine große Wette auf die Zukunft sind. Ein Investor muss schon Risikobereitschaft mitbringen, um hier zu investieren.  

Moderna weist zwar für den betrachteten Zeitraum einen positiven operativen Cashflow aus. Das liegt aber an einem ungewöhnlich hohen Bestand an Kudenanzahlungen, für die das Unternehmen jetzt die Leistungen erbringen muss. 

Aus eigener Kraft investieren? 

8. Frage: Kann das Unternehmen seine Investitionen aus dem laufenden Geschäft selbst finanzieren? (Übersteigt der operative Cashflow den Cashflow aus Investitionstätigkeit?) 

Offensichtlich nicht. Wenn der operative Cashflow negativ ist, muss das Geld für die Investitionen von außen kommen. Bei Biontech sind die Kapitalrücklagen in den ersten neun Monaten 2020 um 800 Millionen Euro gestiegen, bei Moderna sogar um 2,1 Milliarden US-Dollar.  

Und die wurden und werden noch investiert. Biontech hat mit nur 45 Millionen Euro in den ersten drei Quartalen 2020 sogar weniger investiert als im Zeitraum des Vorjahres, noch liegt das Geld in der Kasse. Die entscheidende Frage wird sein, wohin das viele Geld fließt, in die Produktion oder in die Forschung. Denn diese Frage entscheidet darüber, ob künftig Skaleneffekte und damit auskömmliche Gewinne möglich sind.  

Corona und Kapitalmarkt 

Wer hätte gedacht, dass wir uns einmal so intensiv mit diesen hochspezialisierten Biotechunternehmen beschäftigen würden. Aber Corona macht eben deutlich, wie wichtig diese Unternehmen zusammen mit den Pharmaherstellern für unser aller Gesundheit sind. Sie schaffen auf jeden Fall derzeit jede Menge Arbeitsplätze, aber ob sie auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht attraktiv bleiben, wird die Zukunft zeigen. In zwei bis drei Jahren. 

Über den Autor:

 Bert Erlen begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen. Er begeistert Führungskräfte für unternehmerisches Denken und Handeln, erleichtert die Kommunikation zwischen Controllern und dem operativen Management und stärkt die Finanzielle Führung in Organisationen. Gerade in betriebswirtschaftlichen Schwächephasen kann er mit Wissen und Klarheit eine neue Vision vermitteln. Er ist zertifizierter Unternehmercoach, langjähriger Managementtrainer für Finanzielle Führung, Blogger und veröffentlicht einen Business Podcast. 

 

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