Müller meckert Das musste ja so kommen? Wie uns das WM-Aus der deutschen Mannschaft einen Spiegel vorhalten kann

Das WM-Aus der deutschen Fußballnationalmannschaft ist ebenso bitter wie es vermeidbar gewesen wäre. Aber war es auch vorhersehbar, wie viele Fans und Nicht-Fans es jetzt im Nachhinein behaupten? CONSULTING.de-Herausgeber Prof. Horst Müller-Peters erläutert, welche psychologischen Mechanismen uns in solchen Situationen zu falschen Annahmen kommen lassen und welche Erkenntnis Consultants daraus ziehen sollten.

Frust pur. Spieler der deutschen Nationalmannschaft nach dem WM-Aus auf der Ersatzbank. (Bild: picture alliance / Laci Perenyi | Laci Perenyi)

Der 1. Dezember 2022 war kein guter Tag für den deutschen Fußball. Deutschland ist zum zweiten Mal hintereinander schon in der Vorrunde der WM ausgeschieden. Aber es war ein guter Tag (wie übrigens fast jeder Tag, an dem Fußball gespielt wird), um einige psychologische Verzerrungen unserer Informationsverarbeitung und Urteilsbildung quasi „live“ zu beobachten.

 „Niedergang einer Fußballnation“ und ähnlich lauteten die Kommentare in den Medien, begleitet von zahlreichen Erklärungen, warum es ja „so kommen musste“. Wirklich? Schaut man die Spiele einmal genauer an, hat Deutschland gegen die „Fußballmacht“ Spanien ein Unentschieden erzielt, gegen Costa Rica mit zwei Toren Vorsprung gewonnen und war auch im Spiel gegen Japan die meiste Zeit deutlich überlegen, hat dann aber durch schwache 20 Minuten und eine recht singuläre Fehlleistung in der Abwehr eine Niederlage erlitten.

Schaut man noch etwas genauer auf den Spielverlauf, dann wird der enorme Zufallsfaktor deutlich.

Denn: Was ist mit den Flanken, die ganz knapp verpasst wurden, mit strittigen Elfmeterentscheidungen, mit den Torschüssen an Latte, Pfosten oder ganz nah neben dem Tor? Oder auch dem Spielergebnis Japan gegen Spanien, das das Ausscheiden der deutschen Mannschaft erst besiegelt hat? Statistiker wissen: Auch, wenn in einer Reihe von zahlreichen Spielen der Bessere am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mehr Punkte hat, ist der Ausgang einzelner Spiele in höchstem Maße vom Zufall bedingt.

Warum fällt es also den Kommentatoren (und den meisten von uns nicht minder) so leicht, eine plausible und ursächliche Erklärung für das Abschneiden der Mannschaft zu geben? Und warum haben so viele von uns das frühe Aus schon vorher geahnt?

Wie uns Rückschaufehler und narrative Verzerrungen einen Streich spielen

Eine wichtige Rolle dabei spielt aus psychologischer Sicht unser Drang, die Welt zu erklären: Wir lieben in sich schlüssige, kohärente Geschichten, die uns helfen, die Welt zu verstehen. Daher neigen wir dazu, selbst für weitgehend zufallsbedingte oder auch gänzlich unwahrscheinliche Ereignisse plausible Erklärungen zu konstruieren und zugleich Nicht-Ereignisse (also das was nicht eingetreten ist, selbst wenn es vorher wahrscheinlich war) im Nachhinein völlig auszublenden.

Eng damit verbunden ist der sogenannte Rückschaufehler (oder Hindsight Bias). Dieser besagt, dass wir uns nach Eintreten eines Ereignisses gerne einreden, wir hätten es vorher schon gewusst. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren, ich war damals noch Leiter eines Marktforschungsinstituts, haben wir eine große Stichprobe befragt, wer nach der anstehenden Bundestagswahl wohl Bundeskanzler würde. Nach der Wahl, als der zukünftige Kanzler also feststand, haben wir eine andere, strukturell aber identische Stichprobe befragt, welchen Kandidaten man vor der Wahl als Sieger erwartet habe. Und siehe da, im Nachhinein waren weitaus mehr Menschen überzeugt, den richtigen Riecher gehabt zu haben, als es in der Vorher-Befragung tatsächlich der Fall war.

Das Perfide daran ist: Beides, die nachträgliche Konstruktion plausibler Erzählungen (auch narrative Verzerrung genannt) und der Rückschaufehler, hindern uns daran, den geringen Grad der Vorhersehbarkeit der Welt und die Schwäche unser eigener Prognosekraft zu erkennen. Schließlich „musste es ja so kommen“ und „wir haben es uns ja schon vorher gedacht“.

Infolge dieses falschen Feedbacks über unsere Urteilsfähigkeit halten wir die Welt für zu berechenbar und überschätzen unsere eigene Vorhersage- und Einflussmöglichkeiten.

Was lernen wir also daraus:

  • Vergesst den Zufall nicht! Keine Fußballmannschaft wird Weltmeister allein aufgrund ihrer Klasse, niemand wird ein Bill Gates nur durch seine Begabung, und auch das beste Kapitalanlageergebnis ist immer noch eine Mischung von Können und Glück.
  • Unser „Riecher“ ist bei weitem nicht so gut, wie wir uns gerne einreden. Oder noch etwas umgangssprachlicher formuliert: Unverhofft kommt oft.

Und was hat das mit Consulting zu tun? Externe Berater können vielfach die so wichtige Außenperspektive einnehmen und damit bei ihren Klienten ein wichtiges Korrektiv zu den oben beschriebenen Verzerrungen darstellen. Vorausgesetzt natürlich, sie fallen nicht selber darauf rein. Und falls doch: Selbstüberschätzung und Überoptimismus sind gut für unser Selbstbild und unsere psychische Gesundheit. Und das ist ja schließlich auch was wert!

Horst Müller-Peters, Smart News Fachverlag
Horst Müller-Peters ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Marktforschung und Behavioral Economics an der Technischen Hochschule Köln. Zuvor war er Vorstandsvorsitzender der Marktforschungs- und Unternehmensberatungsunternehmens psychonomics AG. Er ist Mitgründer und Herausgeber der Branchenportale CONSULTING.de und marktforschung.de

 

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