Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Die Reduktion der Fluktuationsrate als Erfolgsfaktor im Beratungsgeschäft

Die zentrale Ressource erfolgreicher Unternehmen ist hochqualifiziertes und motiviertes Personal. Eine hohe Fluktuation trifft solche Unternehmen besonders hart. Doch was sagt eine Fluktuationsrate von zum Beispiel 15 Prozent eigentlich aus? Wie ist sie entstanden? Ist sie zu hoch oder zu niedrig? Ist sie gesund? Macht sie Täter oder Opfer?

In fast allen Unternehmen gibt es ein Kommen und Gehen von Mitarbeitenden. Ab wann wird die Fluktuation ungesund? (Bild: picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose)

Die Fluktuationsrate ist die wichtigste Kennziffer (engl. Key Performance Indicator = KPI) im Personalbereich und zählt zu den zehn bedeutendsten Unternehmenskennzahlen überhaupt. Sie wird in aller Regel als ein Barometer für die Attraktivität eines Unternehmens, einer Organisation oder einer Branche angesehen. Sie wird sehr häufig herangezogen, um die Leistungsfähigkeit des Personalmanagements zu incentivieren. Doch wenn diese Kennziffer ein solch wichtiges Instrument ist, muss sie dann nicht auch einheitlich interpretiert werden?

„Up-or-out“-Prinzip leistet Fluktuation Vorschub

Beginnen wir mit den Tätern: In manchen Branchen (zum Beispiel in der Managementberatung) wird eine Fluktuationsrate um die 20 Prozent als durchaus gesund angesehen. Denn neues Personal bedeutet auch, dass neue Kollegen mit unterschiedlichen Sichtweisen und Charakteren die Kreativität des Unternehmens neu ankurbeln. Neue Mitarbeiter verfügen unter Umständen über ein Netzwerk, von dem das Unternehmen profitieren kann. Auch stellt eine hohe Fluktuation das Unternehmen immer wieder auf den Prüfstand: Eine Außenperspektive kann Schwachstellen aufzeigen und Betriebsblindheit vorbeugen. Solche Überlegungen haben schließlich dazu geführt, dass manche Unternehmen das „Up-or-out“-Prinzip propagieren und zum Bestandteil ihrer Firmenkultur gemacht haben.

Dass damit einer höheren Fluktuation Vorschub geleistet wird, liegt auf der Hand. Insofern sollte man auch nicht von einer gesunden, sondern von einer gewollten Fluktuation sprechen.

Wiederbeschaffungskosten als Maßstab

Kommen wir zu den Opfern: Die Fluktuation stellt für jedes Unternehmen eine signifikante Kostengröße dar. Obwohl sie in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht als eigenständige Kostenposition auftaucht, sollte sich jedes verantwortliche Management darüber im Klaren sein, dass die Fluktuationskosten einen erheblichen Einfluss auf das Unternehmensergebnis haben. Maßstab für die Kosten der Fluktuation sind die Wiederbeschaffungskosten (engl. Replacement costs). Folgende Faktoren gehen in die Wiederbeschaffungskosten ein:

  • Kosten vor der Kündigung. Der Mitarbeiter, der das Unternehmen verlassen will, hat seine innere Kündigung bereits ausgesprochen, arbeitet nicht mehr mit dem gleichen Engagement und stößt vielleicht keine Neuerungen mehr an.
  • Kosten, die sofort durch den Weggang entstehen. Bei einer Aufhebungsvereinbarung oder bei einem etwaigen Rechtsstreit entstehen hier zusätzliche Kosten.
  • Kosten durch die unbesetzte Stelle. Die Aufgaben werden später erledigt, Chancen können nicht genutzt werden oder werden auf andere Mitarbeiter verteilt. Im schlimmsten Fall bleibt etwas Wichtiges (zum Beispiel Kundenaufträge) längere Zeit liegen, auf das andere Mitarbeiter bei ihrer Arbeit angewiesen sind.
  • Rekrutierungskosten. Hier sind alle Kosten zu berücksichtigen, die durch die Auswahl eines neuen Mitarbeiters entstehen. Von der Stellenanzeige über die Testverfahren bis zu den Vorstellungsgesprächen. Die Personalbeschaffung kann sehr kostspielig werden, je nachdem, welchen Rekrutierungsprozess ein Unternehmen wählt.
  • Integrationskosten. Die Integration eines neuen Mitarbeiters läuft zumeist in mehreren Phasen ab. Nach einem Basisseminar (Onboarding) erfolgt eine mehr oder weniger lange Einarbeitungsphase. Im Beratungsgeschäft geht man davon aus, dass der neue Mitarbeiter erst nach zirka drei Monaten eine vollwertige Kraft ist. Auch muss das Wissen, das mit dem vorherigen Mitarbeiter abgewandert ist, durch entsprechende Schulungen beziehungsweise Ausbildungseinheiten ersetzt werden.
  • Kalkulatorische Kosten. Sind Mitarbeiter damit beschäftigt, neue Mitarbeiter einzuarbeiten oder an Auswahlverfahren teilzunehmen, können sie sich nicht ihrer eigentlichen Aufgabe widmen.
  • Motivationskosten. Diese sind schwer messbar, jedoch (fast) immer gegeben: Unzufriedene Mitarbeiter ziehen durch Demotivation das sie umgebende Team mit „herunter“.

Die Wiederbeschaffungskosten sind von Position zu Position, von Stelle zu Stelle, von Aufgabe zu Aufgabe, von Assignment zu Assignment und natürlich von Branche zu Branche unterschiedlich. In der Beratungsbranche betragen die Wiederbeschaffungskosten mindestens die Hälfte eines Jahresgehalts. In der Managementberatung sind dies rund 40.000 Euro, in der IT-nahen Beratung etwa 30.000 Euro.  

Anhand der folgenden Beispielrechnung wird deutlich, welch ein enormes Ergebnispotenzial durch das Absenken der Fluktuationsrate erzielt werden kann:

Abb.: Die Reduktion der Fluktuationsrate als Erfolgsfaktor

Das Unternehmen A, eine Management- und Strategieberatung, beschäftigt 800 Mitarbeiter, erzielt einen Jahresgewinn von 16 Millionen Euro und weist eine Fluktuationsrate von 25 Prozent auf. Die Wiederbeschaffungskosten für einen neuen Berater betragen 40.000 Euro. Damit belaufen sich die Wiederbeschaffungskosten für 200 neue Berater auf insgesamt acht Millionen Euro, um die Fluktuation auszugleichen. Lässt sich diese Fluktuationsrate von 25 auf 15 Prozent senken, so verringern sich ceteris paribus die Wiederbeschaffungskosten für 120 Berater auf 4,8 Millionen Euro. Damit ließen sich die Rekrutierungskosten allein durch die Absenkung der Fluktuationsrate um 3,2 Millionen Euro vermindern. Bei einem angenommenen Gewinn von 16 Mio. Euro bedeutet dies eine Gewinnverbesserung für das Consulting-Unternehmen von 20 Prozent. Die Absenkung der Fluktuationsrate um einen Prozentpunkt würde also zu einer Gewinnverbesserung von zwei Prozent führen.

Das Unternehmen B ist ein IT-Beratungs- und Serviceunternehmen. Es beschäftigt 1.600 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresgewinn von 60 Mio. Euro. Das Unternehmen weist eine Fluktuationsrate (engl. Attrition Rate) von zehn Prozent auf. Die Wiederbeschaffungskosten für einen neuen IT-Berater betragen 30.000 Euro. Um die Fluktuation ceteris paribus auszugleichen, belaufen sich die Wiederbeschaffungskosten) für 160 neue IT-Berater auf insgesamt 4,8 Mio. Euro. Bei einer Absenkung der Fluktuationsrate von zehn auf fünf Prozent, ließen sich in dem Fall die Wiederbeschaffungskosten um 2,4 Mio. Euro vermindern. Bei einem angenommenen Gewinn dieses Unternehmens von 60 Millionen Euro  per anum bedeutet diese Reduzierung eine Gewinnverbesserung von vier Prozent. Die Reduktion der Fluktuationsrate um einen Prozentpunkt führt hier also zu einer Gewinnverbesserung von rund einem Prozent.

Angesichts der hohen Wiederbeschaffungskosten für hochqualifiziertes Personal kann die Reduktion der Fluktuationsrate ceteris paribus einen sehr beachtlichen Erfolgsfaktor mit unmittelbarem Einfluss auf die Gewinnsituation eines Unternehmens darstellen.

Fazit: Erfolgreiche Unternehmen sind weder Täter noch Opfer

Unternehmen, die ausschließlich gute Leute einstellen, diese richtig einsetzen und dann noch gute Führung im Unternehmen sicherstellen, können auf Fluktuation komplett verzichten. Das heißt, sie sind weder Täter noch Opfer. Schließlich gibt es kaum einen größeren Hebel zur Verbesserung des Unternehmensergebnisses als die Reduktion der Fluktuationsrate. Dazu sind Mitarbeiterbindungsprogramme erforderlich, die sich an den Kriterien Führung, Gerechtigkeit, Wertschätzung, Fairness sowie Forderung und Förderung orientieren.

Vor allem aber muss ein vorausschauendes Management das traditionelle und hierarchische Leadership durch agiles und generationenübergreifendes Führen ersetzen, um den Unternehmenserfolg zu sichern. Die digitale Transformation erfordert also nicht nur neue Geschäftsstrategien, sondern auch neue Führungsmodelle und Organisationsansätze, die sich an den veränderten Werten der jungen Mitarbeitenden orientieren müssen. Stichwort: flachere Hierarchien. Wir erleben einen Veränderungsprozess, bei dem Entscheidungsfähigkeit und Macht zunehmend auf Teams und Projektgruppen verteilt werden. Digital Natives erwarten andere Menschenführung, und Führungskräfte sind gut beraten, wenn sie ihr bisheriges Führungsverständnis überdenken.

Vertiefende Literatur:
D. Lippold: Die Unternehmensberatung. Von der strategischen Konzeption zur praktischen Umsetzung, 4. Aufl., Berlin/Boston 2022

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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