Interview zum SanInsFoG "Dass wir in Deutschland die Möglichkeit bekommen, außergerichtliche Sanierungen per Mehrheitsentscheid zu betreiben, fördert unsere Sanierungskultur und ist zu begrüßen."

Am 14.10.2020 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes ("SanInsFoG") vorgelegt. Bereits zum Jahreswechsel, also weniger als zwei Monate nach Vorlage des Regierungsentwurfs soll damit ein Gesetz in Kraft treten, das es krisenbefangenen Unternehmen bei richtiger Handhabung erlaubt, sich auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu sanieren. Consulting.de sprach mit Christopher Seagon, Partner bei Wellensiek und seit über 25 Jahren mit Sanierungen, Insolvenzverfahren und Treuhandschaften befasst, über die praktischen Implikationen des neuen Gesetzes für krisenbefangene Unternehmen sowie ihre Geschäftsleiter und Berater.
Herr Seagon, die Bundesregierung will ein Gesetz in Kraft setzen, das Restrukturierungen fundamental verändern soll. Worum geht es da genau?
Christopher Seagon: Im Kern kann man das SanInsFoG in drei Säulen unterteilen: Erstens geht es um das frühzeitige Erkennen von Unternehmenskrisen und das rechtzeitige Ergreifen von Gegenmaßnahmen. Geschäftsleiter (so nennt der Entwurf das verantwortliche Management) werden jetzt gesetzlich verpflichtet, Unternehmenskrisen deutlich frühzeitiger zu überwachen und rechtzeitig wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Außerdem haben Sie ab dem Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit, die nunmehr 24 Monate vor einer prognostizierten Liquiditätsunterdeckung liegen soll, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren.
Zweitens wird mit dem sog. Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (SRR) erstmals ein Verfahren eingeführt, mit dem sich drohend zahlungsunfähige Unternehmen mit der Mehrheit ihrer Gläubiger auf einen Sanierungsplan einigen können, ohne dafür ein Insolvenzverfahren durchlaufen zu müssen. Das soll es vor allem ermöglichen, außergerichtlich den Widerstand sogenannter Akkordstörer zu überwinden, die mit einer Minderheitsposition eine an sich sinnvolle Sanierungsstrategie blockieren.
Und Drittens wird auch die Insolvenzordnung reformiert. Ich hatte bereits erwähnt, dass für die drohende Zahlungsunfähigkeit jetzt ein Prognosezeitraum von 24 Monaten maßgeblich sein soll. Davon abgegrenzt wird der Tatbestand der Überschuldung, für dessen Fortführungsprognose jetzt nur noch die nächsten zwölf Monate betrachtet werden sollen. Damit wird klar unterschieden zwischen einem Zeitabschnitt (12-24 Monate vor einer prognostizierten Liquiditätsunterdeckung), in dem der SRR zur Verfügung steht, und einem Zeitabschnitt (weniger als 12 Monate davor), in dem über Optionen wie eine Eigenverwaltung in der Insolvenz nachzudenken ist. Das ist auch deswegen wichtig, weil die Hürden für die Eigenverwaltung im SanInsFoG angehoben werden sollen und diese in der Praxis fortan einer noch sorgfältigeren Vorbereitung bedarf, als es bereits bislang der Fall war.
Das klingt nach einer ziemlich umfassenden Reform. Ist das in der Kürze der Zeit überhaupt zu bewerkstelligen?
Christopher Seagon: Das ist ein sehr guter Punkt. Der Gesetzgeber hat sich tatsächlich eine umfangreiche Reform vorgenommen. Um das zu veranschaulichen: Der Regierungsentwurf des SanInsFoG umfasst 261 Seiten. Wir reden derzeit mit vielen Mandanten und Stakeholdern, die uns zu Recht fragen, wie sie sich in so kurzer Zeit auf so ein umfangreiches Gesetz vorbereiten sollen. Da müssen zum Teil Prozesse geschrieben, IT-Systeme umgestellt, Mitarbeiter geschult werden und vieles mehr. Und man darf nicht vergessen, dass wir die endgültige Fassung des Gesetzes heute noch gar nicht kennen. Das Gesetz wird derzeit im Rechtsausschuss des Bundestages behandelt, wo sich erfahrungsgemäß noch einiges ändern kann. Und trotzdem soll das Gesetz Stand jetzt am 01.01.2021 in Kraft treten.
Der Zeitdruck für den Gesetzgeber kommt aber v.a. daher, weil die teilweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht am 01.01.2021 endet. Zu diesem Zeitpunkt soll der SRR nach dem Willen des Gesetzgebers Covid-bedingt krisenbefangenen Unternehmen als Sanierungsoption zur Verfügung stehen. Ob der SRR das richtige Verfahren für Unternehmen ist, die sich ob der aktuellen Wirtschaftslage in teils erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten befinden bzw. sich stark zusätzlich verschuldet haben, wird sich in der Praxis zeigen müssen. Jedenfalls habe ich Zweifel, wie tauglich der SRR für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) sein kann. Da gibt es viele Pflichten, die zu berücksichtigen sind, Dokumentationen, die zu schaffen sind, Anträge die zu stellen sind, und vieles mehr. Das schafft man typischerweise nur mit sanierungserfahrenen Beratern, die gerade in kleineren und mittleren Fällen nicht immer zu Rate gezogen werden.
Was für Pflichten sind das denn genau und worauf müssen Geschäftsleiter dabei in der Praxis achten?
Christopher Seagon: Die wichtigsten Pflichten habe ich ja bereits erwähnt: Erstens müssen sich Geschäftsleiter - darunter versteht das SanInsFoG die Leiter von haftungsbeschränkten Gesellschaften, also die Geschäftsführer der GmbH, die Vorstände der AG und so weiter - zukünftig viel frühzeitiger mit dem Thema Krise auseinandersetzen und erforderlichenfalls geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Das gilt übrigens nicht erst bei drohender Zahlungsunfähigkeit, sondern immer, d.h. im Extremfall ab Gesellschaftsgründung, wenn es nicht nach Plan, sondern schlechter läuft. Wir wissen aus der Praxis, dass es häufig Berührungsängste mit der "Krise" gibt. Hier ist es Aufgabe der involvierten Berater, zu vermitteln und vor allem Gestaltungsspielräume aufzuzeigen.
Außerdem sind ab dem Zeitpunkt drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren.
Das ist neu. Verletzen sie diese Pflichten, können Geschäftsleiter persönlich haften. Dies gilt erstmal unabhängig davon, ob man sich im SRR befindet.
Während eines SRR, kann diese Haftung sogar zu einer Außenhaftung werden, d.h. Gläubiger sollen Geschäftsleiter direkt in Anspruch nehmen können. Der Gesetzgeber vollzieht hier einen Paradigmenwechsel, denn bisher hatten Geschäftsleiter außerhalb von Insolvenzverfahren in erster Linie das Wohl der Gesellschaft zu wahren.
Wie können denn Geschäftsleiter in der Praxis mit diesen Risiken umgehen?
Christopher Seagon: Künftig werden sich Geschäftsleiter deutlich proaktiver und professioneller mit einer möglichen Unternehmenskrise auseinandersetzen müssen - nicht nur zum Wohle des Unternehmens, sondern auch zur eigenen Risikominimierung. Das wichtigste ist wie in jeder Sanierung eine ordnungsgemäße Liquiditätsplanung. Diese benötigt ein Geschäftsleiter eigentlich immer, mindestens aber, um in der Krise festzustellen, ob die bereits erwähnte 24-Monats-Frist der drohenden Zahlungsunfähigkeit läuft und er sich in dem Bereich befindet, in dem er den SRR anwenden kann oder muss. Auch die Wahrung der Gläubigerinteressen läuft vielfach auf die Frage hinaus, wie die Durchfinanzierung der Gesellschaft bewerkstelligt werden kann, damit die Forderungen der Gläubiger werthaltig bleiben. Das muss liquiditätsseitig geplant werden und die Planung muss auch der späteren, retrospektiven, kritischen Prüfung Dritter standhalten. Deswegen ist bereits heute das erste, was wir in vielen Beratungsmandaten machen, eine solche Liquiditätsplanung auf den Weg zu bringen, die dann zum einen als Planungstool für die Sanierung dient und zum anderen als Dokumentation sorgfältigen Geschäftsleiterhandelns.
Treffen diese Pflichten nur die Geschäftsleitung oder auch deren Berater?
Christopher Seagon: Die Pflichten, die ich eben erläutert habe, gelten für die Geschäftsleitung. Deren Sanierungsberater müssen im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate ordnungsgemäß beraten, sind aber nicht Adressat vorgenannter gesetzlicher Pflichten. Im SanInsFoG werden tatsächlich aber auch neue Hinweispflichten für Berater eingeführt. Diese Pflichten betreffen aber in erster Linie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte. Diese Berater müssen bei der Erstellung eines Jahresabschlusses bspw. auf mögliche Insolvenzgründe und die daraus erwachsenden Pflichten hinweisen. Das hatte die Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits für Steuerberater entschieden, wird aber nun für alle vorgenannten Berufe gesetzlich ausdrücklich festgeschrieben. Erfolgt in Grenzfällen faktisch auch Rechtsberatung, beispielsweise zur Frage, ob drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt oder nicht, so kann eine Haftung unter Umständen auch andere Berater treffen.
Wenn sich ein Geschäftsleiter für eine Sanierung unter dem SRR entscheidet, wie wird das dann in der Praxis ablaufen?
Christopher Seagon: An aller Anfang steht in der Regel eine Situation, in der das Unternehmen bereits mit seinen Stakeholdern verhandelt, die Sanierung aber zum Beispiel wegen eines Akkordstörers, den ich ja bereits beschrieben hatte, nicht im Einvernehmen aller Stakeholder möglich ist. In dieser Situation wird das Unternehmen einen Restrukturierungsplan ausarbeiten. Das sollte nicht im "stillen Kämmerlein" erfolgen, sondern in enger Abstimmung mit den Stakeholdern, d.h. vor allem in Zusammenarbeit mit den Gläubigern, von denen man Sanierungsbeiträge benötigt. In dem Plan können die Rechtsverhältnisse des Schuldners neugestaltet werden. Während der Plan ausgearbeitet wird, kann das Gericht auf Antrag des Unternehmens Stabilisierungsmaßnahmen erlassen. Das bedeutet, dass während dieser Zeit beispielsweise nicht gegen das Unternehmen vollstreckt werden kann und Sicherheiten für Forderungen gegen das Unternehmen nicht verwertet werden können. Der fertige Restrukturierungsplan wird den Gläubigern dann zur Abstimmung vorgelegt. Die Gläubiger werden dann in Gruppen entsprechend ihrer Rechtsposition eingeteilt und stimmen über den Plan ab. Wenn jede Gruppe mit einer Mehrheit von 75% dem Plan zustimmt, gilt dieser als angenommen. Auf Antrag des Unternehmens kann der Plan dann gerichtlich bestätigt werden, was vor allem dazu führt, dass der Plan im Wege einer etwaigen späteren Insolvenz nicht mehr angefochten werden kann.
Gibt es im SRR auch so etwas wie einen Insolvenzverwalter?
Christopher Seagon: Eine Art Insolvenzverwalter, der die vollständige Verfügungsbefugnis erhält, gibt es im SRR nicht. Ziel des Gesetzesentwurfs ist es gerade, dass der Schuldner die Kontrolle über sein Unternehmen behalten, und die Sanierung aktiv gestalten können soll. In bestimmten Fällen kann im SRR ein sogenannter Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden. Dies unter anderem dann, wenn der Schuldner oder 25% der Gläubiger es beantragen. Der Restrukturierungsbeauftragte hat aber eine Überwachungsfunktion, die man mit der des Sachwalters in der Eigenverwaltung vergleichen kann.
Wie wird der Gesetzesentwurf bislang in der Praxis aufgenommen?
Christopher Seagon: Er stößt in vielen Teilen auf große Zustimmung, einige Aspekte sind aber nicht unumstritten. Hier denke ich vor allem an die sogenannte Vertragsbeendigung, wonach im Rahmen des SRR auf Antrag des Unternehmens laufende Verträge gerichtlich beendet werden können. Das so etwas außerhalb eines Insolvenzverfahrens möglich sein soll, ist ein völliges Novum und steht im Konflikt mit dem Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind. Das wird in der Diskussion vielfach und nicht nur von Gläubigervertretern kritisiert.
Ich bin der Meinung, durch so ein Instrument würden wir viel Vertrauen im Rechtsverkehr riskieren.
Wie bewerten Sie den Gesetzesentwurf insgesamt?
Christopher Seagon: Dass wir in Deutschland nun auch die Möglichkeit bekommen, außergerichtliche Sanierungen per Mehrheitsentscheid zu betreiben, fördert unsere Sanierungskultur und ist zu begrüßen. Aber die Eile, in der das Gesetz verabschiedet werden soll, ist unangemessen. Ich fände es durchaus sinnvoll, dem Gesetzgebungsverfahren noch mehr Zeit einzuräumen, um u.a. an den zuvor genannten Stellen noch ausgewogenere Lösungsansätze zu entwickeln. Wichtig für die Praxis ist jedenfalls, dass spätestens unter dem SanInsFoG eine ordnungsgemäße Liquiditätsplanung zum Grundstein jeglicher Sanierungsüberlegungen wird. Es mag zwar trivial klingen, das zu wiederholen. Die Praxis lehrt uns leider bislang noch oft das Gegenteil.
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