Deep Dive Consulting: Kolumne von Jörg Hossenfelder, Lünendonk Blurring Boundaries - Berater-Ökosysteme als Lösung?

Ohne IT-Kompetenz kommt kaum ein Beratungshaus mehr aus. Doch was machen, wenn die Kompetenzen nicht im Haus vorhanden sind? Fusionen oder der Aufbau von Berater-Ökosystemen waren bislang die Lösung. Nachdem die Zinsen steigen, spricht deutlich mehr für den Aufbau eines Berater-Ökosystems. Doch dafür sind wiederum Skills von Nöten, die nicht jeder Beratende hat. Jörg Hossenfelder über „Blurring Boundaries“ im Consulting und welche Rolle Berater-Ökosysteme darin spielen.

Um den vielfältigen Herausforderungen in Projekten gerecht zu werden, ist gerade der Aufbau von Berater-Ökosystemen eine gute Lösung (Bild: picture alliance / Zoonar | Aleksandr Khakimullin).

Die Zeiten, in denen Berater in ein Unternehmen gegangen sind, Prozesse und Organisation unter die Lupe genommen, schulbuchmäßig eine erfolgversprechende Strategie aufgesetzt und die Kundenunternehmen dann mit der Umsetzung allein zurückgelassen haben, sind definitiv vorbei. Kunden wollen Lösungen und einen Partner, der sie bei der Transformation unterstützt. Change is the name of game – dies gilt in unserer VUCA-Welt, die geprägt ist von Volatilität und Unsicherheiten, mehr denn je.

Die Dynamik des digitalen Wandels stellt Unternehmen praktisch täglich vor neue Möglichkeiten und Herausforderungen. Wenig verwunderlich, dass in diesem Umfeld ein Anstieg des Beratungsbedarfs und der Nachfrage nach der sogenannten Transformationsberatung erwartet wird1 – seitens Consulting-Häuser und Mandanten.

Die Anforderungen an Managementberatungen sind heute also andere als noch vor wenigen Jahren. Mit dem klassischen Portfolio an Beratungsleistungen treffen die Consulting-Häuser nicht mehr den Bedarf der Kunden.

IT strategy is the key!

Mandanten erwarten heute von den Consultants eine ausgeprägte IT-Kompetenz: IT strategy ist the key! Mehr Know-how im Bereich IT-Strategie (nicht Implementierung) ist laut der aktuellen Lünendonk-Managementberatungsstudie für 88 Prozent der Consultants unabdingbar, um nachhaltige Lösungen für das Business der Kundenunternehmen zu entwickeln. Nichts wird wichtiger erachtet. Daher positionieren sich viel Beratungshäuser als Planer und Gestalter der IT-Strategie. Aspekte wie Cyber Security und Cloud, KI, Design, Marketing, Content und Commerce wollen dauerhaft mit einbezogen werden, und auch ESG und Regulatorik beeinflussen die Arbeitswelt zunehmend. Beratungshäuser sind heute mit einer Vielzahl an Spezialthemen konfrontiert - und mit dem Wunsch des Kunden nach einer End-to-end-Betreuung von der ersten strategischen Idee bis hin zur praktischen Umsetzung.

Doch wie können Managementberatungen gerade angesichts des Fachkräftemangels gezielt neue Kompetenzen auf- beziehungsweise ausbauen? In der Praxis haben sich zwei Wege etabliert: Durch Übernahmen und Fusionen oder mittels Berater-Ökosysteme.

Beratungen in Kauflaune: Mehr Expertise durch Akquisitionen

Die Kauflaune - getrieben vom Wunsch, sich durch Akquisitionen gezielt Expertise einzukaufen und neue Wachstumsfelder bedienen zu können - vor allem größerer Beratungshäuser war in den vergangenen Jahren immens. Allein Accenture hat in gerade einmal drei Jahren stolze 120 Agenturen, Start-ups und mittelständische Beratungen durch Übernahmen und Beteiligungen integriert. Andere Consulting-Häuser ergänzten das eigene Beratungsportfolio vor allem um fehlende

Digitalkompetenzen. Welche Dynamik seit 2015 auf dem Markt für Digital Experience Services herrschte, zeigt folgende Grafik:

Die M&A-Aktivitäten galten in den vergangenen Jahren regelrecht als überhitzt. Die Dynamik dürfte sich nun angesichts steigender Zinsen und der Verteuerung des Fremdkapitals erst einmal etwas abschwächen. Ein Ergebnis hat diese Entwicklung jedoch schon gebracht: Die Abgrenzung zwischen Management-, IT- oder Kreativberatung verschwimmt zunehmend, und die Inhalte der Beratung lassen sich nicht mehr leicht voneinander trennen – was der Begriff „blurring boundaries“ sehr treffend formuliert.

Die Transformation der Beratung und die Integration neuer Unternehmen wirkt sich maßgeblich auch auf die Organisation und Skill-Zusammensetzung der Beratungsunternehmen aus. Nicht mehr der Verkauf von möglichst vielen Beratertagen sowie der Support durch einige Backoffice-Kräfte muss organisiert werden, sondern völlig neue Beschäftigte mit anderen Profilen müssen unter einem Dach zusammengefasst und Unternehmenskulturen zusammengeführt werden. Zusätzlich ergeben sich dazu neue Karrieremodelle und -pfade.

Berater-Ökosysteme greifen auf Netzwerk an Dienstleistungspartnern zurück

Kleinere und mittlere Beratungen, die nicht mit den finanziellen und organisatorischen Ressourcen der großen Häuser ausgestattet sind, bleibt der Weg der Akquisitionen weitestgehend verwehrt. Sie greifen auf ein Netzwerk an Dienstleistungspartnern – ein Berater-Ökosystem aus Start-ups, Data Analysts, Kreativagenturen, Ingenieuren und Freelancern – und Team Hiring zurück, um die Mandanten ganzheitlich zu beraten. Dem Kunden gegenüber gilt weiterhin „one face to the customer“, ein Beratungsunternehmen ist also im Lead.

Dieser Ansatz hat sich heute bereits etabliert: Gerade bei großen Projekten gehört die Umsetzung mit einer einzigen Beratung der Vergangenheit an. Laut der aktuellen Lünendonk-Studie „Managementberatung in Deutschland“ favorisieren 64 Prozent der Befragten eine Projektumsetzung mit einem Partner-Ökosystem.

Wehren sich die befragten Consultants dagegen, dem Kundenunternehmen im Rahmen des Projekts bei der Suche nach weiteren Dienstleistungspartnern behilflich zu sein? Nein, ganz im Gegenteil. Und so rechnen künftig auch 40 Prozent der Mandanten mit einer stärkeren Projektumsetzung mit einem Berater-Ökosystem (laut Lünendonk-Studie 2022 „Remote Consulting“).

Partner-Ökosysteme wirken sich auf interne Organisation der Beratungen aus

Für die Consultants bedeuten Partner-Ökosysteme vor allem zwei Dinge:

Die Veränderungen im Portfolio werden sich langfristig auf die interne Organisation von Beratungsunternehmen auswirken. Nicht nur Teammitglieder, sondern auch Externe müssen geführt und Projekte mit Drittdienstleistern vollständig und reibungslos koordiniert werden.

Ein intaktes Netzwerk von Kooperationspartnern ist von Vorteil. 83 Prozent der Teilnehmer der Lünendonk-Studie „Managementberatung in Deutschland“ sind davon überzeugt, dass Beratungsunternehmen einen Wettbewerbsvorteil besitzen, wenn sie Strategie-, Kreativ- und analytisches Know-how aus einer Hand anbieten können.

Interessant ist an dieser Stelle auch der Blick auf den Trend, dass Klienten und Beratungsunternehmen zunehmend Joint Ventures zusammen mit Kundenunternehmen gründen, um gemeinsam mit diesen ins unternehmerische Risiko zu gehen, beispielsweise um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Auch hier verschwimmen Grenzen: Die Beratungsunternehmen bringen ihre neu erworbenen Fähigkeiten aus Design, Data, Technologie und agiler und effizienter Projektumsetzung ein, um mit Kunden digitale Geschäftsmodelle end-to-end umsetzen zu können. Exemplarisch sein hier BCG Digital Ventures genannt.

Unbestritten ist: Wer ein breites Leistungsfeld aus einer Hand anbieten kann – allein oder zusammen mit belastbaren Projektpartnern –, der verfügt über einen Mix aus Strategie-, Kreativ-, IT- und Ingenieurberatung und hat im Pitch bei komplexen Themenstellungen klare Vorteile. Diese Entwicklung dürfte erst einmal so fortschreiten.

Über Jörg Hossenfelder 

Jörg Hossenfelder, Geschäftsführer - Lünendonk & Hossenfelder
Jörg Hossenfelder ist Kommunikations- sowie Politikwissenschaftler und studierte bis 2000 an den Universitäten Mainz und Bologna. Nach seinem Studium beriet er als Kommunikations-Berater Business-to-Business-Unternehmen. 2004 übernahm er die Leitung der Research-Abteilung bei Lünendonk & Hossenfelder. Seit Juli 2005 ist Hossenfelder Geschäftsführer, seit 2009 Geschäftsführender Gesellschafter. Jörg Hossenfelder verantwortet die Marktsegmente Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Advisory und Business Consulting.

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf CONSULTING.de

Editors Choice

alle anzeigen