Consulting im Style-Check – Kolumne von Wolfram Saathoff Consultants: Fear the Walking Dead

Von Schwarzweiß- zum Farbfoto
Als am 17. Dezember 1903 Orville Wright in seiner Kitty Hawk zum ersten motorisierten Flug in der Geschichte der Menschheit abhob, stand John T. Daniels direkt daneben und hielt mit seiner Kamera drauf. Es entstand ein für diese Zeit erstaunlich scharfes Schwarzweißfoto dieses historischen Ereignisses.
Als am 02. Mai 1975 meine Mutter 24 Jahre alt wurde, stand mein Großvater direkt daneben und hielt mit seiner Kamera drauf. Es entstand ein für seinen Alkoholpegel erstaunlich scharfes Farbfoto dieses deutlich weniger historischen Ereignisses.
Irgendwo zwischen diesen beiden Ereignissen steckengeblieben: die Beratungsbranche. Zumindest wenn man ihren Internetseiten, Broschüren und LinkedIn-Profilen glaubt: hüben wie drüben Schwarzweißfotografie wie zu Zeiten der Wright-Brüder.
Aschgrau, Steingrau, Mausgrau
Im Gerhard-Schröder-Gedächtnis-Look sitzen die Seniorberater brioni-beanzugt und manschettengeknöpft im Licht der alten Meister mit ernstem Gesichtsausdruck, wahlweise superernst in die Kamera oder schicksalsschwanger in eine ›spannende‹ Zukunft blickend, in dem festen Glauben, Schwarzweißfotografie wirke irgendwie edel, seriös und arriviert.
Und verströmen den Mief einer - sagen wir wie’s ist - Beerdigung in besseren Kreisen, wie Loriot sie nicht hätte passender parodieren können. Aschgrau, Steingrau, Mausgrau ...
Aber wirkt Schwarzweiß tatsächlich edel und arriviert? Vermittelt ein Mensch Seriosität, Ernsthaftigkeit, Charakter, Persönlichkeit, Authentizität undsoweiterundsofort, nur weil er seinen Fotos die Farbe aussaugt wie Dracula der Jungfrau das Blut?
Wirken Schwarzweiß-Fotos wirklich seriöser?
Diese Praxis kennen wir aus der Politik. Klar, ein Armin ›Und darauf können Sie sich verlassen‹ Laschet sieht in Schwarzweiß attraktiver aus als in Farbe (der Tinder-Effekt). Bei Christian ›Ich bremse nur für Schulden‹ Lindners FDP ist das Schwarzweiß ein absolut notwendiger Augenschmeichler neben dem psychedelisch-durchgedrehten Magenta-Gelb-Cyan-Allerlei. Und Olaf ›Olaf Scholz‹ Scholz, nun ja, würde man in Farbe erst gar nicht wiedererkennen.
Aber mal Hand auf’s Beraterherz: Stellen Sie sich mal vor eines dieser nichtssagenden Schwarzweiß-Plakate, sehen Sie dem abgebildeten Politiker ins photogeshoppte Gesicht und stellen sich die Frage: Glaube ich dem? Würde ich dem das Schicksal meines Unternehmens anvertrauen? Oder wirkt er auf mich einfach nur prätentiös, wenn nicht gar eitel?
The walking dead in black & white
Dass sich Beratungsunternehmen Gedanken über ihre Außenwirkung machen, liegt in der Natur der Sache. Seriosität, Vertrauenswürdigkeit, Expertise und Ernsthaftigkeit sind für sie keine hohlen Buzzwords, sondern geradezu Daseinsberechtigung. Umso wichtiger ist es, dass man sie nicht durch längst überholte Gewohnheiten konterkariert.
Es sei darauf hingewiesen, dass sich seit dem vergangenen Jahrtausend viele Konventionen verschoben haben. Vor allem sind durch neue Techniken (ich sag nur: Retinadisplay) die Sehgewohnheiten andere geworden. Und da wirkt, wer sich auf einem Bildschirm, der 16,7 Millionen Farben anzeigen könnte, in 256 Grautönen darstellt, nicht modern, nicht innovativ, sondern wie ein wandelnder Toter. Ein Dinosaurier, der noch nicht weiß, dass seinesgleichen vor ein paar Jahrhunderten ausstarb, während die Konkurrenz in lebensbejahendem Bunt dem Betrachter Lust auf ein Kennenlernen macht.
Verlassen Sie das Reich der Untoten
Also: Treten Sie ins Licht der Gegenwart, schütteln Sie den Staub ab und zeigen Sie sich der Welt in Ihrer vollen Farbpracht. Andernfalls seien Sie wenigstens so konsequent und lassen sich direkt in Öl malen — wenn schon aus der Zeit gefallen, dann doch bitte gleich richtig!
Über die Person
Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org
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