Interview zum neuen Buch: "Consulting - Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch" "Das Buch ist einfach origineller als ein weiterer Pullunder oder die nächste diagonalgestreifte Krawatte"

Braucht es noch ein weiteres Lehrbuch fürs Consulting? Es ist eigentlich das erste Lehrbuch überhaupt, sagen die beiden Professoren und Autoren Thomas Deelmann und Andreas Krämer, die für Studenten ein umfangreiches und aktuelles Kompendium über die Consultingbranche zusammengestellt haben.

Interview zum neuen Buch: Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch von Deelmann und Kraemer (Bild: SNFV GmbH)

Die "wichtigste" Frage vorweg: Was können Imker von Beratern lernen und umgekehrt? Und warum setzen Sie sich in dem Buch überhaupt mit Imkern auseinander?

Thomas Deelmann: Nun ja, genauso wie Bienen von einer Blume zur nächsten fliegen, bewegen sich Beraterinnen und Berater von einem Betrieb zum nächsten. Die einen transportieren Pollen, die anderen Powerpointfolien. Und Imker und Beratungsunternehmen versuchen, diesem Prozess einen gewissen Rahmen zu geben! So einfach ist das!

Aber Spaß beiseite: Uns ist irgendwann aufgefallen, dass es in Deutschland zwar mehr Imkerinnen und Imker gibt, als Beraterinnen und Berater, letztere aber intensiver wahrgenommen zu werden scheinen.

Andreas Krämer: Wir haben dann das Thema in einer eigenen Studie aufgenommen, deren Ergebnisse zum Thema Image der Unternehmensberater auch bereits auf CONSULTING.de vorgestellt und diskutiert wurden. In der repräsentativ angelegten Studie "OpinionTRAIN", die exeo und Rogator im Mai 2020 in vier europäischen Ländern durchgeführt haben, erhalten die Teilnehmer eine entsprechende Frage zur Abschätzung der Größenverhältnisse der Berufsträger. Das Ergebnis: Drei Viertel der Studienteilnehmer schätzen die Anzahl der Unternehmensberater im eigenen Land größer als die Zahl der Imker ein ... und liegen damit falsch. Ein gutes Beispiel für eine Wahrnehmungsverzerrung, die natürlich auch sehr schön zu unserem Thema passt und unsere Vermutung bestätigt: Unternehmensberater werden also in der Öffentlichkeit (besonders) intensiv wahrgenommen. Und über diese Situation kann man ja durchaus einmal nachdenken: Warum ist das so? Wie schaffen die das? Welche Gefahren lauern?

Herr Deelmann und Herr Krämer, warum braucht es überhaupt ein neues Lehrbuch zum Thema "Consulting"? Was unterscheidet das Buch von anderen Lehrbüchern in diesem Bereich? Was gibt es hier, was es nicht schon in fünf anderen Lehrbüchern genauso gibt?

Thomas Deelmann:

Mit Verlaub, es ist nicht "ein neues", sondern es ist eigentlich das erste Lehrbuch.

Selbstredend gibt es Texte, die in "Consulting"-Vorlesungen genutzt wird. Da sehe ich dann aber meistens Werke, die einen sehr umfassenden und ausladenden Charakter haben. Da steht dann das gesammelte Wissen der Autorin oder des Autors drin.

Unser Ziel war es, knapp zu bleiben und Material für genau eine Vorlesung in genau einem Semester zusammen zu stellen. Hier war weniger mehr.

Zum anderen bieten wir nicht nur den reinen Fachinhalt an, sondern auch einen ergänzenden didaktisch-methodischen Rahmen. Einführende Leitfragen zum Beginn eines neuen Themas sowie Wiederholungsfragen, Diskussionsstellungen, weitere Denkanregungen und eine Liste von Fachbegriffen am Ende eines Themas bilden ein Grundgerüst, das als Lehr- und Lernunterstützung für Studierende und Lehrende dienen kann.

Andreas Krämer: Das stimmt. Wir versuchen einerseits, das Thema strukturiert, distanziert und objektiv anzugehen. Als Autoren wollen wir Optionen aufzeigen und nicht unsere Meinung aufoktroyieren. Zusätzlich geben wir Experten aus der Branche - und das sind nicht nur Berater, sondern auch Kunden und beobachtende Dritte - die Möglichkeit, ihre Sicht auf bestimmte Facetten darzustellen, die im Buch behandelt werden. Das schafft bewusst Subjektivität.

Damit setzen wir uns ganz konkret vom eher sterilen Charakter der Lehrbücher ab, die man aus anderen Fächern kennt.

Aber auch ohne die Spitzfindigkeit, den Charakter eines Lehrbuchs zu besprechen: Ein neues Buch hat natürlich immer die Möglichkeit, einen dann neuen und erweiterten Wissenstand zu reflektieren und ist damit ein positives Zeichen der Weiterentwicklung des Fachs! Es ist ja nur eingeschränkt sinnvoll, auf dem Stand vom Anfang des Jahrtausends zu arbeiten und dabei die Digitalisierung und Automatisierung in der Beratung, das Etablieren von Freelancer-Portalen oder auch die Berateraffäre und andere jüngere Skandale auszublenden!

Für wen ist das Buch in erster Linie gedacht? Für Ihre Studenten?

Andreas Krämer: Genau, Studierende sind eine wesentliche Zielgruppe. Nicht nur zwingend diejenigen in unseren Vorlesungen, sondern auch diejenigen, die an anderen Hochschulen studieren. Den größten Teil der Inhalte haben wir ganz auf diese Gruppe ausgerichtet und sie so kombiniert, dass sie einen Karriereweg spiegeln: Von der Bewerbung über den Einstieg und erste Managementaufgaben im Projekt bis zur Leitung einer Beratung.

Gleichzeitig sind aber auch die Dozenten angesprochen. Ihnen wollen wir eine Grundlage anbieten, die sie um ihre eigenen Erfahrungen und eigenen Materialien anreichern können. Das ist neben der sorgsamen Aufbereitung der Inhalte und den Verweisen auch die Möglichkeit, auf vorgedachte Fragen oder auch Abbildungen zurückgreifen zu können.

Und um nicht nur das Mainstream-Consulting zu behandeln, haben wir auch links und rechts geschaut und gehen auch auf weniger verbreitete Beratungsansätze und -anbieter ein: Lassen Sie mich hier nur die Gruppe der Studentischen Beratungen nennen oder den systemischen Ansatz - beide greifen nur einen kleinen Teil des Gesamtmarktes ab, aber sie gibt es und sie sollten unserer Meinung nach auch vorgestellt werden.

Um diese beiden Ziele, die wir mit dem Buch haben, zu unterstreichen, stehen die Begriffe Lernbuch und Lehrbuch im Untertitel!

Warum sollte das Buch auch für erfahrene Berater unterm Weihnachtsbaum liegen?

Thomas Deelmann: Weil das Buch einfach origineller ist als ein weiterer Pullunder oder die nächste diagonalgestreifte Krawatte mit dem identischen gestalteten Einstecktuch in der praktischen Geschenkbox!

Aber Spaß beiseite. Aus Reichweitensicht wäre ich mit der gerade beschriebenen Zielgruppe der Studierenden durchaus zufrieden. Aber die Intention war ja eine andere und hier kommt der dritte Begriff ins Spiel, der noch im Untertitel zu finden ist: Das Lesebuch. Uns war wichtig, Stimmen von anderen Fachleuten zu hören und sie unverstellt wiederzugeben. Wir wollen ja nicht missionieren, sondern informieren! Genau deshalb sind über 20 Experten zu Wort gekommen und haben uns zu ganz bestimmten Aspekten ihre Einschätzungen und Erfahrungen mitgeteilt.

Dadurch wird der Lern- und Lehrcharakter jedes Kapitels durch meistens zwei Interviews um einen Lesebuchaspekt ergänzt. Hier sind es nicht Krämer und Deelmann, die ausgewogen Inhalte und Sachinformationen zusammentragen und aufbereiten. Sondern es sind teilweise sehr persönliche und ungeschminkte Einschätzungen, die eine erweiterte und tolle Perspektive bieten: Wie geht es dem Berater wirklich, wonach sucht die erfahrene Kundin ihre Dienstleister aus, was denkt die Forscherin über die Entwicklung der Branche? Interessante Einblicke, die hier zu Tage kommen!

Und schließlich haben erfahrende Beraterinnen und Berater dann vielleicht neben dem Lesevergnügen der Interviews auch noch ein Aha-Erlebnis, wenn sie an anderer Stelle eine Passage entdecken, die bisher in der beraterischen Praxis durch einen blinden Fleck verdeckt wurde.

Andreas Krämer: Angesprochen sollen sich auch diejenigen fühlen, die sich in kompakter Weise informieren möchten - und dabei nicht auf der Suche sind nach Antworten auf Fragen wie "Wer sind die größten Nieten in der Beratungsbranche", die "10 golden Vertriebs-Tipps für den Consultant" oder "Wie man in 7 Tagen als Beraterin erfolgreich werden kann". Die Schnittstellen zwischen Unternehmensberatung und angrenzenden Professionen - also Rechtsberatern, Agenturen, Marktforschern et cetera - verschwimmen zunehmend. Dieser Entwicklung möchten wir mit dem Buch auch gerecht werden und interessierten Lesern von außerhalb der Beraterbranche eine "Einstiegsmöglichkeit" geben.

Wie sind Sie denn bei der Auswahl der zahlreichen Interviewpartner vorgegangen? Die ganz großen Namen fehlen ja in der Auswahl.

Andreas Krämer: Zum Interview gehören ja immer zwei Parteien: Eine, die Fragen stellt und eine, die die Fragen beantworten kann und möchte. Ausgehend von dieser Situation war manches einfach nicht möglich.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen: Gerne hätten wir ein Interview mit einem der "ganz großen Namen", zum Thema Alumni-Netzwerke geführt. Einer von uns ist sogar Teil dieses Netzwerkes. Leider gab es eine Absage, weil wir uns bei der Kontaktperson in der Beratung "unvorsichtigerweise" nicht mit einer eher neutralen Hochschul-Mailadresse, sondern mit einer anderen gemeldet haben. Trotz einer klaren Erläuterung des Anliegens in der Anfrage gab es dann eine Absage mit der Begründung: Das geplante Buch würde offensichtlich von einem Berater verfasst, daher würde ein Interview in diesem Fall nicht möglich sein. Auch das wirft ja ein Bild auf das Selbstverständnis einzelner Anbieter. Auf so einen "Maulkorb" sind wir bei den großen Beratungen mehrfach gestoßen. Insofern vielen Dank für Ihre Frage und die Möglichkeit, diesen Zusammenhang einmal kurz erläutern zu können.

Thomas Deelmann:

Genau! Beim "Marketingsprech" sind die "großen Namen" vorne mit dabei, wenn es aber konkret wird, dann werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgehalten.

Ergänzend dazu finde ich aber, dass Sie eine interessante Einschätzung tätigen! In Summe beschreibe ich unsere Interviewpartner lieber als Crème de la Crème derjenigen, die im Kontaktfeld von Praxis, Forschung und Lehre, von Beratungs-, Kunden- und Marktbeobachterperspektive zu finden sind. Wir haben einen tollen und sehr heterogenen Mix an Interviewpartnerinnen und -partnern zusammenstellen können, die alle über eine Top-Reputation verfügen.

Wichtig war bei der Auswahl nicht, dass ein "großer Namen" hinterlegt ist, sondern dass die Interviewpartner etwas zu sagen haben und das auch wirklich tun! Hier unterliegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der "großen Namen" häufig einem PR- und Media-Maulkorb. Und für Plattitüden war uns der Platz im Buch und dann auch die Zeit der Leserinnen und Leser zu schade.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Andreas Krämer: Ich bin zunächst zufrieden damit, dass wir das Buch trotz der längeren Bearbeitungszeit finalisiert haben.

Inhaltlich finde ich drei Aspekte besonders gut: Erstens, obwohl wir als Berater selbst tätig sind beziehungsweise waren, war es das Ziel, mit dem Buch einen distanziert-objektiven Zugang zum Thema zu ermöglichen. Das haben wir geschafft, denke ich.

Zweitens, die Beschreibungen sollten kompakt sein aber dennoch vollständig. Wir wollten keinen Türstopper. Das sollte auch geklappt haben. Mit unseren gut 300 Seiten haben wir ja in quantitativer Hinsicht ein Leichtgewicht produziert, das trotzdem die Perspektiven von Beratern, Kunden und der Gesellschaft aufgreift.

Und drittens bin ich stolz auf die Gespräche mit den Experten, die einzelne Themen auflockern und erfreue mich immer noch daran. Ein schöner Nebeneffekt war, dass wir die Ergebnisse einer eigenen empirischen Untersuchung noch integrieren konnten.

Man schlägt das gedruckte Buch auf und findet trotz intensivem Lektorat vor Drucklegung direkt einen Fehler: Welchen Fehler haben Sie zuerst entdeckt?

Andreas Krämer: Einen kleinen Rechtschreibfehler auf der letzten Seite (Quintessenz). Wir möchten aber keine Details verraten, um die Spannung aufrecht zu halten. Stattdessen der Vorschlag: Wir legen später alle erkennbaren Fehler zusammen. Ein schöner Schritt für die zweite Auflage.

"Consulting - Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung" von Thomas Deelmann und Andreas Krämer (Veröffentlichung Ende September 2020).

Weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie hier.

 


Zu den Personen

Andreas Krämer, exeo Strategic Consulting AG (Bild: SNFV GmbH)
Prof. Dr. Andreas Krämer ist CEO der exeo Strategic Consulting AG aus Bonn und Professor für Preis- und Kundenwertmanagement an der University of Applied Sciences Europe in Iserlohn. Nach dem Studium der Agrarökonomie (1987-1991) und anschließender Promotion (1992-1996) arbeitete er bei zwei führenden internationalen Beratungsunternehmen (1996-2000), bevor er sein eigenes Beratungsunternehmen gründete. Andreas Krämer ist Mitinitiator der Studien "Pricing Lab", "MobilitätsTRENDS" und "OpinionTRAIN" und Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Beiträgen / Paper und von 10 Büchern.

Thomas Deelmann
Prof. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner CONSULTING.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung, berät bei strategischen Fragen und ist unter anderem Herausgeber des Handbuchs der Unternehmensberatung.

/hg, mvw

 

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