Interview mit Nils Kuhlwein von Rathenow, KEARNEY "Die Erwartung ist klar negativ. Wir werden erhebliche Bremsspuren in den Bilanzen sehen."

"Wolken am Konjunkturhimmel gab es schon vor Corona - Jetzt werden sie zum Sturm" - so lautet der Titel der zweiten Welle des Kearney Restructuring Score, die Ende August erschienen ist. Die Studie analysiert anhand von Finanzdaten der Unternehmen, wie es um die finanzielle Fitness europäischer Unternehmen mit einem Umsatz von über 1. Milliarde US-Dollar aktuell bestellt ist. Dabei werden u.a. folgende Kennzahlen herangezogen: Umsatz, EBIT/EBITDA, Aktienrendite, Spezielle Ereignisse (z.B. CEO-Wechsel, S&P-Herabstufung) und Cash-Flow. Für unser Themendossier "Sanierung und Restrukturierung" haben wir den verantwortlichen Partner Nils Kuhlwein von Rathenow zu den Kernergebnissen der Studie und seinen Ausblick auf die nächsten Monate befragt.
Wie kommt es, dass sich in den Ländern Deutschland, Norwegen, Spanien, Finnland und den Niederlanden - welches traditionell wirtschaftlich starke Länder sind - besonders viele krisenbedrohte Unternehmen finden?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Die Ursachen sind vielfältig. Unser Restructuring Score zeigt aber einmal mehr auf, dass es ohne Zweifel auch in diesen Ländern in den vergangenen Jahren Wachstum gab. Im internationalen Wettbewerb haben die börsennotierten Unternehmen in den jeweiligen Ländern relativ gesehen trotzdem verloren. Vergleichsunternehmen in USA oder Asien haben sich deutlich besser in Bezug auf das Wachstum, die Ergebnisentwicklung, die Aktienkursentwicklung entwickelt, sind vorbeigezogen oder haben ihren Vorsprung ausgebaut.
Im Unterschied dazu überrascht der niedrige Restructuring Score in der Türkei. Warum gibt es in der Türkei so wenige krisenbedrohte Unternehmen?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Nur weil sich die börsennotierten Unternehmen in der Türkei relativ zu ihren Konkurrenten in anderen Ländern positiv entwickelt haben, heißt das ja nicht, dass das für die gesamte Wirtschaft in der Türkei genauso aussah. Was wir beobachten, ist, dass die untersuchten türkischen Unternehmen dem allgemeinen Trend folgen, allerdings bei den zukünftigen Erwartungen unterdurchschnittlich abschneiden. Das könnte ein Fingerzeig sein, dass die Unsicherheit im Land sich dauerhaft auch auf die börsennotierten Unternehmen durchschlagen könnte.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Restructuring Score und den wirtschaftlichen Reaktionen der Länder auf die Corona-Pandemie? Man würde Zusammenhänge vermuten, die sich aber z.B. bei Deutschland und Italien nicht zu zeigen scheinen.
Nils Kuhlwein von Rathenow: Ja, diese sind durchaus zu vermuten. Diese werden aber erst im Nachlauf sichtbar werden, also in den veröffentlichten Quartals- und Jahreszahlen 2020. Wir sind genau deswegen jetzt schon auf die nächste Ausgabe des Scores im Herbst gespannt. Hinzu kommt, dass man dann vermutlich auch ablesen wird, ob die unterschiedlichen staatlichen Hilfsprogramme jeweils gleich gut gewirkt haben, oder nicht. Bleiben die direkten Unternehmensvergleiche im Restructuring Scores ähnlich, dann spricht viel dafür, dass die Hilfen der Regierungen ähnlich gewirkt haben. Sollten sie auseinanderdriften, dann ist das ein Beleg, dass einzelne Länder besser agiert haben als andere. Dafür beeinflussen die Interventionen und öffentlichen Stützungen die aktuelle Geschäftssituationen fast aller Branchen einfach zu stark.
Die kommunizierten Zahlen stammen aus dem Mai 2020. Umsatz und EBIT-Zahlen werden selbst bei Aktien-Gesellschaften nicht monatlich reportet, sodass die dem Restructuring Score zugrundeliegenden Daten ein relativ großes Time-lag haben. Wie gut spiegeln die Zahlen des Restructuring Score die aktuelle Situation also überhaupt wider?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Korrekt, es gibt einen Time-Lag, da sich die aktuelle Situation erst mit Verzögerung in den Bilanzen der Unternehmen niederschlägt und diese dann auch erst quartalsweise veröffentlicht werden. Das ist aber ja genau der Vorteil dieser Ausgabe des Restructuring Scores, denn er zeigt, dass viele Unternehmen bereits vor Corona deutliche Krisensymptome aufwiesen. Sie gingen also angeschlagen in die Krise und wir sehen ja derzeit auch im Markt, dass die ersten in schweres Fahrwasser geraten und die Pandemie nur bedingt der Grund dafür ist.
Mit welchen anderen Indizes (z.B. Ifo-Index oder GfK-Konsumklima) korreliert der Restructuring Score?
Nils Kuhlwein von Rathenow: IFO-Index und GfK-Konsumklima sind breiter angelegt, beziehungsweise bewerten vor allem aus Konsumentensicht. Es lohnt also alle drei nebeneinander zu legen, wenn man sich ein Gesamtbild verschaffen will, denn wir betrachten den sehr relevanten Marktausschnitt der börsennotierten Unternehmen und legen einen Fokus auf die entscheidenden Analystenbewertungen.
In dem Score werden auch spezielle Ereignisse wie CEO-Wechsel berücksichtigt. Wie wird entschieden, ob der CEO-Wechsel sich positiv oder negativ auf den Score auswirkt?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Ein CEO Wechsel kann selbstverständlich positiv und auch negativ wirken. Wir betrachten ihn zunächst immer als ein "Incident", der die Aktienkursentwicklung beeinflussen kann. Zudem ist er oft ein Hinweis auf eine Fehlentwicklung in dem betreffenden Unternehmen, er muss aber nicht sein. Daher analysieren wir auch die Meldungen und die Berichterstattungen. Finden sich dort parallel Meldungen über eine Rating Herabstufung, angekündigte Performance Steigerungsprogramme oder ähnliches, dann findet die Personalie Eingang in den Score, und zwar negativ in diesem Fall.
"Wolken am Konjunkturhimmel gab es schon vor Corona - Jetzt werden sie zum Sturm": Wie ist Ihr Ausblick auf die nächsten Monate in Bezug auf Branchen und Ländern? Was wird passieren?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Die Erwartung ist klar negativ. Wir werden erhebliche Bremsspuren in den Bilanzen sehen, allerdings vielleicht nicht in der Größenordnung, wie allgemein erwartet wird. Dafür sind die Kapitalmärkte nicht nur liquide, sondern sie entwickeln sich auch positiv. Werfen Sie nur einen Blick auf den DAX, der von 8.400 Punkten inzwischen wieder auf 13.000 Punkte geklettert ist.
Experten sehen eine Insolvenzwelle auf uns zurollen. Ist es dann für Restrukturierung nicht bereits zu spät, wenn die Liquidität nicht mehr gegeben ist?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Restrukturierung ohne Liquidität geht nicht. Deswegen werben wir bei Unternehmen auch schon länger dafür sich ehrlich zu machen bevor die Alarmsirenen läuten. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Insolvenz eines Unternehmens ja nicht automatisch bedeutet, dass dieses auch abgewickelt wird. Das Insolvenzrecht bietet gerade dafür den gesetzlichen Rahmen, um Restrukturierungen durchzuführen und das Insolvenzrecht bietet viele Möglichkeiten, Liquidität im Unternehmen temporär zu schöpfen. Denken Sie nur an das Insolvenzausfallgeld oder Finanzierer springen vorübergehend ein, wenn sie glauben, dass eine Rettung möglich ist. Aber nochmal, je früher man sich eingesteht, dass man auf eine Unternehmenskrise zuläuft, desto mehr Handlungsoptionen bestehen für das Unternehmen und die handelnden Akteure.
Welche Rolle kann die schnelle Umsetzung des von der EU vorgegebenen Präventiven Restrukturierungsrahmen spielen? Wie würde der Präventive Restrukturierungsrahmen Ihnen und den Unternehmen helfen?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn unser Restrukturierungs- und Insolvenzrecht braucht weiter eine Modernisierung. Zudem werden rechtlich klar definierte Handlungsoptionen geschaffen, um Unternehmen in der Krise einen Neustart zu ermöglichen. Die Bundesregierung ist gut beraten, die EU-Vorgaben schnell in nationales Recht umzusetzen.
Was bedeutet die Ergebnisse für Kearney: Wenn der Restructuring Score steigt, suchen Sie dann verstärkt Restrukturierungsexperten?
Nils Kuhlwein von Rathenow: Gute Restrukturierungsexpertinnen und -experten sind immer gefragt. Auch spielten Restrukturierung und Transformationen bei Kearney schon immer eine Rolle. Neu war, dass wir vor zwei Jahren schon beschlossen, unsere Restrukturierungskompetenzen deutlich auszubauen und wir haben ein schlagkräftiges Team von Restrukturierungsexpertinnen und -experten aufgebaut. Wir waren damals schon davon überzeugt, dass der Druck (auch ohne Covid-19) auf viele Unternehmen zunehmen wird. Heute sehen wir uns bestätigt.

Methodik
Erhebungsmethode | Analyse der individuellen Finanzdaten von Unternehmen und dem Vergleich zu vergleichbaren Unternehmen innerhalb der Branchen und Sektoren |
Analysierte Zielgruppe | Unternehmen mit einem Umsatz von über 1 Milliarde US-Dollar |
Stichprobengröße | 1.000 Unternehmen |
Feldzeit | Mai 2020 |
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