Consulting im Style-Check – Kolumne von Wolfram Saathoff Das unauffällige Beraterlein – Wer keinen Mut hat, geht unter

Das menschliche Auge ist wie ein Bergsteiger – es hält sich gerne an etwas fest. Betrachten wir die Websites, Werbebroschüren und LinkedIn-Posts von Beratungsunternehmen, sehen wir jedoch nur spiegelglatte Felswände. Der Blick rutscht ab, zerschellt am Boden und bleibt unbewegt liegen (Smiley mit Kopfverband).

Wenn aus Säbelzahntigern Schmusekätzchen werden (Bild: Haus am Meer).

Wenn aus Säbelzahntigern Schmusekätzchen werden (Bild: Haus am Meer).

Lassen Sie uns zur Abwechslung mal über Literatur sprechen. Als ich 14, 15 Jahre alt war, versuchte ich zum ersten Mal, Schopenhauer zu lesen. Ich hatte ein kleines Buch in der väterlichen Bibliothek gefunden, kaum größer und dicker als eine Zigarettenschachtel. Ich begann zu lesen … legte das Buch weg, schnappte mir eine Schachtel Zigaretten, mein Skateboard und traf mich mit Freunden zum Rauchen.

Ein ganz ähnliches Gefühl beschleicht mich bei der Lektüre des neuen Mosebach, ›Taube und Wildente‹. Martin Mosebach ist, wie Sie bestimmt wissen, ein glänzender Stilist und Ästhetizist, ohne Frage. Aber er wirkt eben auch immer, als würde er nicht für mich, sondern für sich selbst schreiben. Wie Don DeLillo oder Thomas Mann (ich las kürzlich noch einmal ›Tonio Kröger‹ – einfach unlesbar!). Wie alte weiße Männer eben schreiben, wenn sie wissen, dass sie es können. Es ist auf jeden Fall anstrengend zu lesen, so viel sei gesagt! Ähnlich erhebend wie ein Parteiprogramm der FDP: viele schön klingende Worte ohne Inhalt.

Nichts, woran der Blick hängenbleiben soll

Dennoch lohnt sich die Qual der Lektüre, denn in dem Buch geht es unter anderem um das titelgebende Stillleben ›Taube und Wildente‹, mit vollem Namen ›Tote Feldtaube und Wildente‹, gemalt 1884 von Otto Scholderer. Ein schön gemachtes aber nicht sonderlich spektakuläres Bild, ein paar Erdtöne, darauf die in Olaf Scholz-Grau gehaltenen Vögel, kopfüber baumelnd. Ich sag mal so: Nix, was ich mir zwingend übers Bett hängen müsste.

Wäre da nicht dieser (verzeihen Sie mir bitte das Wort) zauberhafte zinnoberrote Punkt auf dem Schnabel der Taube, der die Aufmerksamkeit des Betrachtenden in seinen Bann zieht und ein langweiliges Stillleben mit Spannung auflädt. Inmitten des beratermäßigen Graublau können Auge, Hirn und Aufmerksamkeit an einem Detail hängen bleiben und freuen sich, denn genau dafür wurden sie geschaffen: kleine Unstimmigkeiten in Mustern zu erkennen.

Zum Beispiel den Säbelzahntiger, der sich durch das eintönig schilfgrüne Gras der Steppe an seine Beute anpirschen will. Detail entdeckt, Gefahr abgewendet, der Fittere hat mal wieder survivalt und der Tiger muss hungrig ins Bett.

Eine Fußgängerzone voll Beratungshäusern

Stellen Sie sich eine Fußgängerzone vor, jedoch nicht wie üblich voller Plünnenläden, Optiker, 1-Euro-Läden und Billigbäcker, sondern Beratungsunternehmen. Jedes Beratungsunternehmen wäre ein Geschäft in dieser Straße – das eine Geschäft ist die Filiale eines großen Generalisten, ein anderes, hochspezialisiertes steht eher an der Peripherie, wo die Mieten noch bezahlbar sind. Und so weiter, Ihre Phantasie kann mir folgen!

Jetzt haken wir uns unter und schlendern durch diese Einkaufsstraße voller Beratungsunternehmen.

Überall sehen wir dieselben langweiligen Designs, die in einer blauweinrotsilbergrauen Einheitsmasse verschwimmen. Man sieht die Bäume vor lauter Wald nicht.

Plötzlich taucht jedoch dieses eine Geschäft auf, das mit ein paar kleinen Auffälligkeiten aus der Masse heraussticht. Das Logo ist vielleicht ein wenig verspielt oder die Farben sind etwas gewagter. Aber hey, wir können gar nicht anders, als stehen zu bleiben und mal in die Auslage zu gucken. Warum? Weil es anders ist! Und Unterschiede sind interessant, richtig?

Es muss keine pinke Federboa sein!

Es geht dabei nicht darum, schrill und laut wie Elton John im pinken Federkleid aufzutreten, keine Angst, sondern die kleinen zinnoberroten Punkte im eigenen Angebot zu finden, und diese in die Auslage zu stellen, um sich unterscheidbar zu machen auf einem Markt, der geflutet ist von ähnlichen oder deckungsgleichen Inhalten. Betrachten Sie die Schaufenster (Websites) der Beratungsunternehmen: Alle sind ganz toll in dem, was sie tun, Menschen vom Fach halt, Könnende, total seriös und professionell auf alle Fälle und komplett kompetent. Jajaja.

Den Auftrag bekommt aber der Säbelzahntiger, nicht das Steppengras!

Den Mut haben, einzigartig zu sein

Kleine Auffälligkeiten sind es, die wie die Gewürze in einem ansonsten faden Gericht einer Marke Geschmack und Charakter verleihen. Sie zeigen, dass ein Unternehmen nicht nur den Mainstream bedienen will, sondern auch den Mut hat, einzigartig zu sein.

Nicht nur die ausgetretenen Pfade zu begehen. Also seien Sie mutig und lassen Sie Ihren inneren Säbelzahntiger raus.

Selbst wenn es sich bei genauerer Betrachtung nur um ein Schmusekätzchen handeln sollte, – solange es Sie im hüfthohen Steppengras der Branche auffindbar macht, ist es immer noch besser als der Untergang im graublauen Sumpf.

 

Über die Person

Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org

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