#1Blick vom Beratungsforscher Does AI matter?

Künstliche Intelligenz soll's richten und neuen Wind in viele Bereiche des Geschäftslebens bringen. Auch in Beratungen wird intensiv über KI nachgedacht. Die Beschäftigung hiermit muss aber differenziert erfolgen – dieser #1Blick von Prof. Deelmann bietet Anknüpfungspunkte für die Frage, welche Rolle KI im Consulting einnehmen kann.

"Does KI matter?", scheinen sich hier auch Mensch und Maschine zu fragen. Zu welchen Schlüssen Prof. Thomas Deeelmann in Bezug auf die Beratungsbranche kommt, erfahren Sie in diesem #1Blick. (Bild: picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach)


Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch!?

Auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz (KI; engl. Artifical Intelligence, AI) haben in den vergangenen Wochen und Monaten verschiedene Entwicklungen für Schlagzeilen gesorgt. Nun ist der Technologieeinsatz in der Geschäftswelt bei weitem weder neu noch ungewöhnlich – häufig ist er ein Treiber für Innovationen und Effizienzsteigerungen; bisweilen auch mit Nachteilen und Nebenwirkungen. In den Bereichen Informationsverarbeitung und Mustererkennung war der KI-Einsatz bereits länger verbreitet. Relativ ungewohnt für die breitere Masse ist jedoch eine gewisse kreative Kompetenz: So vollendete etwa KI Beethovens 10. („unvollendete“) Sinfonie, malt Bilder oder erstellt Text in fast jeder beliebigen literarischen Gattung.

Die Fähigkeiten im Numbercrunching und die Arbeit mit großen Datenmengen sind wohl naheliegender als die Kreativleistung. Das eine ist die Arbeit einer Zahlenmaschine, das andere ist (beziehungsweise war) aber nach landläufiger Meinung den Menschen vorbehalten. Die Aufregung beziehungsweise der Hype um die neuen Leistungen war dementsprechend groß, wie man unschwer am Anstieg der Suchanfragen erkennen kann: Google Trends weist für den Suchbegriff „ChatGPT“ (ein Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI) im Dezember 2022 kaum Aktivitäten aus, Ende Januar und Anfang Februar gehen die Anfragen durch die sprichwörtliche Decke.

Drei Perspektiven

Die bereits angedeuteten und noch erwarteten Umwälzungen sollen Anlass genug sein, ein paar Gedanken zu möglichen Auswirkungen auf Consulting zu notieren und zu fragen, ob KI hier ebenfalls eine Rolle spielen wird.

Zunächst ist es sinnvoll, den Einsatzbereich von KI beziehungsweise seine Anknüpfungspunkte zur Beratung etwas abzuschichten. Dadurch ergeben sich drei Felder:

  • Da ist zum einen die Geschäftschance, KI als neues Beratungsthema zu etablieren.
  • Dann muss die Auswirkung auf die beratungsinterne Effizienz angesehen werden und
  • schließlich die etwaigen Veränderungen am Geschäftsmodell von Beratungen.

Zum ersten Punkt braucht vermutlich wenig gesagt werden. Unzählige Business-Development-Aktivitäten von verschiedensten Beratungsanbietern – egal, ob klein oder groß, technologie-, strategie- oder HR-affin, branchenfokussiert oder generalistisch etcetera – sind schon zu sehen. Auch der zweite Punkt, die Effizienz der Abläufe und internen Arbeit, scheint zunächst wenig aufregend zu sein. So werden Vorteile beispielsweise bei Routineaufgaben sowie im Einstellungs- und Einarbeitungsprozess erwartet: „Die Entlastung von Junior Consultants oder auch Associates bei Routineaufgaben wie Recherche, Datenaufbereitung, PowerPoint Charting oder Excel-Dateien-pflegen wird dazu führen, dass sie viel schneller direkt in Kundenprojekte einsteigen können.“ Interessanter sind daher vielleicht Fragen, die dem dritten Bereich zuzuordnen sind: Verändert sich der Kern der Arbeit von einzelnen Consultants und (vielleicht noch wichtiger) der von Consulting-Unternehmen?

Ein Meilenstein – wenn man das so sagen mag – für den Software-Einsatz in Beratungsunternehmen ist wohl die „Ask me anything“-Funktionalität.

Wenn auch vorangegangene und etablierte Recherche-, Darstellungs-, Übersetzungs-Leistungen et cetera beeindruckend und hilfreich waren, so stellen doch Leistungen der KI, die auf dem Niveau eines ordentlichen Brainstormings stattfinden, einen großen Schritt nach vorne dar. Auf dieser Basis waren dann auch solide Formulierungen von Texten, Strategie-Inputs oder Computer-Code nicht mehr weit. Es ist nur wenig Phantasie notwendig, um sich weitere Potenziale auszumalen.

Herausforderung in Beratungen: Finanzmodell

Für die praktische Umsetzung dieser Potenziale und damit die Akzeptanz auf Seiten der Kunden sowie die Integration der technischen Leistung in das Beratungsgeschäft gibt es mindestens zwei Herausforderungen: Zum einen muss auf Seiten der Consultants die Bereitschaft bestehen, KI zu nutzen. Das klingt zunächst trivial – und ist auch für viele Beratungen naheliegend, da bisher getätigte Aufgaben schneller, besser und schöner erledigt werden können. Gerade Einzelberater könnten hier ganz massiv profitieren.

Größere Häuser hingegen, die einen elaborierten Up-or-Out-Ansatz im Personalmanagement verfolgen und für ihr finanzielles Gleichgewicht unter anderem auf ein fein ausbalanciertes Verhältnis von diversen junioren und senioren Consultants – und insbesondere die von den Berufseinsteigern erwirtschafteten Deckungsbeiträge – angewiesen sind, mag der Schritt schwieriger sein. Für sie war bisher der Einsatz von Juniors zum einen für die Projektarbeit wichtig; notwendig wurde er aber zum anderen für die Gesamtprofitabilität des Unternehmens.

Ein progressiver KI-Einsatz könnte dieses Modell zum Wanken bringen, wenn weniger juniore Consultants für die Leistungserbringung benötigt werden und dann auch nicht fakturiert werden können. Eine gewisse Zurückhaltung und ein Pessimismus aus dem Mund der betroffenen großen Dienstleister, die derzeit den überwiegenden Teil des Marktvolumens bedienen, darf also nicht verwundern.

Vertrauen der Kunden: Make or break

Die Akzeptanz von KI-Lösungen als Consultant-Substitut auf Seiten der Kunden stellt eine weitere Hürde dar. Menschen glauben durchaus den Anweisungen, die Computer und Smart Phones artikulieren: Fast blind wird den Routenangaben von Navigationsgeräten gefolgt, Beschäftigte lassen sich lieber von Computern, als von menschlichen Führungskräften Anweisungen geben und der Blick auf die Wetter-App im Smartphone scheint das „richtigere“ Wetter abzubilden, als der durchs Fenster nach draußen. Dieses Technikgrundvertrauen mag sich auch in Consulting-Kontexten fortsetzten.

Demgegenüber unterliegt KI (oft noch) einer Art Wahrnehmungsverzerrung. Sie arbeitet mit dem, was ihr an Datenfutter gegeben wird. Wenn – so ein einfaches Beispiel – Konzernvorstände in allen Inputs männlich sind, dann wird sich dies als Bias auch im Output wiederfinden. Ein solches Verhalten beziehungsweise dies Limitation mag dann wiederum das Vertrauen in etwaige durch KI erbrachte Consulting-Leistungen reduzieren.

Damit ist auch die Herausforderung skizziert, der sich Consultants stellen müssen. Ziel muss es sein, dass die menschliche Kundin der menschlichen Beraterin stärker vertraut, als dem digitalen Pendant. Das klingt zunächst leicht, aber das sehr schlechte Berufsprestige von Beratern steht dem entgegen.

Das Vertrauen beziehungsweise die Eigenschaft eines Vertrauensgutes ist eines der wichtigen Elemente von Beratung. Anders als bei Such- oder Erfahrungsgüter, deren Qualität schon vor beziehungsweise zumindest nach der Benutzung erkennbar ist, muss bei den sogenannten Vertrauensgütern darauf vertraut werden, dass das Gut oder die Dienstleistung die versprochene und vereinbarte Qualität hatte. Ein kontrollierter Vergleich ist hier kaum möglich:

Eine ärztliche Behandlung etwa kann kaum zwei Mal mit identischen Parametern an einem Patienten durchgeführt werden. Für die meisten Beratungsleistungen kann das Bild leicht übertragen werden, es gilt ähnliches.

Das Vertrauen der Kundinnen und Kunden wird, folgt man diesem Gedanken, noch stärker zu einer Schlüsselressource der Consultants, als es ohnehin schon ist (oder zumindest häufig propagiert wird). Für diejenigen, die sich hier passend positionieren, kann KI eine Unterstützung und Hilfe sei, für die anderen eher eine Gefahr fürs Geschäftsmodell – eine Rolle wird sie aber spielen und die Ausgangsfrage kann klar beantwortet werden: AI does matter!

 

Über die Person

Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr

Diskutieren Sie mit!     

  1. Dirk Lippold am 10.03.2023
    Ein sehr guter und nachvollziehbarer Einstieg in das Thema "KI in der Beratung". Vielen Dank dafür. Besonders die Untergliederung in drei Einstiegsbereiche überzeugt, wobei sich jeder Consultant über die immense Bedeutung des dritten Bereichs (Stichwort: Substitution bestimmter Leistungen) im Klaren sein sollte. Hier liegt ein ungeahntes Potenzial auch für Kontraktgüter.

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf CONSULTING.de

Editors Choice

alle anzeigen