Interview mit Prof. Dr. Dirk Lippold „Der Kampf um die digitalen Beratungstalente ist in vollem Gange“

Die Digitalisierung ist einer der größten Veränderungsmotoren auch für die Beratungsbranche. Wie sich dieser Trend in der Arbeitskultur und im Recruiting von Consultancies bemerkbar macht, beschreibt Prof. Lippold im Gespräch mit CONSULTING.de, der dem Thema auch ein eigenes Kapitel in der neuen Auflage seines Lehrbuchs „Grundlagen der Unternehmensberatung“ widmete.

Herr Professor Lippold, kürzlich ist die dritte Ausgabe Ihres Lehrbuchs „Grundlagen der Unternehmensberatung“ erschienen. Wie würden Sie aus Ihrer Sicht das Besondere an diesem Lehrbuch beschreiben? 

Dirk Lippold: ‚Lehrbuch‘ ist das richtige Stichwort. Meines Wissens sind die ‚Grundlagen der Unternehmensberatung‘ das einzige Lehrbuch in unserer Branche. Es gibt zwar eine Vielzahl hochinteressanten Abhandlungen über das Consulting. Der inhaltliche Fokus dieser Bücher liegt aber ausschließlich auf der Strategieberatung. Das Tätigkeitsfeld ‚Consulting‘ hat jedoch weitaus mehr Aspekte. Es reicht von der klassischen Strategie- und Managementberatung über die Organisations-, Prozess- und IT-Beratung bis hin zum IT-Outsourcing und zur IT-Systemintegration.  

Mein Anliegen war es nun, das gesamte Tätigkeitsspektrum zu strukturieren, Gesetzmäßigkeiten zu finden und darüber hinaus dem Beratungstyp ‚Strategieberatung‘ den weitaus umsatzstärkeren Beratungstyp ‚IT-nahe Beratung‘ gleichwertig gegenüberzustellen.  

Seit der ersten Ausgabe im Jahr 2016 hat sich die Consulting-Branche weiterentwickelt. Wo beobachten Sie die größten Veränderungen, und welche neuen Kapitel haben Sie deshalb aufgenommen? 

Dirk Lippold: Die digitale Transformation – basierend auf dem Internet als Querschnittstechnologie – ist sicherlich der größte Veränderungsmotor. Sie findet mindestens auf vier Gebieten statt: Internet der Dinge, Roboter, künstliche Intelligent und 3D-Druck. Der digitale Wandel ist nicht nur ein zentrales Beratungsthema bei den Kundenunternehmen, sondern er hat auch spürbare Auswirkungen auf die Consultingbranche selbst.  

Da ist zunächst einmal die Digitalisierung der Beratungsthemen und des Beraterwissens. Hier geht es für die Berater darum, die neuen Technologien (E-Business, Web 2.0, Industrie 4.0, Big Data etc.) für die Kundenunternehmen nutzbar zu machen. Mit einer Digitalisierung der Beratungsprozesse sollten Berater auch im eigenen Unternehmen für eine durchgängige Unterstützung der Geschäftsprozesse unter Einsatz moderner IT-Technologien sorgen.  

Die Digitalisierung der Beratungsgeschäftsmodelle reicht vom Modell der Peer2Peer-Beratung über die Arbeitsform des Freelance-Consultings bis hin zur Idee des Crowd-Consultings. Auch für die Digitalisierung der Beratungsleistungen gibt es verschiedene Ausprägungen. Die Remote-Beratung als internet-basierte Kommunikation ermöglicht eine durchgängige Erreichbarkeit unabhängig von Zeit und Ort. Ein typisches Beispiel ist Videoconferencing. Mit dem „Stand der digitalen Transformation in der Beratung“ habe ich diesen Herausforderungen ein eigenes Kapitel gewidmet. 

Unternehmensberatung ist ein weites Feld. Von welcher Definition gehen Sie in Ihrem Buch aus? Was gehört für Sie zu diesem Berufsfeld, wo setzen Sie Grenzen? 

Dirk Lippold: Formal ist die Beratung von Unternehmen und Organisationen eine eigenverantwortlich, zeitlich befristet, auftragsindividuell und zumeist gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung. Der Dienstleistungsbegriff dient im Wesentlichen zur Abgrenzung von Sachleistungen, also Produkten. Inhaltlich – und das erwähnte ich bereits – reicht das Consulting-Tätigkeitspektrum im Kern von der Strategieberatung bis hin zur IT-Systemintegration.  

Angrenzende Bereiche wie Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, Personalberatung, Rechtsberatung, Engineering-Beratung, Standardsoftwareerstellung und -vermarktung werden im Buch zwar immer wieder gestreift, zählen aber nicht unbedingt zum Betrachtungsschwerpunkt. 

Dirk Lippold: Grundlagen der Unternehmensberatung. Lehrbuch für angehende Consultants, 3. Auflage, 2023. 
 

Mit einem klaren didaktischen Aufbau ist dieses Lehrbuch ideal für alle, die ihre Karriere in der Beratungsbranche starten oder ihr Wissen erweitern möchten. In der vollständig überarbeiteten 3. Auflage wurde besonders der Bereich der Digitalen Transformation erweitert, um Ihnen das neueste Wissen und die aktuellen Entwicklungen in diesem schnelllebigen Umfeld zu bieten.  

Verlag: De Gruyter Oldenbourg | ISBN: 9783111321578 

Was sind aus Ihrer Sicht heute die wichtigsten Qualifikationen und Kompetenzen für angehende Consultants? Welche haben in den vergangenen Jahren besonders an Bedeutung gewonnen? Kurzum, welcher Berater-Typ ist besonders gefragt? 

Dirk Lippold: Unter dem besonderen Gesichtspunkt der digitalen Transformation ist heutzutage ein Berater-Typ gefragt, der es den Kundenunternehmen ermöglicht, digitale Lösungen zu einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis anzubieten. Gefragt ist aber auch ein Berater-Typ, der die Möglichkeiten der digitalen Transformation ebenso für die eigenen Themen, Prozesse und Geschäftsmodelle umsetzen und nutzbar machen kann. 

Unabhängig davon, ob das Digitalisierungs-Know-how nun für den Einsatz beim Kundenunternehmen oder für den Eigenbedarf benötigt wird: Der Kampf um die digitalen Beratungstalente ist in vollem Gange und wird sich sicherlich noch eine ganze Weile fortsetzen.  

Welche Tipps geben Sie Ihren Studierenden für den Bewerbungsprozess? Worauf muss der Bewerber bzw. die Bewerberin besonders achten, wenn der Einstieg in die Unternehmensberatung erfolgreich sein soll?  

Dirk Lippold: Berater gehören einer Branche an, die sich wie kaum eine andere dynamisch bewegt und täglich vor neue Herausforderungen gestellt wird. Nur wenige Professionals wissen über Trends in Management, Technologie und Organisation so gut Bescheid wie Berater. Das hat dazu geführt, dass sich die Beratung zu einer der attraktivsten Branchen für Hochschulabsolventen überhaupt entwickelt hat.   

Jedem Studierenden, der mit dem Einstieg in die Unternehmensberatung liebäugelt, versuche ich den wichtigen Unterschied zwischen Qualifikation und Kompetenz klarzumachen.

Qualifikationen, in entsprechenden Zeugnissen dokumentiert, sind immer dann gefragt, wenn es um die Eintrittskarte zum Vorstellungsgespräch geht. Im Gespräch selbst geht es aber immer nur noch um Kompetenzen, also um bestimmte, gewünschte Fähigkeiten des Kandidaten. Diese Kompetenzen versucht die personalsuchende Unternehmensberatung dann im Interview herauszufinden, in dem sie möglichst tief in die Persönlichkeit des Bewerbers eintaucht. 

Die Consulting-Branche erlebte in den vergangenen Jahren einen enormen Boom, klagt inzwischen sogar über einen Fachkräftemangel. Was glauben Sie: Werden Beratungshäuser ihre Anforderungen an angehende Consultants verändern müssen? Sollten neben Wirtschaftswissenschaftlern und ITlern nicht auch ganz neue Bewerbergruppen angesprochen werden? Wie sehr ist der Beruf Consultant geeignet für Quereinsteiger? 

Dirk Lippold: Der Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass sich Bewerber und die personalsuchenden Unternehmensberatungen auf Augenhöhe gegenüberstehen. Und das bedeutet, das geeignete Bewerber quasi als Kunden genauso umworben werden müssen wie potenzielle Käufer von Produkten und Dienstleistungen. Daher ist auch die Übertragung und inhaltliche Ausführung von Begriffen wie Positionierung, Segmentierung, Kommunikation oder auch Branding, die allesamt ihren Ursprung und ihre konzeptionellen Wurzeln im klassischen Marketing haben, auf das Personalmarketing eine wichtige Grundlage für den erfolgreichen „War for Talents“. Es gibt dabei sicherlich keinen Königsweg, aber Active Sourcing oder die Ansprache neuer Bewerbergruppen wie Physiker, Mathematiker oder gar Mediziner als Quereinsteiger scheinen mir durchaus erfolgversprechend zu sein. 

Mindestens ebenso wichtig wie die Mitarbeitergewinnung ist aber auch die Mitarbeiterbindung, denn neben den Kundenbeziehungen sind die Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten und ihrer Motivation das eigentliche Kapital jeder Beratungsgesellschaft. Der oft geäußerte Anspruch, dass der Berater „besser“ als der Kundenmitarbeiter sein sollte, kann nur dann erfüllt werden, wenn sehr gute Mitarbeiter rekrutiert und – vor allem – auch gehalten werden. Nur so kann die notwendige Zirkulation von Ideen, die Bindung von neuem Wissen ans Unternehmen und der interne Wettbewerb um Spitzenleistungen gewährleistet werden. Allerdings macht die enorme Bandbreit der Beratungstätigkeit, die von der Strategieberatung bis zur Auftragsprogrammierung reicht, ein einheitliches Ausbildungskonzept für die Profession Unternehmensberatung nahezu unmöglich. 

Als Hochschuldozent bereiten Sie junge Leute auf den Beraterberuf vor. Wie sieht es auf der anderen Seite aus: Inwieweit sind die Consultancies vorbereitet auf eine jüngere Absolventengeneration, die Sie im Hörsaal erleben? Es haben sich ja auch Erwartungshaltungen an Arbeitgeber gewandelt – etwa hinsichtlich Work-Life-Balance, Arbeits- und Führungskultur sowie Nachhaltigkeit. 

Dirk Lippold: Beratungsfirmen, die wachsen wollen, kommen nicht daran vorbei, ihr Recruiting-Weltbild an die tatsächlichen Gegebenheiten und hier insbesondere an die Einstellungen und Wertvorstellungen der Generationen Y und Z anzupassen. Ich bin nun seit mehr als 15 Jahren in der überaus spannenden Zielgruppe der ‚Studierenden‘ unterwegs. Sie gehören den Generationen Y oder Z an und sind nach 1980 geboren, sehr technikaffin und mit Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen. Beide Generationen werden daher auch als Digital Natives bezeichnet. Diese Gruppe fühlt sich vergleichsweise freier und unabhängiger. Sie verehrt und bewundert machtbeflissene Vorgesetzte nicht und strebt vor allem nach Selbstwirksamkeit und Partizipation auf Augenhöhe. 

Ein Arbeitsethos, der auf Fleiß, Disziplin und Gehorsam basiert, wird tendenziell abgelehnt. Ziele und Aufgaben werden mehr nach Sinnhaftigkeit und persönlichem Lerninteresse beurteilt. Für Digital Natives ist es motivierend, berufliches Schaffen mit individuellem Lebenssinn zu verknüpfen. Oberste Maxime vieler Einzelner könnte sogar lauten: „Was ist mein Beitrag für die Welt?“ Im Ernstfall bringen sie nicht Ideologie und Streit mit, sondern Pragmatismus, Sachorientierung und Fachwissen. Und genau deshalb mag ich die Generationen Y und Z, und die Consultancies sollten sie deshalb ebenso wertschätzen. 

Das Interview führte Alexander Kolberg. 

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Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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