#1Blick vom Beratungsforscher Hört auf mit den Consulting-Quatschzahlen!

Ob zum Zwecke der Skandalisierung oder zur Verschleierung - über das Beratungs-Business kursieren allerhand Zahlen, die einer halbwegs kritischen Überprüfung nicht standhalten. (Bild: picture alliance / Westend61 | Kike Arnaiz)
Verschwiegenheit, Vertraulichkeit & Geschäftsgeheimnisse
Ja, die Branche ist in ihrer eigenen Art verschwiegen. Es wird zwar an der Oberfläche viel über erbrachte Heldentaten und Projekterfolge, Chancen und Potentiale für die Kunden sowie persönliche Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten gesprochen. Beim Versuch, einen Blick auf konkrete Projektdetails und Vorgehensweisen zu erhaschen, wird die Informationssuche aber in der überwiegenden Zahl der Fälle ausgebremst. Vertraulichkeitsvereinbarungen mit dem Kunden oder eigene Geschäftsgeheimnisse werden dann etwa als Grund genannt. Häufig zu Recht.
Und auch wenn vom Einzelfall beziehungsweise dem individuellen Auftrag auf die Unternehmensebene oder sogar die der Gesamtbranche abstrahiert wird, ist die Datenlage oft mau: Im Bundesanzeiger einsehbare Finanzdaten verschiedener Unternehmen sind nicht immer gut vergleichbar. Die Marktforscher von Lünendonk & Hossenfelder müssen teilweise mit Schätzungen arbeiten, um ihre Listen mit Umsatz- und Mitarbeiterzahlen zu erstellen, und der BDU erstellt seine jährliche Studie für den deutschen Gesamtmarkt auf Basis einer Umfrage unter 400 teilnehmenden Beratungen (von 26.500 in Deutschland; so der BDU).
Die teilweise vergleichend nutzbaren Daten des Statistischen Bundesamtes sind zwar offizieller beziehungsweise amtlicher, hängen jedoch zeitlich etwas hinterher, und die Bundesregierung erstellt erfreulicherweise jährlich einen so genannten Beraterbericht – hält diesen aber geheim.
Quatschzahlen
Trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten: Die manchmal unbefriedigende Datenlage darf nicht dazu führen, Dinge zu produzieren, die als Consulting-Quatschzahlen zu bezeichnen sind. Und nicht Aussagen über etwa Profitabilitätsmargen von bis zu 60 Prozent, über die vor wenigen Tagen in einer großen Wirtschaftszeitung zu lesen war. Der Wert erscheint zwar hoch und entspricht vermutlich nicht dem branchenüblichen Niveau, die Formulierung ist aber mit dem Weichmacher „bis zu“ versehen; es braucht also nur eine Beratung (oder eine einzelne Person), die diesen Wert erreicht, dann ist die Aussage korrekt. Man kann sich zwar noch über ihre Aussagekraft unterhalten, das ist aber ein anderes Feld.
Beispiel: Falsche Zahlen, die hübsch klingen
Quatschzahlen sind viel mehr hier zu finden:
Ein auflagenstarkes Wirtschaftsmagazin schreibt in seinem jährlichen Schwerpunktheft über die Branche, dass die „Ausgaben der Bundesregierung für externe Beratungs- und Unterstützungsleistungen“ im Jahr 2021 enorme 580 Millionen Euro betragen haben sollen. Das wird sogar extra groß und auffällig gesetzt. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Die Zahl ist falsch. Aus der Quelle sind nicht die 2021er Ausgaben abgeschrieben worden, sondern das Gesamtvolumen aller im Jahr abgeschlossenen Verträge – inklusive der Rahmenverträge, die wiederum mehrjährig laufen. Die sogenannten haushaltswirksamen Ausgaben für 2021 wurden in dem Papier übrigens mit 208 Millionen Euro angegeben. Auch nicht wenig, aber halt auch nur ein knappes Drittel der publizierten Zahl.
Misslungener Skandalisierungsversuch
In einem zweiten Beispiel versuchen verschiedene Medien (und mindestens eine Politikerin) mit einer Überschrift zu punkten, die vielleicht einen Skandal implizieren soll. Sie lautet: „Innenministerium zahlte bisher 1,3 Millionen Euro für Berater“! In den Texten selbst wird dann noch spezifiziert, dass es sich dabei um die Ausgaben für externe Beratungsfirmen seit dem Antritt der Regierung handele. Tja – auch hier lohnt der Blick in die Datenquelle. Die Grundlage für die Aussagen ist die Antwort der Bundesregierung auf eine sogenannte Kleine Anfrage. In ihr haben Oppositionspolitiker verschiedene Fragen rund um den Einsatz von externen Beratern durch die Bundesregierung formuliert.
Die Frage 3e lautete beispielsweise nach der Höhe der „Kosten für Gutachten und/oder Studien“ für das Innenministerium. Frage 4 war dann: „Mit jeweils welchem Auftragsvolumen hat das BMI […] Verträge mit externen Dritten für Beratungs- und Unterstützungsleistungen geschlossen?“ Auf die Frage 3e hat die Regierung gewünscht kleinteilig geantwortet – zählt man die Beträge zusammen, dann kommen 1,3 Millionen Euro zusammen. Auf die andere Frage sagt die Regierung sinngemäß: „Sagen wir nicht“ und verweist dabei auf den jährlich zu erstellenden Beraterbericht, der dem Haushaltsausschuss des Bundestages zugeleitet wird.
Und was machen die oben angesprochenen Medien (und die Politikerin)? Sie nehmen das Ergebnis der einen Frage nach den Gutachten und Studien – und beantworten sich damit selbst die andere Frage nach den Beratungsleistungen.
Stockfehler: Plausi-Check nicht gemacht!
Neben dem Vertauschen von zwei grundverschiedenen Aktivitäten ist hier noch ein weiterer Punkt auffällig: Das Ausgabenvolumen ist erstaunlich gering! Klar, 1,3 Millionen Euro sind viel Geld – aber eben auch überschaubar im Vergleich zu den Werten der vergangenen Jahre oder auch zu denjenigen, die von einem Parteifreund der Politikerin nach einem halben Jahr der Ampel-Regierungszeit abgefragt wurde: Hier waren es 271 Millionen Euro für alles Ressorts – und 237 Millionen für das Innenministerium. Dieser Wert hatte Mitte 2022 für Schlagzeilen und Aufregung gesorgt. Ein kurzer Quercheck und eine kleine Plausibilitätskontrolle wären ausreichend gewesen, um diesen Stockfehler leicht zu entdecken.
Neben dem fachlichen Quatsch macht aber noch ein Punkt nachdenklich, der hier Offtopic ist, aber dennoch Gehör finden darf und auch muss:
Die Regierung scheint die Opposition auszubremsen. In der Vergangenheit sind Fragen nach dem Ausgabevolumen durchaus mit konkreten Zahlen je Ressort beantwortet worden – obwohl es auch damals schon den Beraterbericht gab. Jetzt mag man offenbar nicht mehr.
Unklare Quellenlage
Und ein drittes Beispiel kann noch hinzugefügt werden, wobei eine halbwegs seriöse Verleihung des „Quatsch-Siegels“ nicht erfolgen kann – einfach, weil die Erhebungsmethode der Daten unklar ist. Im vorliegenden Fall ist es ein Marktforschungsunternehmen, das berichtet, in Deutschland seien 90.880 Beratungsunternehmen mit 296.289 Beschäftigten aktiv, welche wiederum 42 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Das Bezugsjahr ist leider nicht öffentlich zugänglich, aber die Daten sehen wie ein Mix aus BDU- und Statistisches Bundesamt-Daten aus: Die jüngsten Daten der amtlichen Statistik sprechen von knapp 83.000 rechtlichen Einheiten und 269.182 in diesem Feld tätigen Personen, der BDU hat für 2022 ein Umsatzvolumen in Höhe von 44,3 Milliarden Euro ermittelt – aber mit „nur“ 173.000 Consultants beziehungsweise 220.000 Beschäftigten und 26.500 Beratungsunternehmen.
Was nun? Was tun?
Wenn man sich diese Gemengelage der Daten und Informationen anschaut, dann ist eine Bitte an drei Personengruppen zu formulieren:
- Urheber oder „Entwickler“ von Zahlen, Daten und Fakten machen sich bitte vor der Veröffentlichung Gedanken über die Plausibilität ihrer News.
- Vermittler, etwa Zeitungen, sind gut beraten, zugelieferte Werte nicht blind zu übernehmen, sondern sie mit anderen Daten zu vergleichen – und nur zu publizieren, solange es keine Widersprüche gibt oder diese offenlegen und diskutieren.
- Und auch Leserinnen und Leser müssen offenbar derzeit doppelt kritisch auf Informationen schauen und selbst einschätzen, inwieweit sich neue Informationen und bereits bekannte ein stimmiges Bild ergeben.
PS: Oben sind bewusst keine Personen- oder Organisationsnamen genannt, da ein einfaches Fingerpointing nicht im Mittelpunkt des Textes steht. Intention ist vielmehr, ein kritisches Bewusstsein für den Umgang mit präsentierten Daten zu schärfen. Unbeschadet dessen und für diejenigen, die einzelne Beispiele nachvollziehen wollen: Eine kleine Internetrecherche wird bei Bedarf zügig zu den Quellen der Consulting-Quatschzahlen führen; und wenn das nicht hilft: Einfach fragen!
Über die Person
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr
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