Digitale Revolution: Ist es Leidenschaft, die Leiden schafft?

Von Dr. Anna Schneider, YouGov
Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitsplätze ist in Gefahr, so das Fazit einer aktuellen Studie der IngDiba. Angelehnt an die Studie für den amerikanischen Arbeitsmarkt (2013, Carl Frey und Michael Osborne), die 2013 für weltweite Furore gesorgt hat, sind die Aussichten für den deutschen Arbeitsmarkt im Vergleich zu den damaligen Ergebnissen für den amerikanischen Arbeitsmarkt weitaus dramatischer. Das in Deutschland mittelfristig 18 Millionen Arbeitsplätze (von 30,9 Millionen) durch Maschinen und Software ersetzbar sind, dürfte unter den Arbeitnehmern der Gegenwart und der Zukunft enorme Ängste schüren.
Der Übergang von der heutigen in eine neue berufliche Realität wird sich der Studie zufolge eher langsam und stufenweise vollziehen. Dass die Stellen nicht von heute auf morgen wegfallen werden, mag etwas Trost spenden. So bleibt Arbeitnehmern noch die Möglichkeit präventiv zu reagieren. Auch wenn Vorreiterprojekte wie der Einsatz von Robotern im Einzelhandel und der Pflege (Japan) für Wirbel sorgen ist die Technik für den breiten Einsatz noch nicht ausgereift genug. Ein weiterer bedeutsamer Hindernisfaktor ist neben verhaltener Akzeptanz das fehlende aber nötige Investment zur Implementation. Insbesondere in Deutschland überfordert dieses hohe Investment den Jobmotor kleiner und mittelständischer Unternehmen schlichtweg und verhindert so den flächendeckenden Einsatz erst einmal.
Es kann jedoch nicht ausreichend sein, es bei der Feststellung des Status Quo zu belassen und eine derartige gesellschaftliche Bedrohung zu ignorieren. Vielmehr ist es jetzt Zeit einen soliden Grundstein für die Zukunft zu legen. Denn wie uns die jüngere Vergangenheit gelehrt hat, mag die politische Reaktion auf Massenentlassungen gut gemeint und durchaus ehrenhaft sein, aber sie geht oft an der Lebensrealität und dem Selbstverständnis qualifizierter Arbeitnehmer vorbei. Beispiel Schlecker: Hier sind bis zu 25.000 Stellen weggefallen und Aufrufe von Ursula von der Leyen mit Unterstützung der damaligen Familienministerin Schröder "man könne diese Arbeitskraft in Pflege- oder Kinderbetreuungsberufen einsetzen" stieß damals zurecht auf Ablehnung, ja verursachte einen Aufschrei der sich gewaschen hatte.
Doch was tun? Um der Ohnmacht entgegenzuwirken, die gleichermaßen mit Handlungsunfähigkeit einhergeht, sollten die Betroffenen unbedingt eingebunden werden. Verleiht man diesen Menschen eine Stimme, versteht man ihre Bedürfnisse und Lebensvorstellungen, dann können diese das Fundament zur aktiven und zielgerichteten Prävention bilden, solange dies überhaupt noch möglich ist.
An diesem Punkt stellt sich die Frage ob die in Wirtschaft und Politik bereits seit längerem diskutierten Auswirkungen des digitalen Wandels überhaupt von den Betroffenen wahrgenommen werden.
YouGov hat für das Vodafone Institute für Gesellschaft und Kommunikation genau diese Fragestellung untersucht. Den Betroffenen sollte hiermit erstmals eine Stimme verliehen werden. Die Ergebnisse der Studie wurden auf dem Summit "digitising europe – Opportunities for the Next Generation" präsentiert und dort mit wichtigen Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diskutiert.
Da diese Untersuchung in ihrer Ausrichtung gänzlich neue Erkenntnisse liefern sollte, wurde ein zweistufiger Ansatz gewählt, wodurch sowohl Generierung als auch Quantifizierung grundlegender Erkenntnisse ermöglicht wurden. Zunächst musste ein genaueres und tieferes Verständnis dafür ermöglicht werden wie junge Generationen (18-30 Jährige) in Deutschland aber auch anderen europäischen Ländern (Italien, Spanien, Tschechische Republik, den Niederlanden, UK) ihre Zukunftsperspektiven wahrnehmen: Welche Gefühle, Hoffnungen, Bedenken, Einstellungen haben die Befragten vor dem Hintergrund des steigenden Einflusses der Digitalisierung für ihr zukünftiges Arbeitsleben? Und welche Strategien verfolgen diese jungen Menschen um ihre Zukunft zu sichern? Die qualitative Vorstudie war unverzichtbar, um das Denken und die Lebensrealitäten der Betroffenen zu verstehen und diese Erkenntnisse in einem zweiten Studienteil in quantifizierbare Items und Aussagen zu überführen. Somit konnte sichergestellt werden dass die Befragung valide Erkenntnisse liefert. In der zweiten Phase wurden je Land jeweils 1.000 junge Erwachsene (repräsentativ für Alter, Geschlecht, Bildung) befragt.
Bereits in der qualitativen ersten Studienphase zeichneten sich deutliche Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Nationen ab. Dabei wurde klar: Ob junge Menschen ihre Zukunft eher rosig oder düster zeichnen, wird stark von den wirtschaftlichen Bedingungen in ihrem Heimatland beeinflusst. Dieses Kernergebnis wurde in der späteren quantitativen Phase validiert: Während die jungen Deutschen vergleichsweise optimistisch in die Zukunft blicken (siehe Grafik) sind insbesondere die Italiener weniger hoffnungsfroh.
Taking all aspects of your life into account, how do you feel about your future?

Doch birgt diese generelle Zuversicht auch Gefahren oder anders formuliert, macht Zufriedenheit bequem?
Obwohl knapp 40 Prozent der jungen Deutschen der Meinung sind, die Anzahl der Arbeitsplätze würde aufgrund der Digitalisierung reduziert, lehnt ein Drittel der Befragten es kategorisch ab, im Gebiet der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologie zu arbeiten. Nur etwa jeder zehnte kann sich eine derartige Berufsbahn definitiv vorstellen. Und warum? Die Gründe hierfür sind vielschichtig wie sich im Rahmen unserer Online Focus Gruppen zeigte. Junge Menschen wählen ihr Studienfach und ihre berufliche Ausrichtung schlichtweg aufgrund eigener Vorlieben. Die Annahme, dass Ihre Leidenschaft ausreiche, um erfolgreich zu sein, lässt sie dabei die Relevanz digitaler Kompetenzen für den Erfolg im zukünftigen Arbeitsmarkt nahezu gänzlich ausblenden. Menschen, die Ihre Profession in der IT-Branche gefunden haben, werden noch stets als sozialphobische Nerds beschrieben mit denen sich die wenigsten identifizieren möchten.
Das Berufsfeld der Zukunft hat nach den Ergebnissen der Studie aber nicht nur ein Imageproblem, sondern die Generation der Digital Natives spricht sich selbst die notwendigen Stärken und Kompetenzen ab. Damit ist das Kernproblem identifiziert. Auch wenn ein Bewusstsein für die Auswirkungen der digitalen Revolution auf den eigenen Berufsweg geschaffen wird, besteht die Gefahr, dass kein entsprechender Bildungsdruck aufgebaut wird, weil jungen Menschen Technikaffinität nahezu zwingend unterstellt wird und sie darüber hinaus keine Notwendigkeit darin sehen sich, entsprechend fortzubilden. Aber auch wenn Facebook, Instagram und Co. Einzug in das alltägliche Leben gehalten haben, darf nicht der Trugschluss entstehen, dass zugrundeliegende technische Funktionen, Algorithmen und Programmiersprachen beherrscht werden. Denn auch wer gerne Kuchen isst – in diesem Fall Youtube-Videos anschaut – muss nicht zwingend auch gerne Bäcker sein.
Es muss also ein Umdenken stattfinden: Gesellschaft und Politik müssen im Rahmen der digitalen Agenda den Einzelnen deutlicher adressieren. Neben der Schaffung eines größeren Bewusstseins für die Auswirkungen des digitalen Wandels gilt es, gerade die daraus entstehenden Chancen aufzuzeigen. Mit entsprechender Anpassung des Bildungsangebotes kann es so gelingen, die Gesellschaft als solche und den Einzelnen in aktuellen und zukünftigen Generationen fit für den digitalen Wandel zu machen. Ansonsten wird der Wirtschaftsstandort Deutschland an Stärke verlieren, weil es der jungen Wohlfühl-Generation an Motivation fehlt, die digitale Zukunft mutig und zuversichtlich mitzugestalten.
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