Umfrage zum Einsatz von Case-Interviews im Recruiting von Consultinghäusern „Case-Interviews sind ein sinnvolles Tool im Recruiting-Prozess, aber natürlich nicht das einzige“

Wie wird das Case-Interview als Methode im Bewerbungsprozess von Unternehmungsberatungen eingesetzt? Welche weiteren Methoden nutzen führende Beratungen, um die besten Kandidaten zu identifizieren? Wir haben bei den Consultinghäusern Horváth, der hkp/// group und Pawlik Recruiters nachgefragt, welche Rolle die Fallstudie innerhalb des Recruiting-Prozess spielt und was beim Einsatz besonders beachtet werden muss.

Case Interviews Beitragsbild (Bild: hkp///, Horvath, Achim Multhaupt)

Welche Verfahren haben Ihrer Meinung nach den größten Nutzen, um die richtigen Kandidaten für Ihr Haus identifizieren zu können?

Natascha Nowotny: Das ist eine spannende Frage. Wir setzen auf einen Mix aus verschiedenen Methoden. Neben einer sorgfältigen Vorauswahl spielt für uns das teilstandardisierte Instrument des multimodalen Interviews eine wichtige Rolle im Auswahlprozess, ergänzt um Fallstudien und situative Fragestellungen sowie Rollenspiele. Die Güte des Auswahlprozesses und damit schlussendlich der Nutzen hängt allerdings von mehreren Faktoren ab.

Nicht nur der Einsatz an eignungsdiagnostischen Instrumenten ist entscheidend, sondern auch deren qualitativ hochwertige Anwendung.

Das beginnt bei einer guten Anforderungsdefinition, operationalisierten Kriterien und reicht bis hin zu einer fundierten Ausbildung und regelmäßigen Schulungen aller Beteiligten am Auswahlprozess.

Arne Adrian: Für uns sind strukturierte Interviews die beste Vorgehensweise, um die Lösungskompetenz von Menschen zu erfassen, weil hier die reflektierte persönliche Erfahrung der Kandidatinnen und Kandidaten zum Ausdruck kommt.

„Kennen Sie das Problem aus anderen Situationen? Wie sind Sie damit umgegangen? Was haben Sie daraus gelernt?“

Die Antworten lassen Rückschlüsse zu, wie jemand in zukünftigen Situationen agieren wird. Denn alles, was wir anwenden, ist gelernt. Auch die Herangehensweise an neue Herausforderungen baut auf dem mehr oder weniger intelligenten Umgang mit Erlebnissen auf. Daher sollte man sich damit beschäftigen, welche Erfahrungen Menschen wie geprägt haben. Natürlich kombinieren wir bei PAWLIK strukturierte Interviews mit der Persönlichkeitsdiagnostik, aus der wir viel über die Potenziale von Menschen und ihre Motive erfahren.

Frank Gierschmann: Bei der hkp/// group sind wir von einem mehrstufigen Recruiting-Prozess überzeugt: Nach Eingang der Bewerbungsunterlagen erfolgt eine Vorauswahl durch unsere Recruiting-Abteilung. Werden alle vorab definierten Voraussetzungen durch die Bewerbenden erfüllt, so folgt eine Abstimmung mit dem Fachbereich. Ein erstes Online-Interview dient dem gegenseitigen Kennenlernen der Kandidat*innen mit einem oder einer Partner*in. In diesem Schritt interessieren uns besonders die biografischen Erfahrungshintergründe sowie die Motive, mit uns zusammen arbeiten zu wollen.

Wenn der Eindruck hier positiv ausfällt, folgt bereits der finale Schritt unseres Bewerbungsprozesses – die hkp/// Experience. An diesem Tag werden die Kandidaten für ein gegenseitiges Kennenlernen in ihr zukünftiges Office eingeladen. Hierbei liegt uns besonders viel daran, den Kandidatinnen eine realistische Tätigkeitsvorschau ihres Arbeitsalltages zu bieten und sich dabei vor Ort mit verschiedenen Kollegen auszutauschen. Teil der hkp/// Experience ist es, über den Tag hinweg an einer Case Study zu arbeiten, welche anschließend präsentiert und mit mehreren Partnern diskutiert wird. Noch am selben Tag erhalten die Kandidaten ein umfassendes Feedback und, sollte sich der zuvor gewonnene positive Eindruck gefestigt haben, sofort auch ein Angebot. So kann der gesamte Recruiting-Prozess innerhalb von circa zwei Wochen durchlaufen werden.

Werden Case-Interviews im Auswahlprozess in Ihrem Haus eingesetzt? An welcher Stelle? Nur bei Bewerbenden für Junior-Positionen oder auch später?

Frank Gierschmann: Case-Interviews finden bei uns ausschließlich bei der Besetzung von Einstiegspositionen Anwendung. Neben der Case Study in der hkp/// Experience besteht bei uns die Möglichkeit, auch während eines ersten Interviews einen komprimierten Case einzubauen, für den Fall, dass sich aus den Informationen über die bisherige Arbeitserfahrung noch wenig Rückschlüsse auf zukünftige Arbeitsweisen ziehen lassen. Durch den Einsatz eines multimodalen Verfahrens können wir ein möglichst ganzheitliches Bild der Bewerbenden generieren.

Bei Senior-Positionen hingegen liegt der Fokus besonderes auf Erfahrungen und Kompetenzen, da Kandidat*innen hier ein völlig anderes Anforderungsprofil mitbringen – aufgrund der mehrjährigen Berufserfahrung lässt sich das Verhalten in früheren Situationen gut erfragen. Deshalb geht es im Gespräch neben den biografischen Informationen insbesondere um den Personal- und Cultural-Fit zur Organisation.

Natascha Nowotny: Wir setzen Fallstudien in unseren Auswahlprozessen ein – in der Regel vom Studierenden bis hin zu Positionen mit erster beziehungsweise mehrjähriger Berufserfahrung.

Arne Adrian: Case Interviews wenden wir am ehesten für Juniorpositionen an, wenn es noch darum geht, fachliche Kenntnisse zu überprüfen.

Denn was hilft dir die persönliche Kompetenz, wenn du keine Ahnung von den fachlichen Anforderungen in deinem Job hast?

Auch Führungskräfte müssen ihr Fach beherrschen, um das Team richtig zu steuern und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Allerdings setzen wir das ab einem bestimmten Lebenslauf voraus und fokussieren eher auf die persönlichen Skills.

Wie ist Ihre persönliche Meinung zum Einsatz von Case-Interviews im Recruiting? Was finden Sie gut, was verbesserungswürdig? Auf was muss besonders geachtet werden?

Arne Adrian: Wenn man Case Interviews führt, ist es besonders wichtig, einen realistischen Bezug zu der Rolle herzustellen und auf die Bedingungen einzugehen, die Kandidatinnen und Kandidaten erwarten. Auch ein klares Briefing einige Tage zuvor ist wichtig. Manche Unternehmen informieren die Bewerbenden vorher nicht und sagen ihnen dann: So, jetzt bereite dich mal eine halbe Stunde lang auf den Case vor. Das machen wir nicht.

Wir geben der Person die Gelegenheit, sich strukturiert vorzubereiten, weil das fair und partnerschaftlich ist.

Schließlich hat man ja auch im Berufsleben in der Regel immer die Möglichkeit, sich ein bisschen mit den Projekten auseinanderzusetzen.

Natascha Nowotny: Grundsätzlich machen wir sehr gute Erfahrungen mit unseren Fallstudien im Rahmen der Auswahlprozesse. Hierbei ist zu beachten, dass Fallstudien (bei korrekter Konstruktion) in der Regel eine hohe inhaltliche Validität haben, das heißt, sie eignen sich gut, um spätere berufliche Situationen abzubilden. Beide Seiten, sowohl Bewerbende als auch Unternehmen, erhalten hier einen ersten Einblick in die Präsentationsfähigkeit, das analytische Vorgehen, und die Problemlösungskompetenz, um nur einige Kriterien zu nennen.

Unsere Ansicht ist, dass hohe Gütekriterien an dieser Stelle essenziell sind.

Das bedeutet konkret, dass wir eigene, inhaltliche Fallstudien entwickeln, die einen Bezug zur späteren Tätigkeit und zum zugehörigen Kompetenzprofil haben. Wir legen Wert auf eine fundierte und möglichst objektivierbare Entscheidungsfindung und haben hierfür entsprechend hohe Standards für uns intern etabliert.

Auch die Rückmeldung aus den Interviews ist für uns wichtig: Empfinden die Bewerbenden den Auswahlprozess als wertschätzend, valide und zielführend? Dies fragen wir regelmäßig in unseren Feedbackgesprächen ab.

Frank Gierschmann: Aus unserer Sicht ist die Nutzung von Case-Interviews besonders wertvoll, wenn Bewerbende auf den ersten Blick nur wenige relevante Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zu relevanten Arbeitssituationen aufweisen. Demnach stellt ein Case-Interview eine geeignete Möglichkeit dar, eine konkrete Situation zu simulieren, darüber in einen gemeinsamen Denkprozess einzusteigen und dabei ein Verständnis über Kompetenzen im Bereich des analytischen Denkens aber auch der persönlichen Motive zu erlangen.

Aus diesem Grund liegt der Fokus in unseren Case-Interviews besonders auf dem Dialog, um die Gedankenschritte in einem Prozess des „lauten Denkens“ zu verfolgen. Einen weiteren Nutzen der Anwendung von Case-Interviews während unseres Recruiting-Prozesses sehen wir auch bei den Bewerbenden, denn auch sie können davon profitieren, bereits während des Bewerbungsprozesses unsere Arbeitsweisen, Themen, Tools und Kollegen und Kolleginnen kennenzulernen.

Damit haben Case-Interviews aus unserer Sicht durchaus eine Daseinsberechtigung, um Aufschluss über fehlende Erfahrungswerte zu induzieren.

Nichtsdestotrotz ist für uns die Multimodalität innerhalb des gesamten Bewerbungsprozesses entscheidend, denn nur anhand verschiedener Methoden, Beobachtenden und Interviewenden können wir einen validen und möglichst objektiven Bewerbungsprozess garantieren.

Woran machen Sie fest, dass Case-Interviews ein sinnvolles Tool im Recruiting-Prozess sind?

Natascha Nowotny: Wie schon angedeutet: Case-Interviews lassen sich sicherlich nicht über einen Kamm scheren. Wichtig ist aus unserer Sicht eine fundierte Auseinandersetzung mit den Anforderungen an potentielle Mitarbeitende sowie ein fachliches fundiertes Vorgehen.

Alle Beteiligten am Prozess sollten hierfür auf Ihre Rolle vorbereitet und entsprechend geschult sein. Eine Entscheidungsfindung muss objektivierbar möglich sein.

Und: nicht zuletzt nur unsere Erfahrung, sondern auch wissenschaftlich gestützt. Die Qualität eines Auswahlprozesses steigert sich mit einem sinnvollen Methodenmix. Insofern erleben wir in unserer täglichen Praxis, dass das Case Interview ein sinnvolles Tool im Recruiting Prozess ist, aber natürlich nicht das einzige.

Arne Adrian: Ich würde mir die Frage beantworten, wie der- oder diejenige im Interview die Situation insgesamt gemeistert hat. Wie war die Präsentation von der persönlichen Seite her? Wie war die Erklärung für die Vorgehensweise? Mit welcher Souveränität, Körpersprache, Leichtigkeit und Überzeugungskraft hat die Person vertreten, was sie erarbeitet hat? Wenn diese Aspekte neben dem fachlichen Ergebnis ausreichend beachtet werden, können Case Interviews den Recruiting-Prozess sinnvoll unterstützen.

Über Natascha Nowotny

Natascha Nowtony, Horvath (Bild: Horvath)
Natascha Nowotny, 42 Jahre, hat Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt auf Human Resources an der Universität Hohenheim studiert. Nach Abschluss ihres Studiums stand zunächst die Automobilbranche im Fokus, bis sie 2005 bei Horváth eingestiegen ist. Seit 2017 verantwortet Natascha Nowotny das gruppenweite Recruiting für Festanstellungen im Bereich Consulting und Corporate Functions. Privat ist die Mutter von zwei Töchtern begeisterte Reiterin.

Über Arne Adrian

Arne Adrian (Bild: Achim Multhaupt)
Arne Adrian ist Geschäftsführer der PAWLIK Group und Geschäftsführer der Personalberatung PAWLIK Recruiters, die Top-Positionen im Management wissenschaftlich fundiert besetzt. Außerdem leitet der 55-Jährige als Vorstand den Fachverband Personal im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU. Der gebürtige Hamburger studierte Betriebswirtschaft und arbeitete mehrere Jahre als Führungskraft in verschiedenen international tätigen Unternehmen, bevor er 2002 zu PAWLIK wechselte und 2007 in die Geschäftsführung berufen wurde. Arne Adrian lebt und arbeitet in Berlin.

Über Frank Gierschmann

Frank Gierschmann, hkp (Bild: hkp)
Frank Gierschmann begann seine berufliche Laufbahn bei der Führungskräfteentwicklung in der Konzernzentrale eines Logistikdienstleisters. Innerhalb von 11 Jahren durchlief er verschiedene Experten- und Führungsfunktionen im Bereich der Führungskräfte- und Personalentwicklung. Zuletzt verantwortete er als Vice President Corporate Executives Staffing die Besetzungsprozesse für das obere Management weltweit. 2011 folgte der Wechsel in die Schweiz, wo er als Global Head of Talent Management in einem Logistikkonzern die Verantwortung für das Talent Management bündelte und unter anderem die weltweiten Leadership-Programme für Top-Führungskräfte sowie die Identifizierung und Entwicklung von High Potentials steuerte. Heute berät Frank Gierschmann für die Unternehmensberatung hkp/// Konzerne und Mittelständler zu allen Aspekten des Talent und Performance Managements.

 

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