Blick in die Bilanz: CONSULTING.de-Kolumne von Bert Erlen Ein Unternehmen finanziell führen (3): Die Unternehmensexistenz sichern

Auch der Kapitalmarkt ist ein Markt. Die Kapitalgeber erwarten eine Vergütung dafür, dass sie einem Unternehmen ihr Kapital zur Verfügung stellen. Der Preis am Kapitalmarkt ist die Rendite, und wenn die nicht hoch genug ist, bekommen Unternehmen kein Kapital. Aber ohne Kapital kein Geldkreislauf und ohne Geldkreislauf keine Arbeitsplätze. Lesen Sie heute, wie sich die Renditeerwartung der Kapitalgeber berechnet und warum das eine Existenzfrage ist.
Der Pfad der Tugend: Wertorientierte Unternehmensführung
Erinnern Sie sich an den Pfad der Tugend aus dem letzten Artikel? Sie sind safe, wenn Sie „genug“ Geld verdienen, was Unternehmen wiederum regelmäßig in der Gewinn- und Verlustrechnung publizieren. Denn das zentrale Ziel jeder unternehmerischen Tätigkeit ist die Sicherung der langfristigen Unternehmensexistenz. Und ein Unternehmen kann nur überleben, wenn auf lange Sicht die Gewinne des Unternehmens dafür ausreichen, die Renditeansprüche der Eigenkapitalgeber zu befriedigen. Denn dafür – und nur dafür(!) – werden die Gewinne erwirtschaftet. Bevor wir uns aber der spannenden Frage widmen, wie hoch denn die Renditeansprüche der Eigentümer sind, soll kurz die Systematik der wertorientierten Unternehmensführung dargestellt werden.
Das wertorientierte Controlling schaut nicht nur auf die Eigentümer und darauf, ob die Gewinne für sie hoch genug sind. Sondern das Controlling fasst in der Regel alle Kapitalgeber zusammen, betrachtet also Eigen- und Fremdkapitalgeber insgesamt. Denn auch die Kreditgeber erwarten ja eine Rendite (die Kreditzinsen). Wie bereits dargestellt, steht das gesamte dem Unternehmen zur Verfügung stehende Kapital auf der rechten Bilanzseite: Eigenkapital, Rückstellungen und Verbindlichkeiten. Die Summe der Renditeansprüche dieser Gruppen sind die gesamten „Kapitalkosten“ des Unternehmens.
Was kostet das Eigenkapital?
Wieviel das Unternehmen für seine Kapitalgeber erwirtschaften muss, richtet sich nach deren Ansprüchen. Zunächst die Eigentümer:
Die zentrale Frage dabei lautet: Wieviel Rendite erwartet jeder von uns von einer Anlage in Aktien? Typischerweise erwartet man mehr als eine bestimmte Mindestrendite, die man bei Anlage des Geldes in eine sichere Bundesanleihe erwarten könnte – derzeit ca. 1%. Mehr, weil die Anlage in Aktien ja ein mehr oder minder großes Ausfallrisiko beinhaltet. Dieses „mehr“ nennt man Risikoaufschlag. Der Risikoaufschlag hängt natürlich vom jeweiligen Risiko des Unternehmens ab und wird daher für jedes Unternehmen individuell bestimmt.
Die Renditeansprüche der Eigentümer errechnen sich also aus einer Mindestrendite für eine sichere Vergleichsanleihe plus eines unternehmensspezifischen Risikoaufschlages.
Was kostet das Fremdkapital?
Die Kreditgeber als zweite große Gruppe der Kapitalgeber erwarten den im Kreditvertrag vereinbarten Zinssatz als Rendite. Da dieser vertraglich vereinbart ist, ist das Risiko des Ausfalls geringer. Dementsprechend liegt der Verzinsungsanspruch um die Risikoprämie verringert unter dem der Eigentümer. Verbindlichkeiten sind damit für das Unternehmen eine günstigere Kapitalquelle als Eigenkapital.
Als dritte Gruppe der Finanzierungsquellen hatten wir oben die Rückstellungen benannt. Ob diese ihrerseits „verzinst“ werden müssen, hängt von ihrem Zweck ab. Pensionsrückstellungen beispielsweise müssen jedes Jahr erhöht werden. In der Gewinn- und Verlustrechnung werden dafür Kosten angesetzt, die den Gewinn verringern. Der „Renditeanspruch“ der Pensionsrückstellungen ist also der jährliche Erhöhungssatz. Eine mögliche Verbindlichkeit im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung („Prozessrückstellung“) dagegen wird sich in der Regel über die Zeit des juristischen Prozesses nicht verändern. Aus ihr entstehen daher keine Kapitalkosten.
Kapitalkosten und WACC
Die gesamten Kapitalkosten des Unternehmens errechnen sich damit als durchschnittlicher Zinssatz aus den Renditeansprüchen der Kapitalgeber. Dieser Zinssatz heißt WACC („Weighted Average Cost of Capital“), „Gewichteter durchschnittlicher Kapitalkostensatz“. Der konkrete Geldbetrag der Kapitalkosten ist dieser Prozentsatz multipliziert mit der Summe des Kapitals des Unternehmens.
Um die Forderungen der Kapitalgeber des Unternehmens zu erfüllen, muss sich das Vermögen im betrachteten Zeitraum um diesen Betrag erhöht (die Bilanz um diesen Betrag verlängert) haben.
Wer erwirtschaftet die Kapitalkosten?
Diese geforderte Vermögensmehrung muss das Unternehmen mit seinem Vermögen (aufgelistet auf der linken Bilanzseite) erwirtschaften. Und zwar konkret diejenigen Mitarbeiter des Unternehmens, die diese Vermögensgegenstände täglich nutzen, um damit gute Produkte und Dienstleistungen für ihre Kunden zu produzieren. Mit dem Ziel, Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings wird nicht der Gewinn mit den Kapitalkosten verglichen, sondern der Gewinn vor Abzug von Zinskosten und Steuern, der sogenannte EBIT („Earnings before Interest and Taxes“). Vor Zinskosten, weil diese in die Kapitalkosten eingerechnet werden (sie „gehören“ zur rechten Bilanzseite) – man würde sie sonst doppelt berücksichtigen. Und vor Steuern, weil man die Performance des operativen Managements nicht durch – von den operativen Bereichen im Grunde nicht zu beeinflussende – Steuereffekte bereinigen möchte. Auch im internationalen Vergleich, wo steuerliche Einflüsse den Performancevergleich verfälschen würden.

Der EBIT ist also das operative Ergebnis des Unternehmens. Er zeigt an, um wie viel sich im betrachteten Zeitraum das Vermögen des Unternehmens vermehrt (sich also die Bilanz verlängert) hat. Prozentual kann der EBIT als RoCE („Return on Capital Employed“) „Rendite auf das eingesetzte Kapital“ ausgedrückt werden, indem der EBIT durch das gesamte Vermögen (= das gesamte Kapital) geteilt wird.
Und wenn diese Vermögensmehrung größer ist als die Kapitalvermehrungserwartungen der Kapitalgeber, dann hat das Unternehmen Wert geschaffen. Oder: Wenn der EBIT über den Kapitalkosten (= RoCE über WACC) liegt, wurde der Wert des Eigenkapitals vergrößert.

Dieses Ziel dauerhaft zu verfolgen, ist wertorientierte Unternehmensführung. Und dieses Ziel nachhaltig zu erreichen sichert die Existenz des Unternehmens. Und dieses Ziel jeden Tag vor Augen zu haben, ist Aufgabe jeder Führungskraft.
Wertorientiertes Controlling und Wertorientierte (Unternehmens-) Führung
Die Unternehmensleitung und das unternehmerische Controlling müssen also sicherstellen, dass die Kapitalgeber des Unternehmens auf lange Sicht zufrieden gestellt werden. Wertorientierte Führung ist damit unabdingbar, um die Unternehmensexistenz nachhaltig zu sichern. Das Controlling leitet konsequenterweise alle operativen und strategischen Zielsetzungen im Unternehmen von der „Kapitalkostenhürde“ ab.
Die Instrumente der Finanziellen Führung sind die oben beschriebenen:
- Finanzcontrolling
- Business Cases und Investitionsmanagement sowie
- Kostencontrolling in Verbindung mit der Gewinn- und Verlustrechnung.
Die Kapitalkostenhürde in Form des WACC ist zentrales Bemessungskriterium für „gute“ und „schlechte“ Unternehmensführung. Dieser Zinssatz wird daher in alle Instrumente folgendermaßen eingerechnet:
- Finanziere das Unternehmen zu den geringst möglichen Kapitalkosten.
- Investiere nur in solche Vermögensgegenstände, die mehr als die Kapitalkosten erwirtschaften werden.
- Generiere mit den vorhandenen Vermögensgegenständen stets mehr als die Kapitalkosten.
Finanzielle (Unternehmens-)Führung ist also die Steuerung des Unternehmens nach diesen drei Kriterien:

Die globalisierten Finanzmärkte
Und warum wird das immer wichtiger? Warum nimmt der Renditedruck ständig zu? Warum sind die Renditeansprüche der Kapitalgeber in den letzten Jahren so in den Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses gerückt?
Weil wir heutzutage unser Geld nahezu überall und über das Internet in Echtzeit anlegen können. „Daytrader“ benötigen noch nicht einmal mehr eine Bank; sie handeln direkt an den Börsen dieser Welt. Genauso die Lebensversicherungen und Pensionsfonds, die für uns und alle anderen zukünftigen Pensionäre der Industrienationen eine auskömmliche Rente erwirtschaften sollen. Oder die Emittenten von Aktien und Indexfonds, die unser Geld einsammeln und ebenfalls für uns vermehren sollen. Oder oder oder… Und alle diese Anleger verfolgen letztlich nur ein Ziel: Rendite!
Rendite, die die Unternehmen, die dieses Kapital nutzen, erwirtschaften müssen. Geändert hat sich die Tatsache, dass deutsche Unternehmen heute nicht mehr – wie noch vor 30 Jahren – nur mit anderen deutschen Unternehmen um Kapital konkurrieren, sondern weltweit. Und während in der damaligen Deutschland AG persönliche Kontakte und ein solides Management als Versprechen für gute Gewinne reichten, kann der Erfolgsmaßstab in der Anonymität der globalen Finanzmärkte nur die dauerhafte Rendite sein. Treiber dieses Renditestrebens sind wir alle, die wir ebenso unsere Geldanlagen und Vorsorgeprodukte fast ausschließlich nach Renditegesichtspunkten auswählen.
Gute Unternehmensführung
Trotz aller Zahlenorientierung gilt aber: Nachhaltig hohe Renditen können nur Unternehmen erwirtschaften, die auch zufriedene Kunden haben. Und Kunden können dauerhaft nur dann zufriedengestellt werden, wenn sich auch die Mitarbeiter im Unternehmen fair behandelt fühlen. Gute Mitarbeiterführung und hohe Kundenorientierung sind daher unabdingbare Voraussetzungen für nachhaltigen Unternehmenserfolg, für Wertsteigerung und damit für die dauerhafte Existenzsicherung.
Und das können die Zahlen nicht. Sie sind nur der Maßstab. Sie führen ja auch keine Zahlen, Sie führen Menschen.
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