Müller meckert Butterwegge, Quark und Soße

Ja, klar: Die Armen haben viel Kapital und die Börsen gehen immer nach oben. Oder etwa nicht?
Jetzt muss es mal von der Seele: Als Professor der Wirtschaftswissenschaften geht mir bei der Lektüre wirtschaftlicher Pressebeiträge regelmäßig der Hut hoch. Nicht, weil Beiträge politisch "links" oder "rechts" sind, sondern weil sie einfach unlogisch sind - zumindest frei von jedem wirtschaftlichen Sachverstand. Oft beruht das auf einem Nicht-Verständnis marktwirtschaftlicher Prozesse und resultiert im Aufbau eines Reich-Arm-Feindbildes, bei dem es nur im die Verteilung, nicht aber um die absolute Größe des Kuchens geht.
So, wenn ein Autor Spiegel Online schreibt, die Niedrigzinsphase schade vor allem den Armen, die Reichen kämen hingegen ungeschoren davon, weil sie ja "am Aktienmarkt spekulieren" oder "Unternehmen gründen" könnten. Natürlich, die Armen haben ja auch viel mehr Kapital, das jetzt nicht mehr verzinst wird. Und die Börsen gehen bekanntlich immer nach oben, und Unternehmensgründungen sind ein Garant für Erfolg und Wohlstand, und das ohne Risiko und Einsatz, versteht sich. Die Empirie über die Überlebenschance neugegründeter Unternehmen spricht hier leider eine andere Sprache.
Die Reichen werden durch die Corona-Krise reicher und die Armen zahlreicher?
Ein Autor im Kölner Stadtanzeiger schrieb vor wenigen Wochen, aufgrund der Corona-Krise und des Wandels zum Onlinehandel könnten sich bald keine Geschäfte mehr die hohen Mieten in den Top-Innenstadtlagen leisten, was zu dauerhaften Leerständen in der Innenstadt führen werde. Dabei haben die Ladenmieten längst reagiert. Und sie werden auf Dauer auch nie höher sein können, als es sich in den entsprechenden Lagen erwirtschaften lässt. Zumindest, wenn wir Adam Smiths "Invisible Hand" walten lassen. Und schlechtere Lagen werden, wenn die Nachfrage ausbleibt, zumindest mittelfristig zu Wohnungen oder Büros, wie wir es derzeit schon vielfach beobachten können. Zumindest, wenn keine Regulation das bremst.
Ganz besondere Leckerbissen liefert regelmäßig Christoph Butterwegge, immerhin einst Professor der Universität Köln, "Armutsforscher" und 2017 Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten. So schrieb er am 9. September 2020 in einem Gastbeitrag, ebenfalls im Kölner Stadtanzeiger: "Aufgrund der Einkommensverluste durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Bankrotte haben in den vergangenen Wochen mehr Familien bei Lebensmittel-Discountern eingekauft, um Geld zu sparen, wodurch die ohnehin sehr reichen Besitzer von Ketten wie Aldi und Lidl noch reicher geworden sein dürften ...". Und schließt: "Das bedrückende Fazit lautet: Die Reichen sind durch die Corona-Krise reicher und die Armen zahlreicher geworden".
Der Kuchen ist geschrumpft
Mag sein, dass einzelne Reiche - Jeff Bezos, die Familie Albrecht oder die Familie Schwarz - dazugewonnen haben. Die breite Masse der Unternehmen dagegen - sei es im Einzelhandel, in der Automobilindustrie oder der Tourismus - leidet, und damit auch deren vielfach ebenfalls "reichen" Eigentümer und Manager. Die zahlreichen Bankrotte hat Herr Butterwegge ja selbst erwähnt, und das dürfte erst die Spitze des Eisbergs sein. Die expansive Geldpolitik führt zu einer weiteren Entwertung jeglichen Kapitals. Darüber kann auch die Erholung am Aktienmarkt nicht hinwegtäuschen, denn die gestiegenen Kurs-Gewinn-Verhältnisse signalisieren, dass nun für deutlich schlechtere Zukunftsaussichten der gleiche Preis gezahlt werden muss. Und wenn am Ende der Krise die angehäuften staatlichen Kredite zurückgefahren werden, geht das wohl auch nur auf Kosten höherer Steuerabgaben. Der Kuchen ist also insgesamt geschrumpft, nicht nur für die Armen.
Dass die Armen durch Corona zahlreicher geworden sind, scheint somit unstrittig, dass hier unterstützende Maßnahmen notwendig sind, wohl ebenso. Der reflexhafte Schluss, die Reichen seien reicher geworden, ist dagegen offensichtlich grundfalsch. Quark mit Soße, wie meine Kinder sagen würden.
Bleibt nur die Frage nach der Kausalität: Steht Herr Butterwegge den Linken nahe, weil er selbst seinen Ausführungen glaubt, oder argumentiert er so, weil er den Linken nahesteht? Oder will er einfach nur sein neues Buch "Ungleichheit in der Klassengesellschaft" promoten, das zeitgleich erschienen ist? Das wiederum könnte ich als Wirtschaftsprofessor sehr gut verstehen.
Lesetipps:
- Butterwegge 2020: Ungleichheit der Klassengesellschaft
- Bryan, Caplan 2007: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies
- Fetchenhauer, Enste, Köneke 2010: Fairness oder Effizienz? Die Sicht ökonomischer Laien und Experten
- Haferkamp 2008: Die Psycho-Logik der Akzeptanz von Wirtschafts- und Sozialreformen
Über den Autor

mvw
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden