Interview mit Burkhard Jung, Restrukturierungspartner "Der Restrukturierungsrahmen ist nicht zwingend für die Unternehmen gemacht, bei denen das Geld bereits weg ist."

Wenn Sie die Finanzkrise 2008/2009 und die aktuelle Situation vergleichen: Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
Burkhard Jung: Ich glaube, dass der Eingriff der Pandemie in die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen heute deutlich größer ist, als es im Rahmen der Finanzkrise der Fall gewesen ist. Bei der Finanzkrise hatten wir Finanzierungsprobleme auf Seiten der Banken. Es handelte sich hierbei also allein um eine Krise auf der Passivseite. Durch die Pandemie haben wir das Problem, dass Lieferketten unterbrochen sind oder schlechter funktionieren und dass Absatzkanäle schlichtweg nicht mehr vorhanden sind. Wir haben also in den Geschäftsmodellen der Unternehmen Bruchstellen, die zu einem deutlich größeren Anpassungsbedarf führen, als es in der Finanzkrise der Fall gewesen ist.
Das heißt die Dimension verschiebt sich am Ende des Tages und es sind mehr Akteure betroffen?
Burkhard Jung: Es sind mit Sicherheit mehr Akteure betroffen und auch das Problem ist komplexer, da es nicht nur mit Geld gelöst werden kann. Wir haben erst einmal sehr viel Geld in den Markt gespült, damit der erste Schwung aufgefangen werden konnte. Das war auch gut und richtig. Im Grunde genommen haben wir dadurch aber nur Zahlungsfähigkeit erhalten. Die Wirtschaftsfähigkeit ist damit längst noch nicht wiederhergestellt und das war in der Finanzkrise anders.
Weil jetzt ganze Geschäftsmodelle durch die Pandemie in Frage gestellt werden?
Burkhard Jung: Genauso ist es. Und zwar werden zum einen die Geschäftsmodelle in Frage gestellt, die bereits vor der Pandemie unter Druck geraten waren – wie beispielsweise der stationäre Handel. Zum anderen aber eben auch Geschäftsmodelle, die vielleicht ohne die Pandemie gar keine Probleme gehabt hätten, wie zum Beispiel die Reisebranche – Hotels, Touristik, Luftverkehr.
Wie ist Ihr Ausblick auf die nächsten Monate? Sie sprechen von einer zu erwartenden Insolvenzwelle? Welcher Tsunami rollt da auf uns zu oder wird doch alles nicht so schlimm?
Burkhard Jung: Ich glaube, wir kommen in Relation zu einigen anderen Volkswirtschaften ganz gut durch die Krise.
Aber, auch wenn die Zahlen wieder Wachstum zeigen, müssen wir uns immer bewusst sein, von welchem Niveau aus wir jetzt starten.
Bei Einbrüchen von 50 bis 70 Prozent bedeutet ein kleines Wachstum immer noch ein deutliches Minus. Die kommunizierten Zahlen sollten daher immer in Relation betrachtet werden.
Am Anfang der Pandemie hat die Bundesregierung zur Soforthilfe für die Unternehmen den Markt mit Geld geflutet. Problematisch ist hierbei, dass der überwiegende Teil als Fremdkapital gegeben wurde, das naturgemäß auch zurückgezahlt werden muss. Da die Unternehmen in der Zwischenzeit i.d.R. Verluste gemacht haben und sich ihr Eigenkapital verschlechtert hat, kann das auf lange Sicht zum Problem werden. Sie finanzieren nämlich gerade ihre Verluste mit Fremdkapital. Wenn die hohen Verluste im Jahresabschluss 2020 aufgedeckt werden, werden die Unternehmen bei den Banken in ihrem Rating herabgestuft, kommen dann möglicherweise in die Sanierungsabteilung und müssen restrukturiert werden. Zusätzlich wurde ab dem 01.10.2020 die Insolvenzantragspflicht für die Zahlungsunfähigkeit wieder in Gang gesetzt – wie viel da auf uns zukommen wird, ist noch ungewiss. Was allerdings sicher ist, ist dass wir viele Unternehmen sehen werden, die eben hohe Verluste gemacht haben. Diese Verluste werden in den Bilanzen sichtbar und müssen wieder refinanziert werden. Diese Refinanzierung wird dauern und auch nicht jedem Unternehmen gelingen.
Es wird also Insolvenzen und Restrukturierungen geben, wo ganze Branche ausgedünnt werden?
Burkhard Jung: Genau. Betrachten wir doch nur einmal den Bereich des stationären Handels. Es liegt auf der Hand, dass die Corona-Krise dem stationären Handel nicht gutgetan hat. Der Online-Handel hat stattdessen von der Pandemie profitiert, da eine Beschleunigung der bereits vor der Pandemie begonnen Umwälzung stattfindet. Teilweise können die stationären Händler gar nicht mehr saniert werden, da sich das Geschäftsmodell nicht mehr trägt.
Wie ist der Stand zum präventiven Restrukturierungsrahmen?
Burkhard Jung: Seit mehreren Jahren ist dieser Gesetzesentwurf mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Gespräch. Das BMJV hat Expertenrunden einberufen, um zu diskutieren, was Experten wie Banker, Berater, Insolvenzverwalter, Rechtsanwälte, Wirtschaftsverbände u.v.m. für sinnvoll erachten und was nicht. All das wurde in den vorliegenden guten Referentenentwurf eingearbeitet. Die Corona-Krise hat ihren Teil dazu beigetragen, dieses Gesetz in Gang zu setzen. Denn was könnte der Gesetzgeber mehr machen, als bewusst ein Insolvenz vermeidendes Restrukturierungsgesetz in Gang zu bringen?
Man sagt, wenn die Liquidität fehlt, ist es eigentlich zu spät für Restrukturierung. Kommt dies dann nicht trotzdem zu spät für viele Unternehmen, die bereits eine Strecke überbrücken mussten mit enormen Verlusten?
Burkhard Jung: Nein. Der präventive Restrukturierungsrahmen, der nach dem nun vorliegenden Referentenentwurf „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen“ heißt, ist kein allumfassendes Restrukturierungswerkzeug. Primär soll mit dem Gesetz die Passivseite restrukturiert werden können. Diese Situation haben wir mit den Unternehmen, die ihren Verlust mit Fremdkapital finanzieren. Da diese Unternehmen in Zukunft gar nicht so viel verdienen können, können sie diesen fremdfinanzierten Verlust aus ihren zukünftigen Ergebnissen auch nicht zurückzahlen. Das ist genau die Situation, in der die Unternehmen ihre Passivseite restrukturieren müssen. Dafür passt der Rahmen wirklich gut.
Sie plädieren für eine schnelle Einführung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Warum?
Burkhard Jung:
Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist nicht zwingend für die Unternehmen gemacht, bei denen das Geld bereits weg ist.
Wenn kein Geld mehr vorhanden ist, ist das Unternehmen insolvenzantragspflichtig. Das sollte die letzte Stufe im Krisenverlauf sein. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen setzt vorher an. Er spricht deswegen auch von einer drohenden Insolvenz und nicht von einer bereits eingetretenen.
Wie sollte der Weg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gestaltet sein? Sie schreiben, dass der Schritt ohne förmlichen Antrag bei einem Gericht gestartet werden sollte. Wie soll das in der Praxis aussehen?
Burkhard Jung: Unsere Vorstellung ist es, dass man im Grunde aus Sicht des Unternehmens sagt: „Ich habe eine Handvoll Gläubiger, mit denen ich mich irgendwie verständigen muss“. Und dann nimmt der Unternehmer die Verhandlungen auf. Er beginnt, Gespräche mit diesen Gläubigern zu führen und bewegt sich dadurch auf den Rahmen zu. Der vorliegende Gesetzentwurf spricht jetzt von einer Anzeigepflicht. Das finde ich angemessen. Praktisch wird es also so sein, dass der Unternehmer oder seine Berater während der Verhandlungen feststellen, dass es ohne die Mittel des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht mehr geht. Dann geht er niederschwellig mit einer Anzeige und nicht einem komplexen Antrag auf das Gericht zu und kann sich ab diesem Zeitpunkt der vielfältigen neuen gesetzlichen Möglichkeiten bedienen.,
Welche Auswirkung wird die Krise auf das Berufsbild des Restrukturierungs-Experten haben?
Burkhard Jung: Zunächst einmal muss man sagen, dass unsere Welt immer komplexer wird. Wir haben auf einmal ein Sanierungstool, das wir beherrschen müssen. Außerdem wird es noch rechtlicher, da Insolvenzverfahren und der Restrukturierungsrahmen von Grund aus sehr rechtlich geprägt sind. Nur die außergerichtliche Sanierung ist in ihrer Ausführung etwas freier. Insgesamt wird es also etwas rechtlicher zugehen. Wir als Unternehmensberater müssen uns darauf einstellen, mit diesem Tool umzugehen, wenn wir ein Unternehmen kennenlernen, dass restrukturiert werden muss. Dann habe ich im Grunde alle Möglichkeiten. Ich kann sagen, wir restrukturieren komplett außergerichtlich oder im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Wenn die Probleme zu groß sind, wählen wir die Restrukturierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Das muss ich als Restrukturierungsberater alles können und keinen Weg auslassen, damit ich die richtige Beratung leisten kann.
In dem Positionspapier des BDU betonen sie u.a. die Wichtigkeit eines Frühwarn-Systems. Wie genau soll das aussehen?
Das wichtigste ist, dass der Unternehmer sein Unternehmen ehrlich betrachtet.
Burkhard Jung: Frühwarnsysteme wie Marker, Ampeln und Kennzahlen können noch so gut sein. Sie bringen einem jedoch nichts, wenn der Unternehmer nicht erkennen will, dass ein Problem besteht. Ansonsten glaube ich, dass eine gute Mischung aus harten Zahlen bzw. Kennzahlen und weichen Faktoren von Bedeutung ist. Es gibt eine Vielzahl von qualitativen und quantitativen Größen. Wichtig ist dabei, dass der verantwortliche Geschäftsführer einen weiten Blick hat und auch bereit ist, sich mit seinem eigenen Unvermögen, Scheitern oder schlechter Performance zu beschäftigen. Es liegt an den Unternehmern selbst, sich rechtzeitig Hilfe zu holen.
Sie haben bereits viele Unternehmen saniert: Welche Fälle sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben, positiv wie negativ? Was war bislang Ihr schwierigster Fall?
Burkhard Jung: Ein positives Beispiel stellt die sächsische Dampfschifffahrtsgesellschaft dar. Diese Gesellschaft ist Corona-bedingt in die Insolvenz geraten, wurde im eigenverwalteten Insolvenzverfahren jedoch stabilisiert und am Ende eines M&A-Prozesses an einen sehr guten Investor übertragen. Es war insoweit ein besonderes Verfahren, da es unter den Argusaugen der Öffentlichkeit stattfand. Das hat gut funktioniert, weil alle Beteiligten als Team zusammengearbeitet haben, dem klar war, dass das Ganze unter hohem Zeitdruck funktionieren muss. An dieser Stelle wurden dann auch alle persönlichen Befindlichkeiten untergeordnet.
Mit Schaudern denke ich immer an Fälle als jüngerer Berater. Im Beratungsgeschäft gibt es nur selten ein klares „Richtig“ oder „Falsch“. Gerade als jüngerer Berater besteht die Gefahr, sich dann auf Geschäftsführerebene gerne mal zu etwas überreden zu lassen, was man eigentlich nicht für richtig erachtet. Im Endeffekt waren die „aufgezwungenen“ Entscheidungen immer schlecht für das Projekt, weswegen es wichtig ist zu lernen, auf sein Bauchgefühl zu hören:
Was sich falsch anfühlt, ist auch oft falsch!
Im Übrigen ist es auch nicht schlimm, das Mandat in Fällen, in denen es keine Übereinstimmung in den wesentlichen Dingen zwischen Unternehmen und Berater gibt, niederzulegen.
Wie sind Sie selbst zur Sanierungsberatung gekommen?
Burkhard Jung: Ich bin in Hannover geboren und habe mir dann überlegt, Wirtschaftsingenieur in Berlin zu studieren. Als die Mauer damals gefallen ist, wollte jeder zur Unternehmensberatung. Und durch Zufall bin ich über die Studentenorganisation, in der ich tätig war, von einer kleinen 6-Mann-Beratung angesprochen worden. Diese hatte damals schon in dem Bereich der Sanierungsberatung gearbeitet. Durch einige Transformationen hat es sich zu dem Unternehmen entwickelt, bei dem ich heute immer noch arbeite. Insbesondere der Kontakt mit unseren Kunden und die große Gestaltungsfreiheit machen mir bis heute viel Freude.
Sie plädieren stark zur Besonnenheit in der Krise: Was ist Ihr eigenes Rezept, um im Auge des Sturms Ruhe zu bewahren?
Burkhard Jung: Ich glaube, es gibt zwei Dinge, die wichtig sind. Zum einen legen wir in unserem Unternehmen viel Wert auf die interne Kommunikation. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass wir uns sehr vertrauensvoll und ohne Vorwurf alles sagen können. Selbst wenn Probleme aufkommen, können diese mit den Kollegen und Kolleginnen besprochen werden, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ein Blick von außen ist immer sinnvoll und hilfreich, insbesondere dann, wenn man in einem Projekt nicht weiterkommt oder auch mal einen Fehler gemacht hat.
Zum anderen hilft es fast immer ein, zwei Nächte über die Themen zu schlafen. Am nächsten Morgen sehen die Dinge anders aus.
Haben Sie noch ein Thema Herr Jung, worüber wir noch nicht gesprochen haben, was Sie gerne noch einmal ansprechen möchten?
Burkhard Jung: Ja, ein Thema habe ich noch. Häufig wird gefragt, ob eine Welle der Sanierungen und Insolvenzen kommen wird. Die Antwort hierauf ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Was jedoch klar ist, ist dass viele Unternehmen mit großen Schäden aus der Krise kommen werden. Wir haben jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Beratern, Spezialbankern und Insolvenzverwaltern, sodass wir an dieser Stelle nur hoffen können, dass nicht alle Unternehmen auf einmal auf uns zu kommen. Das könnte dann keiner mehr bearbeiten. Es wäre also gut, wenn die Welle nicht zu groß ausfallen würde. Wie die Situation am Ende jedoch aussehen wird, bleibt an dieser Stelle abzuwarten.
Zur Person:

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