Consulting im Style-Check – Kolumne von Wolfram Saathoff Die Weihnachtskarte – Müll zum Fest!

Selig sind die Glühweinstände! (Bild: Freepik, Haus am Meer)
Haben Sie schon einmal etwas von der "Weihnachtsgurke" gehört? Es handelt sich dabei um eine gläserne Christbaumkugel in Form einer Gurke, genauer: einer Gewürzgurke, oder wie man bei uns in Ostfriesland sagt: Cornichon. Bei allen Verrücktheiten, die die Menschheit im Laufe der Zeit so hervorgebracht hat, handelt es sich hierbei um eine der eher harmloseren. Das Teil wird nämlich an möglichst uneinsehbarer Stelle an den Weihnachtsbaum gehängt, wo es dann seiner Entdeckung harrt. Und wer das Gurkenteil zuerst erblickt, darf dann auch als erster seine oder als erste ihre Geschenke öffnen. Goldig!
Statt Weihnachtsgurke einen Roundhouse-Kick auf das Geschmackszentrum
Während man sich also in den USA, wo der Brauch mit der Gurke recht prominent ist, ein paar Gedanken darum gemacht hat, das Fest der Liebe zum Kommerz ein wenig aufzuheitern, geht man in good old germany den gegensätzlichen Weg. Statt den Menschen ein Lachen auf das rotbäckige Gesichtchen zu zaubern, gibt es den Roundhouse-Kick auf das Geschmackszentrum: Tausende und abertausende von Weihnachtskarten fliegen einem in den Briefkasten; und während man von einem Berg aus sinnlos gefällten Bäumen erschlagen wird, bekommt man eine Ahnung davon, warum Glühwein in rauen Mengen in der Weihnachtszeit so beliebt ist.
Weihnachtskarten - zum Wegschnarchen langweilig
Mal "lustig", mal "nachdenklich", mal "kreativ" – aber immer zum Wegschnarchen langweilig übermitteln sie den Empfangenden die Nachricht, dass die Weihnachtszeit vor der Tür steht (ach, was?!?), dass man gefälligst eine geruhsame ebensolche zu verleben habe und den unvermeidlichen guten Rutsch ins neue Jahr (»Aber tun Sie sich nicht weh, höhö!«) – und man fragt sich, ob man sich zu diesem Feste endlich eine Scharfschützenausrüstung wünschen sollte.
Die für gute Kunden und Kundinnen beiliegende Flasche Wein, der Batzen Marzipan (natürlich Niederegger, nicht der Noname-Quatsch vom Aldi!!!) oder welche einfallslose Gruseligkeit dem Paket auch beiliegen mag, entlarvt es als das, was es tatsächlich ist: eine ganz billige Marketingaktion. Beziehungsweise ein Grund, warum die Deutschen mit 643 Kilogramm pro Kopf die drittgrößte Menge Müll in Europa erzeugen.
Geht es auch ohne Weihnachtskarte?
Mag ja sein, dass die obligatorische Weihnachtskarte als Obligatorikum tatsächlich ein notwendiges Ich-denk-an-Dich ist.
Dass eine kleine beiliegende Spezialität aus der Region tatsächlich eine Kundenbindung fester zurren kann. Kann. Nicht muss!
Denn mal ernsthaft: wer seine Kunden und Kundinnen liebt, spült ihnen nicht zu Weihnachten (wie übrigens auch zum Geburtstag!) irgendwelchen Akquise-Müll vor die Türschwelle, der direkt in die Ablage P wandert. Mit so einer Aktion sagt man nicht "Ich denke an dich, liebe/r Geschäftspartner/in", sondern "Ich will, dass du an mich denkst, du Geldbörse auf zwei Beinen". Tun Sie nicht nur Ihren Kunden und Kundinnen, sondern auch sich selbst einen Gefallen und machen Sie keine durchsichtige Marketingmaßnahme daraus!
Die Karte bitte nicht als Marketingaktion missbrauchen, sondern besser Gutes tun
Es geht aber noch schlimmer: Ganz eitle Absender und Absenderinnen versenden wahlweise ihre eigenen Bücher oder sogar (halten Sie sich fest, das ist tatsächlich ein true crime!) das erste Kapitel ihres Hörbuchs zum Gratis-Download. Das ist wohl das geschäftskommunikative Äquivalent zum Blankziehen in aller Öffentlichkeit.
Dass es auch eleganter geht, zeigen die wenigen guten Beispiele, die es in diesem Wald aus schierer Selbstbezogenheit natürlich auch gibt: Vor ein paar Jahren wies jemand in seinem Adventsanschreiben auf ein soziales Projekt hin mit dem Hinweis, ihm bitte keine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, sondern stattdessen an diese (oder eine andere) wohltätige Organisation zu spenden. Das passt perfekt in die Weihnachtszeit und sekundenklebt sich an die Hirnrinde des Empfangenden. Zumindest an meine!
Die Agentur, in der mein Partner anno dunnemal hat arbeiten müssen, hat zu Weihnachten übrigens mal Gaspistolen versendet. Womit wir wieder bei der Scharfschützenausrüstung wären, mit der ich mich auf meinem Balkon verschanzen und jeden über den Haufen knallen werde, der es wagt, sich meinem Briefkasten mit einer Weihnachtskarte auch nur zu nähern. Dazu gibt es drei Liter Glühwein per Druckbetankung und das sehr gute und überaus schmackhafte Marzipan von Niederegger (Liebe Jungs und Mädels von Niederegger, ich erwarte die Zusendung einer weihnachtlichen Präsentbox noch in diesem Jahr!).
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, übrigens ein gesegnetes ... na, Sie wissen schon! Eine – ach, was sag ich!: hunderte Karten sind bestimmt schon unterwegs zu Ihnen.
Über die Person
Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org
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