Interview mit Thomas Kautzsch "Eine Frage von Macht, Kompetenzen und Ressourcen"

Thomas Kautzsch ist Partner bei Oliver Wyman in München und Leiter des globalen Branchenteams Automotive and Manufacturing Industries. Im Gespräch mit CONSULTING.de wirft er einen Blick auf die Entwicklungen der Digital Industry, den Aspekt der Datenhoheit in der Industrie 4.0 und ordnet den Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich ein.

Thomas Kautzsch, Oliver Wyman

Thomas Kautzsch, Oliver Wyman

CONSULTING.de: Herr Kautzsch, Stichwort Industrie 4.0, beschreiben Sie doch bitte einmal die aus Ihrer Sicht diesbezüglich wichtigsten Aspekte!

Thomas Kautzsch: Industrie 4.0 – oder Digital Industry – wird einerseits neue Geschäftsmodelle schaffen andererseits die Art und Weise, wie Unternehmen operieren, die Prozesse und Entscheidungsstrukturen deutlich verändern. Die Realisierung der Potenziale von Digital Industry wird durch das Zusammenspiel verschiedener Technologien ermöglicht, hierzu zählen unter anderem Big Data Analytics, die nächste Generation von Sensoren und Robotern und die Verknüpfung verschiedener Systeme.

CONSULTING.de: Welche Erkenntnis würden Sie als die wichtigste beschreiben, die Sie im Rahmen Ihrer internationalen Studie zum Thema "Digitale Industrie" gewinnen konnten?

Thomas Kautzsch: Digital Industry wird in den nächsten Jahren eine Steigerung der Prozesseffizienz bewirken, die mindestens vergleichbar ist mit der LEAN-Welle der 90er Jahre. Wieder werden Prozesse radikal verändert. Dieses Mal sind allerdings indirekte Prozesse sehr viel stärker betroffen und die Optimierung wird in vielen Fällen über Unternehmensgrenzen hinweggehen. Wer seinen Kunden bei dieser Optimierung Lösungen bieten kann, wird profitieren. Die Herausforderung für viele Unternehmen ist, dass sie nur über einen Teil der Kompetenzen verfügen, um ihren Kunden ein wirkungsvoller Partner zu sein. 

CONSULTING.de: Sie prognostizieren ein zusätzliches Wertpotenzial im Feld der Industrie 4.0 – welche Akteure könnten die Gewinner sein?

Thomas Kautzsch: Zunächst einmal werden seitens der Unternehmen erhebliche Anstrengungen erforderlich sein, um im Kreis der führenden Unternehmen aus Sicht der Kunden weiter mitspielen zu können. Wer das nicht leisten kann wird zweitklassig. 

Bei den Gewinnern wird es unterschiedliche Geschäftsmodelle geben. Unsere Analysen haben aber gezeigt, dass die Hersteller der Enabler-Technologien, wie etwa Sensoren oder Roboter, zwar durchaus substanziell wachsen können, dass der Großteil des Wertes aber in der Applikation liegen wird: Derjenige, der die Lösung bietet beziehungsweise realisiert, wird überproportional profitieren. 

Wer behält die Datenhoheit?

CONSULTING.de: Je mehr Daten in Zukunft erfasst werden, desto wichtiger und eventuell auch kritischer ist die Antwort auf die Frage, wem diese Daten überhaupt gehören: Dem Industrieunternehmen, in dem die Anlage steht, dem Softwareunternehmen oder dem Entwickler/Hersteller der Roboter? Welche notwendigen Lösungsansätze konnten Sie diesbezüglich schon identifizieren?

Thomas Kautzsch: Aus meiner Sicht ist das eine Frage der Macht, der Ressourcen und der Kompetenzen. Der kleine Mittelständler wird oftmals gar nicht anders können, als die Datenhoheit an Dritte abzugeben, aber ein Automobilhersteller wird in der Regel Kontrolle und Eigentum über kritische Daten sicherstellen. Start-ups und Technologiekonzerne versuchen wiederum über Plattformen und Tools Einfluss zu sichern. 

CONSULTING.de: Als größten digitalen Werthebel von insgesamt neun identifizierten Sie ein besseres Verständnis der konkreten Kunden-Nachfrage und eine intelligente Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft – wo genau liegt dieses Potenzial brach, das Sie für 2030 mit einem Margenzuwachs von 600 Mrd. US-Dollar beziffern?

Thomas Kautzsch: Viele Branchen des produzierenden Gewerbes funktionieren immer noch nach dem Prinzip des Product Pushs'. Produkte werden auf Basis aufwendiger Marktforschung entwickelt, in Serie produziert und dann wird versucht sie zu verkaufen. Die Auswahl ist beschränkt, Produktion und Nachfrage stimmen nicht immer überein, Preise sind relativ fix. Sonderwünsche des Kunden erfordern spezifische Abläufe und erzeugen hohe Kosten.

In der Welt von Digital Industry gibt es zwei Wege, das radikal zu ändern: Ideal wäre die Umstellung der Prozesskette und die Flexibilisierung der Fertigung auf Losgröße 1. Alternativ bietet sich die Big-Data-getriebene Vorhersage dessen an, was der Kunde kaufen wird, ähnlich, wie Essens-Lieferdienste den Bedarf vorhersagen, schon vorher kochen und ihre Lieferfahrzeuge losschicken.

In beiden Fällen bekommt der Kunde genau das Produkt, das er will, ohne Wartezeit. Die Preisgestaltung kann entsprechend angepasst werden. Der Aufwand in Absatz- und Produktionsplanung geht drastisch zurück und wird im Wesentlichen automatisiert. Die gesamte Lieferkette wird automatisiert vom Kundenbedarf her gesteuert. 

CONSULTING.de: Warum gehen Sie nicht davon aus, dass sich Amazon & Co in diesem Bereich erfolgreich engagieren werden?

Thomas Kautzsch: Wir gehen davon aus, dass die großen B2C-Spieler für industrielle Anwendungen in den meisten Fällen nicht die große Bedeutung erlangen werden, wie oftmals prognostiziert, dass also Apple, Google und Amazon nicht den deutschen Maschinenbau erobern werden. Grund hierfür ist der Nischencharakter der Anwendungssegmente, der sehr spezifische Lösungen erfordert. Diese Nischen sind für Unternehmen mit B2C-Fokus sehr klein und wenig attraktiv.

Führungskräfte müssen Mitarbeiter gewinnen und halten

CONSULTING.de: Welche Defizite sehen Sie bei heutigen Führungskräften – welche Qualifikationen fehlen, um datenbasierte Entscheidungsprozesse abschätzen und in die richtige Richtung treiben und entscheiden zu können? 

Thomas Kautzsch: Ich sehe hier nicht primär ein Qualifikationsproblem der Führungskräfte. Das Problem, das eigentlich fast alle Unternehmen haben, ist, dass sie nicht genug Mitarbeiter mit den notwendigen Qualifikationen für die digitale Welt finden und halten können. Die Herausforderung für Führungskräfte ist daher primär, einen Beitrag zu leisten, dass eine Kultur und ein Umfeld geschaffen wird, das solche Talente anzieht und motiviert. 

CONSULTING.de: Wie ordnen Sie den Bedarf an entsprechenden Fachkräften in Deutschland in den kommenden Jahren ein?

Thomas Kautzsch: Der Bedarf ist riesig. Es wird auf Jahre einen Wettbewerb geben, solche Talente anzuziehen, zu entwickeln und zu halten.

Das Interview führte Dorothee Ragg.

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