#1Blick vom Beratungsforscher Der Ensemble-Effekt – Wenn Berater und Auftraggeber im selben Boot sitzen

Auftraggeber stellen Consulting-Projekten ein gutes Zeugnis aus, Berater sowieso. Betroffene und Beteiligte von Beratungsprojekten fluchen hingegen über Leistung und Verhalten der Berater. Einkauf und Controlling sind mit deren Leistung aus verschiedenen Gründen nicht zufrieden. Woher stammen diese Unterschiede? Was ist hier los?

Thomas Deelmann

Einerseits, andererseits – Die Bewertung von Beratungsprojekten

Fragt man die Auftraggeber, Sponsoren und kundenseitigen Leiterinnen von Beratungsprojekten, so sind diese sehr häufig voll des Lobes über "ihre" Berater. Das erzielte Ergebnis war ganz hervorragend, die Servicequalität des Beratungshauses prima, das Preisleistungsverhältnis überdurchschnittlich gut und – soweit schon vorhanden – auch die Nachbetreuung hat die Erwartungen übererfüllt. Diese Top-Bewertungen finden Eingang in unternehmensinterne Datenbanken, die für Einkauf und Management von Beratungsdienstleistern genutzt wurden. Dass auch Berater ihre Projekte ähnlich positiv einschätzten, steht wohl kaum zur Diskussion.

Auch einschlägige Studien zeichnen durch die Bank ein ähnliches Bild. In diesen Untersuchungen attestieren Kunden ihren Beratern meist gute Leistung; ganz gleich, ob hier eine Doktorandin Daten für ihre Dissertation sammelt oder ein großes Medienhaus mit seiner geballten Organisationspower loslegt und die schönsten Beratungen prämiert. Selbstredend gibt es immer ein paar negativ bewertete Beratungen in den Studien und der einzelne Kunde findet auch bei seinem Projektpartner immer etwas Verbesserungspotenzial. Aber dies gehört ja als Feigenblatt irgendwie dazu.

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich das Meinungsbild ändert, wenn man beispielsweise mit den Beteiligten beziehungsweise Betroffenen ebendieser Beratungsprojekte spricht. Auch die gerade noch positiv gestimmten Executives schauen kritischer auf den Einsatz von Consultants, wenn sie nicht als Auftraggeber, sondern als Beobachter gefragt werden.

Ensemble-Effekt – Die Business-Variante des Stockholm-Syndrom

Diese überraschende Situation, in der Beratungen von ihren auftraggebenden Kunden überaus positive Bewertungen erhalten, hat der Bielefelder Soziologe Stefan Kühl als "Ensemble-Effekt" bezeichnet. (Als Nicht-Soziologe könnte man einen verkürzten und vermutlich sehr unstatthaften Vergleich zum "Stockholm-Syndrom" ziehen, in dem Entführungsopfer eine positive Beziehung zu ihren Entführern aufbauen. Aber im Gegensatz zum Stockholm-Syndrom sind beim Ensemble-Effekt keine Menschenleben in Gefahr.)

Kühls Erläuterungen können in groben Zügen so wiedergegeben werden, dass die Kundin eine Beraterin auswählt, mit ihr gemeinsam ein Projekt bearbeitet, von ihr ein Ergebnis erhält und dieses abnimmt. Damit sitzen beide in einem Boot. In einer Darstellung des Projektes gegenüber Dritten – dies kann das hausinterne Fachcontrolling für Beratungsdienstleistungen sein oder die Vorgesetzte oder die oben angesprochene Doktorandin – ist die Kundin nun nicht mehr objektive Auftraggeberin, sondern Beteiligte am Beratungs- und Leistungserstellungsprozess. Und diese Beteiligung ist vergleichsweise intensiv.

Schon mit der Auswahl eines Beraters nimmt der Kunde Einfluss auf den Projekterfolg: Es hätte ja auch einer der anderen Anbieter werden können; beispielsweise der preisgünstigere, für den der Einkauf optiert hat. Und auch durch die Steuerung des Beratungsprojektes nimmt die Selbstbindung zu. Je länger das Projekt dauert, desto stärker scheint sie zu wirken. Sunk Costs hingegen werden ausgeblendet.

Takeaway – Wie man die Leistung von Consultants am besten evaluiert

Wenn man den Ensemble-Effekt im ersten Schritt anerkennt, dann liegt im zweiten Schritt die Frage nahe, was mit dieser Erkenntnis anzufangen ist. Die Antwort muss aus pragmatischen Gründen zweigeteilt formuliert werden, nämlich einmal für die Beratungs- und einmal für die Kundenorganisation.

Als Berater bietet es sich zum einen an, den Kunden möglichst früh und möglichst intensiv einzubinden. Praktikerdiskussionen, die teilweise auch in der wissenschaftlichen Community gespiegelt werden, bereiten hier den Boden. Wenn beispielsweise die Forderung nach niedrigeren Projekthonoraren laut wird und ihr durch gemischte Teams nachgekommen wird, dann zahlt das auf eine Ensemble-Bildung ein. Zum anderen erscheint es ratsam, möglichst schnell nach Projektende die verantwortlichen Personen auf Kundenseite zu befragen. Die Bewertungsgeber sind durch die gerade abgeschlossene gemeinsame Arbeit noch eng an den Feedbacknehmer gebunden.

Für eine Funktion, die in der Kundenorganisation die Evaluation von Beratungsleistungen verantwortet, sind mindestens drei Dinge anzuraten. Erstens, nicht nur den Auftraggeber, Projektleiter oder Sponsor befragen. Interviewt werden sollten also nicht nur diejenigen, deren Name hausintern mit dem Erfolg des Projektes verknüpft ist, sondern auch Beteiligte und Betroffene auf allen Ebenen beziehungsweise in allen Bereichen. Zweitens bietet es sich an, nicht ausschließlich nach Beendigung des Projekteinsatzes zu evaluieren, sondern auch mit einem hinreichenden zeitlichen Abstand. Die Bindungswirkung des Ensembles kann dann nachgelassen haben und die Objektivität der Bewertung wieder zunehmen. Und drittens ist es hilfreich, wenn bei einer Evaluation nach dem Projektabschluss auf Bewertungspunkte zurückgegriffen wird, die schon vor dem Projektbeginn vereinbart wurden.

Schattenseite – Die sinnvolle Evaluation von Projekten ist aufwendig

Die gerade gegebenen Hinweise für die Kundenprofessionalisierung klingen prima, sind aber in der Umsetzung schwierig. Um sie zu implementieren braucht es einen langen Atem und ein gutes Standing in der eigenen Organisation. Subtiler Gegenwind ist von den Beratern zu erwarten, aber auch von den internen Auftraggebern. Ohne eine Unterstützerin, die hier kundenintern die Freiräume schafft, wird die Umsetzung rein mit Bordmitteln vermutlich schwierig und der Aufwand wird vielleicht als zu hoch eingeschätzt. (Der Umgang hiermit ist allerdings ein eigenes Thema und verdient eine eigene Betrachtung.) Wenn es aber zu einer sinnhaften Evaluation kommen soll – und dies gilt für Kunden und Berater gleichermaßen – dann ist das Produzieren von "nur eitel Sonnenschein" wohl der falsche Weg. Der Ensemble-Effekt muss erkannt und neutralisiert werden – das kann schmerzen, ist aber für eine valide Evaluation notwendig.

Über den Autor: 

Thomas Deelmann
Thomas Deelmann
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung, berät bei strategischen Fragen, ist unter anderem Herausgeber des Handbuchs der Unternehmensberatung und hat mit Prof. Dr. Andreas Krämer "Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch" geschrieben.

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