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#1Blick vom Beratungsforscher Die Consultingbranche und der Koalitionsvertrag - Konjunkturspritze und Kundenkompetenzen

Als Grundlage für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre dient der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. (Bild: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Als Grundlage für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre dient der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. (Bild: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Von den Wahlprogrammen zum Koalitionsvertrag
Bereits die Wahlprogramme der Parteien waren mit Aussagen rund um Unternehmens- und Verwaltungsberatung gespickt. Nach der Bundestagswahl haben sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, als Koalition die Bundesregierung zu stellen. Als Grundlage für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre dient der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Auch in diesen 178 Seiten sind wieder verschiedene Aussagen über Beratung enthalten: Einige sehr direkt, andere eher versteckt. Dieser #1Blick betrachtet das vorliegende Papier. Der Fokus liegt auf den Chancen, die sich für Consultants bieten und den Möglichkeiten, die der öffentliche Sektor und insbesondere der Bund hat, um seine Kompetenzen als Kunde zu stärken.
Vorab: Das Wichtigste in Kürze
Der Bund erkennt die Leistungsfähigkeit der Beratungsbranche an und sieht, dass die angebotenen Dienstleistungen notwendig und hilfreich sind. Für Consultants bieten sich viele Geschäftschancen – entweder direkt als Auftragnehmer für konkrete Aufgabenstellungen auf Bundesebene oder im Rahmen der Umsetzung der Regierungsprogramme.
Der Bund selbst scheint aus der Vergangenheit gelernt zu haben und arbeitet an seinen Kompetenzen als Kunde. Die Richtung ist gut und stimmt positiv, wenn unter anderem die Rolle interner Beratungen gestärkt wird und sie als Teil der Lösung der (bisherigen) Consulting-Problemsituation gesehen werden.
Konjunkturspritze für die Branche
Vielleicht unbeabsichtigt, von vielen aber vermutlich unbemerkt, legt der Bund ein großes Konjunkturpaket für die Beratungsbranche auf. Da es den Consultants gerade relativ gut geht, ist dies eine prozyklische Maßnahme und volkswirtschaftlich bzw. konjunkturpolitisch nicht unbedingt eine lehrbuchhafte Aktion. Dieses Konjunkturpaket ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP versteckt.
Dort stehen Aussagen wie „Deutschland wird nur auf der Höhe der Zeit agieren können, wenn wir den Staat selbst modernisieren. Wir wollen staatliches Handeln schneller und effektiver machen […]. Wir bringen eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung voran. […] Wir werden die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen.“ (Koalitionsvertrag, Seite 5) exemplarisch für ein ambitioniertes Arbeitsprogramm. Leider wird dies der öffentliche Sektor kaum ohne Weiteres umsetzen können, da auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene das Personal fehlt. Wenn die Bordmittel nicht ausreichen, dann wird der Rückgriff auf externe Ressourcen notwendig sein.
Zudem sollen die „Einsatzmöglichkeiten für private [Beratungs-] Projektmanagerinnen und Projektmanager […] ausgedehnt“ werden (Seite 9). Es sollte daher niemanden verwundern, wenn sich in der neuen Legislaturperiode die Ausgaben des Bundes für externe Beratung gegenüber einem 2021er Referenzwert verdoppeln.
Thematisch wird die Staats- und Verwaltungsdigitalisierung prominent in den Vordergrund gerückt. Daneben ist aber eine weitere Klasse von zukünftigen Unterstützungsfeldern zu finden. An insgesamt 74 Stellen spricht der Vertrag davon, dass es Strategien für Fachfragen gibt oder sie entwickelt werden müssen (und in etwas geringerem Umfang will er zusätzlich explizite Arbeits- und Beratungskreise einsetzen). Diese Begriffsnutzung steht vermutlich zum einen als Chiffre für noch ungelöste Fragen zwischen den Koalitionären, kann aber zum anderen auch als idealer Ansatzpunkt für Beratungsengagements gesehen werden. Und wenn einmal bei der Strategieformulierung unterstützt wurde, dann sollte ihre Umsetzung wiederum Spielraum für neue Aufträge bieten.
Die dritte Säule des Konjunkturpaketes besteht in den Beratungsaufgaben, die sich im Rahmen der Politikumsetzung ergeben. An verschiedenen Stellen heißt es sinngemäß „wir helfen Gruppe Y“ oder „wir unterstützen Branche Y“ etc. (zum Beispiel auf den Seiten 30, 42, 78) und es wird deutlich, dass der Bund hier nicht mit eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktiv wird. Bei diesen meist konzeptionellen und fachlichen Aufgaben können Consultants unterstützen.
Bund als Berater
Bei einigen Fragestellungen will die neue Regierung auch selbst beratend agieren. So soll es zu einer Beschleunigung von Gründungen durch Beratung mit Hilfe von One-Stop-Shops kommen und eine neue Anlaufstelle „Green Culture“ will Beratung für die ökologische Transformation des Kulturbetriebes anbieten (Seite 30, 122). Ein digitaler Datenraum Kultur unterstützt hier und eine Plattform für alle am Kulturbetrieb beteiligten soll das (inhaltliche und finanzielle) Change Management unterstützen. Über die konkrete Ausgestaltung wird noch keine Aussage getroffen.
Sehr zu begrüßen ist die Position zu internen Beratungen. Hierzu findet sich folgende Passage:
„Die Inhouse-Beratungskapazitäten der öffentlichen Hand werden zu Beschleunigungsagenturen ausgebaut, auf die auch Länder und Kommunen einfach zugreifen können.“
(Seite 12) Es lohnt sich, Teile des Satzes genauer anzusehen: Mit den Inhouse-Beratungskapazitäten sind vermutlich interne Beratungseinheiten gemeint, die auf Bundesebene bestehen (zum Beispiel BwConsulting, das Team im Bundesverwaltungsamt oder die interne Beratung des Statistischen Bundesamtes). Der Term Inhouse könnte auf die Gesellschaft PD – Berater der öffentlichen Hand hindeuten, die sich explizit (und mit Blick auf § 108 GWB) als Inhouse-Gesellschaft bezeichnet und deren Gesellschafterinnen alle aus dem öffentlichen Sektor (öffentliche Hand) stammen – allerdings lässt sie nur mit Mühe als klassische interne Beratung zu bezeichnen. Sie hat eher den Charakter einer Pool-Organisation oder eines Shared Services, so dass die typischen Vorteile und Stärken, über die eine interne Beratung verfügt, hier nicht uneingeschränkt greifen. Die PD ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie Länder und Kommunen einfach zugreifen können. Der Begriff der Beschleunigungsagentur ist neu. Aus dem Kontext des Zitates ergibt sich aber, dass Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden sollen. Das Sprechen über Agenturen könnte einen auf die Fährte von Vermittlungen und Partneragenturen führen (à la „alle 11 Minuten braucht ein Beamter einen Berater“). Auch wenn der Vermittlungsansatz nicht ganz unbrauchbar ist (dies ist, neben der Projektarbeit und der Personalentwicklung, eine dritte typische Kernaufgabe von internen Beratungen), so mag die Interpretation von Agentur als sprachliches Update zielführender sein: Verschiedene Behörden haben sich in den vergangenen Jahren umbenannt, um moderner und dienstleistungsorientierter zu erscheinen (beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit oder die Bundesnetzagentur).
In einer guten Ausgangsposition für die neue Rollen befinden sich vermutlich die bereits genannten Beratungen BwConsulting und PD. In der zweiten Reihe prima positioniert sind aber auch die BWI, die Bundesdruckerei, das Beratungszentrum des Bundes (im Bundesverwaltungsamt) und andere. Während die beiden ersten über umfangreiche Consulting-Erfahrung verfügen, diese heute schon als Kernaufgabe durchführen sowie in der Rechtsform einer GmbH geführt werden und dadurch eine gewisse Flexibilität in ihrer Geschäftstätigkeit haben, scheint bei den letztgenannten eines der Kriterien etwas weniger gut ausgeprägt zu sein.
Kompetenter Kunde
In der Vergangenheit hat der Bund als Nachfrager von Consulting-Leistungen und Kunde von Beratungen nicht immer den besten Eindruck hinterlassen. Exemplarisch können die Beraterschwemme bei der unter der Aufsicht des Finanzministeriums stehenden Treuhandanstalt, das Beraterkostenchaos im Umweltministerium und die Berateraffäre im Verteidigungsministerium genannt werden.
Hinweise auf diese Missstände sowie Empfehlungen zur Verbesserung der Kompetenzsituation sind in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Seiten gegeben worden, zum Beispiel vom Bundesrechnungshof, der bisherigen Opposition im Bundestag oder Branchenbeobachtern, zum Beispiel dem Verfasser. Der Bund hat hier Verbesserungspotenzial – oder wie es Kay Scheller als Präsident des Bundesrechnungshofes und gleichzeitig Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung ausdrückt: „Er [gemeint ist der Staat; TD] darf sich nicht hinter Beratungsunternehmen verstecken.“
Im aktuellen Koalitionsvertrag sind dann auch eine Reihe von Passagen und Formulierungen enthalten, die zum vorsichtigen Schluss führen können, dass der Bund tatsächlich einen Kompetenzaufbau als Kunde vornehmen möchte:
- Die zusätzliche Rolle und damit der der verstärkte Einsatz von internen Beratungseinheiten wurde oben schon angesprochen. Hier findet sich ein erster Demand-Management-Ansatz.
- Auch das Gegenstück des Supplier Managements lässt sich entdecken (Seite 173; im nächsten Abschnitt dazu mehr).
- Weiterhin zielt der Vertrag darauf, internen Beamten grundsätzlich den Vorzug vor externen Beratern zu geben (Seite 162).
- Nicht neu, aber dennoch sehr wichtig ist der Grundsatz der Sparsamkeit (Seite 159), der sehr gut auf Beratungsbeauftragungen übertragen und angewendet werden kann: Sind sie im Einzelfall notwendig und falls ja, sind sie auch wirtschaftlich?
- Eine große Aufgabe ist die Umstellung der Haushaltsführung auf die Wirkungsorientierung (Seite 161). Große Teile der öffentlichen Verwaltung haben gerade erst von der Input-orientierten auf die Output-orientierte Steuerung umgestellt. Die Weiterentwicklung auf eine Wirkungsorientierung ist nicht ambitionslos, kann aber gerade bei Beratungsprojekten dazu verhelfen, mehr Klarheit in die Projektziele zu bringen.
- Und schließlich sollen Unterlagen rund um Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) transparent im Internet (Seite 162) veröffentlicht werden. Bei diesen Partnerschaften springen die Gedanken häufig direkt auf Bauprojekte oder andere kapitalintensive Vorhaben wie zum Beispiel die Autobahnmaut. Aber ÖPP sind nicht auf den Bausektor beschränkt, auch Beratungsprojekte können hierunter fallen, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Eine ÖPP liegt vielleicht gerade dann vor, wenn in einem General- und Unterauftragnehmerverhältnis öffentliche und private Dienstleister gemeinsam für einen anderen öffentlichen Auftraggeber arbeiten und Leistungen erbringen, wie dies bei der PD (siehe oben) häufig anzutreffen ist. Eine solche Transparenz auch für Beratungsprojekte wurde in der Vergangenheit gefordert und wäre ein deutlicher Fortschritt.
Regulierung
Die Koalitionsparteien haben keine direkten Aussagen zur Regulierung der Beratungsbranche getroffen. Das bedeutet beispielsweise, dass die Markteintrittsbarrieren weiterhin sehr niedrig sind und die Berufsbezeichnung weiterhin nicht geschützt ist. Vermutlich mit dem frischen Eindruck aus Wirtschaftsskandalen, an denen auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beteiligt waren, findet sich im allerletzten Abschnitt der Arbeitsskizze der neuen Regierung folgende Passage (Seite 173):
„Die Wirtschaftsprüfung ist von großem öffentlichem Interesse. Wir wollen die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer weiter stärken und der hohen Konzentration auf dem Abschlussprüfungsmarkt mit geeigneten Maßnahmen, beispielsweise bei der öffentlichen Auftragsvergabe, entgegentreten.“
Ganz allgemein – und unabhängig von den konkreten Inhalten – ist zunächst der Ansatz des Supplier Managements sehr zu begrüßen. Diese Aufgabe, in vielen Unternehmen im strategischen Einkauf allokiert, ist auch auf dem Radarschirm des Bundes zu finden. Interessant ist zudem der Teil über die notwendige Unabhängigkeit der Prüfer. Für die großen Prüfungsgesellschaften kann hier durchaus der Vorwurf einer gewissen Abhängigkeit von ihren Consulting-Schwesterbereichen interpretiert werden. Wenn nun die Unabhängigkeit gestärkt werden soll, dann kann dies die Trennung von Prüfung und Beratung bedeuten, die sich ja international nach den Bilanzskandalen um die Jahrtausendwende durchgesetzt hat – anschließend aber wieder aufgeweicht und in den letzten wenigen Jahren wieder verstärkt gefordert wurde (unter anderem in Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 und auch im Rahmen von Interviews, die Olaf Scholz gegeben hat).
Einordnung
Der Koalitionsvertrag ist unter Consulting-Gesichtspunkten ein ambitioniertes und gehaltvolles Papier. Die Maßnahmen sind keine Selbstläufer, erscheinen aber durchaus sinnvoll. Die Kompetenz als Kunde von Beratungsunternehmen wird für den Bund gestärkt. Gleichzeitig bieten sich viele Geschäftsmöglichkeiten für die gesamte Consulting-Branche.
Anzumerken ist allerdings, dass das besprochene Papier technisch zunächst ein Vertragsentwurf ist, der von Parteimitgliedern bzw. Delegierten der drei Koalitionsparteien beschlossen werden muss. Damit wird gleichzeitig auch klar, dass die kommunikative Zielrichtung stark partei(en)intern ausgerichtet ist. Zudem ist der Koalitionsvertrag als Absichtserklärung zu lesen, die zum einen Interpretationsbedarf besitzt und zum anderen selbstredend die sich in den kommenden vier Jahren vermutlich verändernden Rahmenbedingungen nicht vollständig antizipieren kann.
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