Digitalisierung und die Herausforderungen für Führungskräfte "Digital Leadership": Führungsstile in der IT
Von Mario Lukié, managerberater
Unternehmen müssen sich zum einen strukturell auf die neuen Gegebenheiten einstellen, zum anderen müssen sie sicherstellen, dass die Mitarbeiter die Veränderungen mittragen und befähigt werden, die zum Teil komplexer werdenden Aufgaben in kürzeren Zeittaktungen zu bewältigen. Untersuchungsergebnissen zufolge wächst im Zuge dieser Entwicklungen bei allen Mitarbeitern auf allen Ebenen die Verunsicherung und das Bedürfnis nach Orientierung nimmt zu, und es scheint, dass dies für die mittlere Managementebene in verstärktem Maße gilt als für die Top Managementebene [1].
Damit rücken diese Führungskräfte in den Fokus: Sie gelten nicht nur als Dreh- und Angelpunkt bei Veränderungsprozessen, sondern sollen den Wandel (mit-)initialisieren und dafür sorgen, dass Zusammenarbeit in der digitalen Welt funktioniert. Allerdings stehen sie selbst unter enormen Druck: eine wachsende Datenflut, die zu einer schier unübersichtlichen Menge an Informationen führt und Entscheidungen, die in gesteigerten Taktraten zu treffen sind [2]; Führungskräfte müssen Wege finden, um auch in virtuellen Arbeitsstrukturen persönliches Feedback zu geben, da das Bedürfnis nach Anerkennung und Rückmeldung durch die Digitalisierung ja nicht substituiert wird. "Distance Leadership" [3] bringt die Schwierigkeit mit sich, dass Führungskräfte die Anstrengungen und die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter im Kontext der virtuellen Zusammenarbeit entsprechend analysieren und richtig einschätzen müssen.
Führungskräfte sollen Orientierung geben, der Leuchtturm im Nebel sein – dabei laufen sie selbst Gefahr, sich in der Hektik des Alltagsgeschäftes zu verlieren. Führungsarbeit wird im digitalen Zeitalter kleinteiliger – so das Ergebnis der erwähnten Befragung unter Führungskräften [4]. Wie begegnen sie diesen Herausforderungen? Wie gestalten sie sinnvolle Entscheidungsprozesse und wie können Mitarbeiter effizient in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden? Was muss vorgegeben werden und wie viel Freiheit hat jeder Mitarbeiter, das gemeinsame Ziel zu erreichen? Und wie wirkt sich dies letztlich auf die Leistungserbringung aus?
Diese Ausgangssituation motivierte uns zu der Frage, welches Führungsverhalten ("Führungsstil") Führungskräfte praktizieren, um in den aktuellen Zeiten disruptiver Umbrüche zu bestehen.
Die Studie von managerberater: Fragestellung, Stichprobe und methodisches Vorgehen
Vor dem eingangs beschriebenen Hintergrund interessierten uns folgende Fragestellungen:
- Welches Führungsverhalten praktizieren Führungskräfte in der IT (oder einschränkender: die IT-Führungskräfte in unserer Stichprobe)?
- Wie lässt es sich klassifizieren?
- Welche Zusammenhänge gibt es zwischen welche Art von Führungsverhalten ("Führungsstil") und Leistung als Führungskraft?
Für diese Fragestellungen greifen wir auf einen Datensatz von 133 (Linien-) Führungskräften (Teamleiter und Abteilungsleiter) aus der IT zurück, die wir im Zuge unterschiedlicher Projekte auditiert haben. Die von uns dafür eingesetzte Methode war die des Business Review – ein von uns entwickelter diagnostischer Ansatz, der sowohl Management-Kompetenz (Steuerung des Verantwortungsbereichs mit den Dimensionen "Performance Management" und "People Management") als auch Aspekte der Persönlichkeit (Leistungsmotivation, Belastbarkeit etc.) mit einer Anzahl standardisierter und operationalisierter Kompetenzen erfasst [5].
Zudem standen folgende Daten zum weiteren Einbezug in die Analyse zur Verfügung:
- Das Geschlecht der Teilnehmer
- Alter der Teilnehmer und ihre Erfahrung als Führungskraft in Jahren
- Die individuelle (Leistungs-/Mitarbeiter-) Beurteilung aus der vergangenen Periode
Erste Charakterisierung der Stichprobe: Die männlichen Führungskräfte dominieren in unserem Datensatz: 80 Prozent der Teilnehmer sind männlichen Geschlechts, 20 Prozent sind weiblich. Hinsichtlich des Alters wie auch der Führungserfahrung finden sich keine geschlechtsspezifischen Differenzen – das Durchschnittsalter der Männer beträgt 37,6 Jahre, das der Frauen 36,5 Jahre, die durchschnittliche Führungserfahrung der männlichen Teilstichprobe beläuft sich auf 8,7 Jahre, die der Frauen beträgt 8,6 Jahre.
Wir haben dann die Auditierungsergebnisse entlang des Kriteriensets und mittels eines statistischen Verfahrens, der sogenannten Clusteranalyse, nach Ähnlichkeiten hinsichtlich des Management- und Führungsverhaltens analysiert.
Ergebnisse: Zwei elementare Grundfunktionen von Führung
Im Zuge der Clusteranalyse wurden die 133 Führungskräfte unserer Stichprobe insgesamt vier Teilmengen ("Cluster") zugeordnet und zwar entlang zweier Dimensionen, zu denen die Bewertungskriterien verdichtet wurden; diese beiden Dimensionen bezeichnen wir mit "Lokomotion" und "Kohäsion" [6].
Mit Lokomotion werden die "strukturellen" Aufgabenbestandteile von Führung wie Zieldefinition bzw. –präzisierung, Koordination, Prozessgestaltung, Steuerung und Supervision bezeichnet, mit Kohäsion die Aufgabenbestandteile von Führung, die unter dem Aspekt Teamentwicklung ("Kümmerer"-Funktion) gefasst werden können, also Unterstützung im weitesten Sinne, Herstellung eines "Wir-Gefühls" (was vor allem bei virtuellen Teams von Bedeutung ist), managen von Konflikten etc.
Wie verteilen sich nun diese empirisch gefundenen "Führungsstile"? Wie aus der Abbildung 1 unschwer zu erkennen, bestimmt eine Führungsstilkombination das Bild: die Kombination aus hoher Aufgabenorientierung bei gleichzeitig mittlerer Mitarbeiterorientierung ("Prozessmanager"; 38 Prozent aller Fälle). Es folgt die Kombination: hohe Aufgaben – wie hohe Mitarbeiterorientierung ("Teamorientierter Prozessmanager"; 23 Prozent der Fälle). Auf den "Beziehungsmanager" (hohe Mitarbeiterorientierung bei gleichzeitig mittlerer Aufgabenorientierung) entfallen 19 Prozent der Führungskräfte.

Ein Führungsverhalten, dass sich durch mittlere Aufgabenorientierung und mittlere Mitarbeiterorientierung auszeichnet, praktizieren 20 Prozent der Führungskräfte; diesen Stil bezeichnen wir mit "Loser Führung" [7].
"Führungsstil" und Leistung
Zunächst müssen wir den Begriff der "Leistung" definieren. Sicherlich ist die objektivste Messgröße für Leistung bzw. Erfolg eine Zahl, so wie bspw. Umsatzkennziffern u.ä. Allerdings können wir auf derartige Größen in unserer Studie nicht zurückgreifen; dafür liegen die Vorgesetzten-Beurteilungen der Teilnehmer vor, die im Rahmen von sogenannten "Jahresgesprächen", "Mitarbeitergesprächen" oder "Zielvereinbarungsgesprächen" erstellt wurden.
Aus den Bewertungen haben wir drei Beurteilungsklassen gebildet [11]: gute Beurteilung (+), durchschnittliche Beurteilung (Ø) und weniger günstige Beurteilung (-).
Wie Abbildung 2 (letzte Zeile) verdeutlicht, wurde die Mehrheit der Führungskräfte gut beurteilt (50 Prozent erhielten eine + Beurteilung), 32 Prozent wurden durchschnittlich und 18 Prozent weniger gut beurteilt.

Es ist deutlich zu erkennen, dass die überwältigende Mehrheit derjenigen Führungskräfte, die hohe Ausprägungen auf der Kohäsions-Komponente – unabhängig vom Maß ihrer Lokomotions-Komponente – gute Bewertungen erhalten hatte: Bei den Teamorientierten Prozessmanagern sind es 87 Prozent und bei den Beziehungsmanagern 80 Prozent. Bei den Prozessmanagern, die mit 38 Prozent das größte Cluster vertreten, erhielt "nur" jeder dritte eine gute Bewertung – die Mehrheit (47 Prozent ) wurde durchschnittlich beurteilt. Die ungünstigsten Beurteilungen erhielt die Gruppe derjenigen, deren Führungsverhalten mit loser Führung umschrieben wurde: 50 Prozent schnitten weniger gut ab, lediglich 8 Prozent wurden von ihren Vorgesetzten positiv beurteilt.
Diskussion der Ergebnisse
Das digitale Zeitalter verändert die Art und Weise des Zusammenarbeitens. Virtuelle Arbeitsplätze/Teams, zunehmende Projektorganisationsformen in unterschiedlichen Zeitzonen erfordern andere Kommunikationsformen und –strukturen als bei stationären und auf Dauer angelegte Arbeitsgruppen. Führung wird damit insgesamt dezentraler und nicht mehr zwingend im face-to-face-Kontakt erfolgen, Führung wird dadurch aber nicht obsolet – Führungskräfte werden auch weiterhin führen müssen; die veränderten Rahmenbedingen stellen Führungskräfte allerdings vor neue Herausforderungen, sowohl was die Steuerung der Aufgaben in ziel- und ergebnisorientierter wie auch in kommunikations-technischer und teamorientierter Hinsicht betrifft. Die Rolle der Koordination wächst und Präsenz-, und damit auch verhaltensorientierte Führung, muss durch ergebnisorientierte Führung ersetzt werden.
Die Führungskraft wird damit zum "Architekten" für Prozesse: Ziele und Meilensteine definieren, Ressourcen organisieren und steuern, Kommunikation zu den Mitarbeitern sicherstellen, Arbeitsergebnisse evaluieren. Dabei wird elektronisch vermittelte Kommunikation mit der E-Mail zum "Alltags"-Kommunikationsmedium.
Wie reagieren Führungskräfte auf diese Herausforderungen? Mehrheitlich – mit Blick auf die Ergebnisse unserer Studie – mit einer Betonung der prozesssteuernden Komponente von Führung; gleichzeitig zeigt sich, dass diejenigen Führungskräfte, die Wert auf hohe Mitarbeiterorientierung legen ("Teamorientierter Prozessmanager" und "Beziehungsmanager") in den (Leistungs-)Beurteilungen ihrer Vorgesetzten besser abschneiden.
Sicherlich ist es von Vorteil, das Prinzip einer "beidhändigen Führung" zu verfolgen [12]: Zum einen ein auf Effizienz und Exzellenz ausgerichtetes Managementverhalten und zum anderen ein an den Mitarbeiterinteressen und –kompetenzen orientiertes Führungsverständnis (Stichwort: "Shared leadership" [13]) zu praktizieren. Aufgabe der Führungskräfte wird es (stärker als bisher auch schon) sein, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Mitarbeiter ihre spezifischen Kompetenzen und ihre (intrinsische) Motivation einbringen können und wollen. Erfolgreiche Führung bedeutet, in einer spezifischen Situation die richtige "Hand" im Sinne der "beidhändigen Führung" auszuwählen.
Anmerkungen
[1] LEAD Research Series: Die Haltung entscheidet. Berlin 2015
[2] Capgemini Consulting: Digital Leadership – Führungskräfteentwicklung im digitalen Zeitalter. 2015
[3] Lukié. M.: "Distance Leadership" in der IT. Köln 2016
[4] Vgl. Anmerkung [1]
[5] Diesen Ansatz haben wir an anderen Stellen ausführlich dargestellt, so z.B. in unserer Broschüre, die als Download auf unserer Website bereit steht: http://www.manager-berater.com/leistungsspektrum/diagnostik-management/business-review.html
[6] Vgl. Lukié, M.: Führungsstile in Produktion und Fertigung. Köln 2012 sowie Lukié. M.: "Distance Leadership" in der IT. Köln 2016
[7] Köppel, P.: Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams. Wiesbaden 2007
[8] Gemeint ist hier der Median
[9] Da Alter und Führungserfahrung sehr hoch miteinander korrelieren (r= .82), werden die beiden Variablen hier synonym verwendet
[10] Kanning, U. P./Fricke, P.: Führungserfahrung - Wie nützlich ist sie wirklich? Personalführung, 1/2013, S. 48ff.; Lukié, M.: Macht Erfahrung erfolgreich? Köln 2016
[11] Dies war erforderlich, da die Daten aus verschiedenen Projekten stammen und die Unternehmen unterschiedliche Skalen-/Bewertungssysteme verwenden
[12] Vgl. Petry, T.: Digital Leadership – Unternehmens- und Personalführung in der Digital Economy; in: Petry, T. (Hrsg): Digital Leadership. Freiburg 2016, S. 21 ff.
[13] Vgl. Werther, S.: Geteilte Führung. Wiesbaden 2013
Der Autor

Mario Lukié ist Managing Partner der Kölner Beratungsgesellschaft managerberater. Selbst langjährig in personalverantwortlicher Position für verschiedene Unternehmen tätig, berät er seit nunmehr über 25 Jahre Unternehmen verschiedener Branchen in Fragestellungen des HR-Managements. Sein besonderer Beratungsfokus liegt dabei auf Lösungen im Bereich des Diagnostik-Managements.
Das Unternehmen

managerberater ist eine Beratungsgesellschaft, die sich auf Lösungen im HR-Management spezialisiert hat. Die Beratungsschwerpunkte liegen in der Begleitung eignungs- und potenzialdiagnostischer Prozesse, der Personal- und Führungskräfteentwicklung sowie dem Change-Management. Die Besonderheit von managerberater ist der Brückenschlag von der psychologisch orientierten hin zu der auf betriebswirtschaftlichen Fakten basierenden Beratung.
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