Interview mit Thomas Perry - Teil 2 Change Management: Von Aktionsfeldern und situativer Führungskompetenz

Mit dem "ganz normalen Change-Wahnsinn" hat sich Thomas Perry, Geschäftsführer der Q | Agentur für Forschung, in seinem gleichnamigen Buch befasst. Gemeinsam mit Nina Leffers (OTH Regensburg) sowie Sebastian Morgner und Robert Wreschniok (beide MLI Leadership Institut München) beleuchtet er darin die Herausforderungen bei Veränderungsprozessen in Unternehmen. Im zweiten Teil des Interviews mit CONSULTING.de äußert sich Perry zu konkreten Aktionsfeldern und dem Umgang mit hoher Komplexität.

CONSULTING.de: Sie sehen in Ihrem Buch vier verschiedene Aktionsfelder, in denen sich ein Change-Prozess bewegt. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Modell von anderen, bereits bekannten Theorien und an welchen haben Sie sich eventuell auch orientiert?

Thomas Perry: Wir haben uns dabei an keinen bekannten Theorien orientiert, aber wir hatten natürlich den fachlichen und theoretischen Hintergrund im Kopf. Wir wollten aber nicht deduktiv Theorie empirisch unterlegen. Uns ging es darum, die Realität aufzugreifen und zu behandeln. Wenn Sie so wollen, mal eher induktiv vorgehen. Dafür haben wir viele und lange, sehr explorative Interviews mit Leuten geführt, die Change-Vorhaben initiierten, begleiteten und gestalteten. Wir haben ihnen dabei viel Raum gelassen, um zu sehen, was sie überhaupt für erwähnenswert halten, wie sie ihre Erfahrungen einordnen und was sie daraus gelernt haben. Wir haben sie aber auch immer dazu gebracht, konkret zu werden und die Geschehnisse und Geschichten zu erzählen, auf die sie sich beziehen. Meinungen und apodiktische Aussagen reichten uns nicht. Wir haben uns dabei an die Methoden explorativer Gesprächsführung gehalten, wie wir sie in unserer Forschung ständig anwenden und wie sie auch z.B. dem Corporate History Telling zugrunde liegen, das vom MIT entwickelt wurde und das uns zusätzliche Inspiration war. Im Ergebnis haben wir dadurch jede Menge Material gewonnen, um nicht nur zu erklären, wie Change scheitert, sondern auch, wie er gelingen kann. Die vier Aktionsfelder sind ebenso ein Teil dieses Know hows wie die sehr wichtige Erkenntnis, dass man sie ALLE braucht.

Thomas Perry, Robert Wreschniok, Nina Leffers und Sebastian Morgner in einer Illustration von Jan Reiser, MLI Leadership Institut
Thomas Perry, Robert Wreschniok, Nina Leffers und Sebastian Morgner in einer Illustration von Jan Reiser, MLI Leadership Institut

CONSULTING.de:
Entsprechend der vier Aktionsfelder identifizierten Sie auch vier charakteristische Change-Typen, die die Veränderung an jeweils bestimmten Punkten durch ihre Talente vorantreiben, zum falschen Zeitpunkt aber auch blockieren können: den Sinnstifter, den Macher, den Ideenmoderator und den Strukturierer. Wie kann ich als Unternehmen diese Typen in meiner Belegschaft erkennen und dafür sorgen, dass die jeweiligen Gruppen im richtigen Moment zueinander finden?
 
Thomas Perry: Im Buch selbst werden die Typen sehr ausführlich beschrieben und charakterisiert. Wir beschreiben dort sehr konkret wie sie sich im Arbeitsalltag verhalten. Ich denke, daran wird der aufmerksame Beobachter schnell erkennen, welcher Kollege in welche Richtung tendiert.

Aber die vier Typen sind ja nicht in erster Linie eine Typologie der Mitarbeiter, sondern eine Art Stellenbeschreibung für essenzielle Funktionen in Change-Projekten, für die sie dann auch die richtigen Leute brauchen. Ein Beispiel ist der Ideenmoderator: Damit die Veränderung wirklich gedeihen kann, braucht man ein Umfeld, das die kreative Energie der Mitarbeiter mobilisiert und fördert. Das ist das Credo und die Aufgabe des Ideenmoderators. Er ist Gestalter, Enabler, Motor und Anwalt dieses Umfelds. Er weiß, wie man Veränderung und Innovation aus dem Inneren der Organisation heraus entwickelt und nicht top-down verordnet. Er bezieht Führungskräfte und Mitarbeiter ein. Er spricht und arbeitet mit ihnen, damit sie mit ihren Ideen die neue Realität mitgestalten und sich deshalb auch identifizieren können. Ohne ein solches Umfeld kommt man nicht an das kreative Potenzial und die nötige Motivation der Mitarbeiter heran. Man schafft es nicht, die angestrebte Veränderung als gelebte Realität bis tief in das Unternehmen hinein zu implementieren.

Klare Kommunikation als Basis für gelungenes Change Management

CONSULTING.de: Sie sehen in der klaren und nachvollziehbaren Kommunikation untereinander einen zentralen Baustein für ein gelungenes Change Management. Doch wie lässt es sich in heutigen Unternehmen gewährleisten, dass die Botschaft des Topmanagers genauso beim Mitarbeiter ankommt, wie sie gemeint ist? Und wie schafft es ein motivierter Mitarbeiter mit Detailwissen, bei den Entscheidern Gehör zu finden, um Probleme ansprechen zu können?

Thomas Perry: In vielen Unternehmen stöhnen die Menschen heute über die hohe Geschwindigkeit, Komplexität und Informationsflut. Kaum ein Unternehmen ohne Intranet, Newsletter, PowerPoint Schlachten, Excel-Fluten, Townhalls. Eigentlich müssten wir heute von den am Besten informierten Mitarbeitern aller Zeiten ausgehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Ruf nach besserer Kommunikation und Orientierung wird immer lauter und nicht leiser. Woran liegt das? Wir glauben in unserem Buch zwei wichtige Ansatzpunkte identifiziert  zu haben:

Erstens: In den meisten Unternehmen lautet die Antwort auf die hohe Komplexität "Simplicity" – wir müssen wieder einfacher werden. Doch in der Kommunikation führt genau diese Sehnsucht nach Einfachheit zu den größten Missverständnissen. Der Leitspruch "Keep it short and simple" wird von vielen Unternehmen als Einladung verstanden, in "Claims", "Parolen", "Kernbotschaften" und Werbe-Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern zu sprechen. Wir glauben hingegen, dass die Antwort auf die Herausforderungen von Komplexität "Kontext" und "Erleben" heißt. Man muss das, was man will, in den Kontext derer überführen, die man erreichen will. Wer also von Mitarbeitern fordert, agiler zu werden, muss ihnen an ihrem Arbeitsfeld erklären können, wie das geht und wie man das macht. Dann werden viele Entscheidungen auf einmal nachvollziehbar, sehr transparent und auf ganz neue Art "einfach". Das ist übrigens ohnehin nötig. Denn wenn man das nicht kann, hat man ja selbst noch gar nicht richtig verstanden, was die Forderung praktisch bedeutet. Dann bleibt es bei einem abstrakten Ziel, ohne den Weg dorthin zu kennen.

Zweitens: Ein zentraler Schlüssel dafür ist die Kommunikation, und zwar mit Blick auf Inhalte, Ausdrucksformen und Sprache. Nehmen wir noch mal die Parole "Wir müssen in Zukunft agiler werden". Wie wird das vermittelt? Mit bloßem Wiederholen erreicht man nichts, egal wie viele Kanäle und Events wir benutzen. Stattdessen muss man konkret werden und sagen, was es bedeutet und wie es geht, agil zu sein eigentlich. Denn zum einen versteht jeder etwas anderes darunter und man kann die Interpretation nicht beliebig lassen. Zum anderen bedeutet sie in jedem Aufgabenfeld etwas Spezifisches. Man muss also zeigen, was Agilität im Kontext der Buchführung heißt, im Marketing oder Vertrieb, in der Produktentwicklung und was jeder Mitarbeiter konkret dazu beitragen kann. Nun ist Agilität ja noch eine geringere Herausforderung, weil der Begriff relativ neu und daher sowieso erklärungsbedürftig ist. Aber denken Sie mal an alltäglichere Begriffe wie "Kundenzufriedenheit", Servicementalität etc. Für Change-Projekte ist das elementar. Einerseits, damit jeder weiß, was er oder sie tun kann und soll. Andererseits, weil damit immer auch Erwartungen und Auseinandersetzungen verbunden sind.

Kommunikation ist deshalb nicht nur Vermittlung und Verlautbarung, sie ist nicht davon zu trennen, die Aufgabe selbst zu bewältigen. Deshalb ist sie absolut entscheidend. Übrigens in alle Richtungen, nicht nur von oben nach unten.

Situative Führungskompetenz ist der Schlüssel

CONSULTING.de: Dem mittleren Management gestehen Sie in Ihren Ausführungen eine Schlüsselposition zu, da es sich oft in einer Sandwichposition befindet, in der es die häufig sehr abstrakten Ideen des Topmanagements in die gelebte Alltagspraxis der Mitarbeiter übersetzen muss. Was zeichnet unter diesen Voraussetzungen den perfekten Manager im mittleren Verantwortungsbereich aus? Lässt er sich einem der vier Change-Typen zuordnen oder sollte er von allen etwas haben?

Thomas Perry: Ich denke die wichtigste Erkenntnis ist, dass es in verschiedene Situationen unterschiedliche Stärkenprofile geben muss. Ein Manger der seine Leute toll motovieren kann, das Abenteuer in Angriff zu nehmen, kann deshalb noch keinen Ideenprozess moderieren, sondern schießt mit seinen eigenen Ideen und Vorstelllungen vielleicht permanent dazwischen. Einem tollen Strukturierer fällt es vielleicht schwer, Ziele so erstrebenswert zu vermitteln, dass Kollegen direkt die Ärmel hochkrempeln um sie zu erreichen. Der Suchauftrag lautet also: Kenne Deine Defizite und finde Kollegen für Dein Team, die diese für Dich ausgleichen. Sei Dir bewusst, wo du den größten Unterschied machen kannst und wann andere schneller, besser und richtiger unterwegs sind. Kurz: Situative Führungskompetenz ist der Schlüssel.

CONSULTING.de: Angesichts Ihrer Ergebnisse kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass ein Change-Prozess aufgrund seiner Komplexität viel Zeitaufwand beansprucht, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Wo sehen Sie am ehesten Potential, das Vorgehen zu straffen? Und an welchem Punkt sollte keinesfalls mit Sorgfalt gespart werden?

Thomas Perry: Ja, Change braucht Zeit, weil es immer darum geht, Altes abzulegen und Neues zu lernen und anzuwenden. Das funktioniert nicht per Knopfdruck. Aber wenn man beachtet, was so ein Projekt braucht, wenn man Change überschaubar gestaltet, statt zu überladen, wenn man richtig plant, statt die Vorbereitung zu vernachlässigen, wenn man seine eigene Lernfähigkeit organisiert, statt sich stur zu stellen, wenn man die nötigen Ressourcen hat, statt zu wenig Leute und Budget – dann kann man viel Zeit sparen. Vor allem aber kann man die Erfolgschancen erheblich verbessern. Und Scheitern, da sind wir uns sicher einig, ist die größte Zeitverschwendung.

CONSULTING.de: In den meisten Fällen laufen Change-Prozesse beispielsweise parallel zum normalen Tagesgeschäft ab, was alle Involvierten zusätzlich unter Druck setzt. Plädieren Sie im Hinblick auf Ihre Erfahrungen dafür, den Unternehmensalltag bei wichtigen Veränderungen auch mal bewusst hinten anzustellen, damit sich die Beteiligten auf den Change-Prozess konzentrieren können?

Thomas Perry: Das kommt darauf an, über wen Sie hier reden. Der Unternehmensalltag kann und muss nicht hintenangestellt werden. Aber natürlich gibt es Projektverantwortliche, die genügend Zeit haben müssen. Bei größeren Projekten müssen sie sich voll darauf konzentrieren können. Es gibt natürlich auch die betroffenen Mitarbeiter, die Zeit und genug freien Kopf brauchen, um ihren Teil beitragen zu können. Es gibt das mittlere Management, das ihren Teil der Aufgabe bewältigen muss. Man muss also zwangsläufig anderen Dingen etwas wegnehmen, wenn man Veränderung realisieren will. Da kommt man kaum dran vorbei.

CONSULTING.de: Abschließend eine Frage mit der Bitte um eine ehrliche Antwort: Haben Sie den in Ihren Augen perfekten Change-Prozess bereits erlebt?

Thomas Perry: Perfekt ist sicher ein relativer Zustand. Aber wenn damit gemeint ist, ob ich Change Prozesse erlebt habe die Ihre Ziele erreichen, übertreffen oder schneller als geplant abgeschlossen waren. Ja, einige. Zwei ganz wichtige Indikatoren sollte man in diesem Kontext erheben: Einmal das Engagement-Level der Mitarbeiter. Das kann sich nämlich in erfolgreichen Change Prozessen deutlich verbessern. Change muss keine Motivationsbremse sein. Und im Management-Efficiency Index. Hier werden die Mitarbeiter befragt wie gut Ihre Führungskraft in der Lage ist, die Strategie oder den anstehende Wandel so zu erklären, dass der Mitarbeiter das Warum, Wie und Was versteht.

Lesen Sie im ersten Teil mehr zu typischen Fehlern im Change-Prozess und zu Realitäten in Unternehmen.

Das Interview führten Thorsten Treder und Claas Lübbert

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