Consulting im Style-Check – Kolumne von Wolfram Saathoff Ein frischer Haufe – Das können Sie vom Relaunch beim Seminaranbieter lernen

Wer seine Website liebt, mistet regelmäßig aus (Grafik: Haus am Meer)
Ich stelle mir den Musikgenuss von Liebhaberinnen und Liebhabern klassischer Musik so vor, dass sie sich zum neuen Album von Paganini oder so eine ›schöne Flasche Wein‹ aufmachen, einen trockenen Roten meinetwegen, der passt zu Bachs ›Der Geist hilft unser Schwachheit auf‹, oder zu Telemanns ›Fein säuberlich müsst ihr verfahren‹ einen perligen Chardonnay, sich in ihren Lounge Chair von Vitra plumpsen lassen, am Wein nippen und mit geschlossenen Augen der Musik lauschen, vielleicht mit der Hand, die nicht das Weinglas hält, ein unsichtbares Orchester dirigierend. So in etwa muss es sein. Hauptsache, der Wein ist schön korkig.
Ich mag klassische Musik durchaus, verstehen Sie mich nicht falsch. Vor allem Motetten haben es mir angetan, wohl das behäbigste, was es auf dem Musikmarkt so gibt, aber für das ›Spem in alium‹ von Thomas Tallis lasse ich jedes Kanye West-Album links liegen.
Zurück zur Klassik: Ich interessiere mich ja eher für Design.
Design besteht wie klassische Musik aus diversen einzelnen Elementen, die im Zusammenspiel Wohlklang oder Kakophonie ergeben. Ich war zum Beispiel mal zu Peer Gynt in der Laeiszhalle, es war zum Einschlafen langweilig. Das Problem eines verbeamteten Orchesters, meinte mein Kumpel zu mir. Ähnliches begegnet mir auf Beratungswebsites häufig: Als hätten Beamte eine Internetseite gestaltet und den Beweis erbracht, dass man alles richtig machen und am Ende doch nur Langeweile erzeugen kann.
Oder man stelle sich vor, mitten in ›Puccini‹ von Tosca schrubbt eine Bratsche ein hohes C statt eines niedrigen. Jedem Zuhörer drehen sich sofort die Fußnägel auf Rot! Für mich ist das so als wenn auf einer gut gemachten, modernen, freundlichen, farbenfrohen Website ein Schwarzweißfoto verwendet wird (wir sprachen bereits darüber). Grauenhaft!
Es gibt Regeln.
Oder würde man statt einer Trompete einfach eine Oboe einsetzen, vielleicht weil man gerade keine Trompete zur Hand hat oder man Oboen einfach lieber mag. Im Design wäre das zum Beispiel eine Serifenschriftart, wo eigentlich eine Serifenlose sein müsste. Und Nein: Das ist keine Geschmacksfrage! Es gibt Regeln. Regeln!
Während also der Klassikliebhaber liebhabend »Ach ja, das Klavierquintett opus post. 114 – D 667 in A-Dur« schwärmt und seinen Kopf sanft von links nach rechts wiegt, sind es bei mir eher Sätze wie »Schön gesetzt, die Neurial« oder »Wie aufregend, die Calicanto«, und meine damit die Schriftart, die der kundige Gestaltende an der richtigen Stellen einsetzt wie eine Chrysanthemenblüte im Ikebana-Gesteck.
Viel Schönes in sich
Jetzt ist es so, dass klassische Musik außerhalb von Schulaulas in der Regel von Profis gespielt wird. Vom Design kann man das leider nicht sagen. Da setzen sich Menschen an die Bratsche, die noch nicht mal Noten lesen können, aber denken: »Was der da kann, das kann ich schon lange. Und billiger ist es auch!«
Anders scheint man bei Haufe draufgewesen zu sein, denn deren Relaunch, der schon ein bisschen her ist, trägt sehr viel Schönes in sich.
Was ungewöhnlich ist, da die Beziehung von Seminaranbietern zu gutem Design eigentlich ungefähr dieselbe ist wie die von BMW-Fahrern zum Blinker: Man kommt nur äußerst selten in Kontakt.
Das führt zu Websites mit dem Charme von Telefonbüchern und Seminarprogrammen, die Lust machen, mal wieder ›Bonjour Tristesse‹ zu gucken.
So war es viele Jahre auch bei Haufe.
Fresh-up!
Dann kam der Relaunch, den man bei Haufe ganz passend ›Fresh-up‹ nennt, und man hat das vermeintlich Unmögliche geschafft, an den richtigen Dingen festzuhalten und die falschen über Bord zu werfen. Man hat die Fenster geöffnet, den Mief rausgelassen und sehr, sehr viel frische Luft herein.
Die neue Website ist hell, freundlich, gut strukturiert (was gerade bei einem solch riesigen Laden, der auf so vielen Themengebieten unterwegs ist, sehr schwer ist), man lenkt durch zurückhaltende Infografiken die Aufmerksamkeit vorsichtig, aber sicheren Tritts in die richtige Richtung. Die organischen Formen, die subtil über die Einzelseiten verteilt sind, verursachen trotz Informationsflut das Gefühl von Leichtigkeit. Das angestaubte Seriös-Blau wich einem frischen Modern-Blau, womit Haufe beweist, dass Grau-Blau nicht immer des Langweilers ist (›Fifty Shades of Blaugrau‹ ), wenn man denn frohen Mutes voranschreitet, statt sich seiner Angst vor dem Herausstechen zu ergeben (›Das unauffällige Beraterlein – Wer keinen Mut hat, geht unter‹ ).
Was mich auch sehr freut ist die Tatsache, dass man offensichtlich ebenso wenig Angst vor langen Seiten hat. Allzu oft begegnet uns die Befürchtung mancher Kunden, dass man auf ihren Seiten vielleicht zu viel scrollen müsste.
Was, verzeihen Sie mir, einfach Quatsch ist – Scrollen ist im Netz ein ungefähr genauso natürlicher Vorgang wie auf einen Link zu klicken. Bei modernen Geräten brauchen Sie nicht einmal mehr eine Maus, sondern nutzen Ihren Finger. Wer sich vom Scrollen überfordert fühlt, hat im Internet bestimmt auch sonst nicht viel Freude!
Form follows Function
Vor allem bei der Haufe Akademie fällt auf, wie durchdacht das Ganze ist. Das Design folgt (Raymond Loewys Aussage ›Form follows Function‹ folgend) einer klug durchdachten Seitenstruktur und Informationshierarchie (auch darüber schrieb ich bereits), beziehungsweise geht beides sehr schön Hand in Hand, wodurch man bei einem schier unübersichtlichen Seminarangebot an keiner Stelle den Eindruck von Verlorensein hat, was auf Websites von diesem Umfang schnell passiert.
Fazit: Ganz großes Damentennis
Sie merken es: Ich bin ganz begeistert. Ist es die beste Internetseite, die ich je gesehen hab? Natürlich nicht. Aber für die Branche muss man sagen: Das ist ganz großes Damentennis! Offenbar hat man bei Haufe meine Kolumnen sehr eifrig gelesen. Oder das Training ›Webseiten-Relaunch – Step by Step‹ im eigenen Haus gebucht. Oder sich eine gute Agentur gesucht. Oder was auch immer.
Ihnen, werte Leserin, werter Leser, kann ich drei Learnings mit auf den Weg geben:
- Schneiden Sie sich davon eine große Scheibe ab.
- Siehe 1.
- Siehe 2.
Bleiben Sie gesund und munter, wir sprechen dann im nächsten Monat über Ihre Fortschritte.
Hinweis der Redaktion: Die Agentur hinter dem Haufe-Relaunch ist die Kölner Agentur Norm-4. Das Unternehmen steht in keiner Beziehung zu Wolfram Saathoff.
Über die Person
Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org
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