Distressed Ladies – Women in Restructuring - Interview „Eine Frau muss nicht Superwomen sein, um sich im Consultingumfeld zu behaupten“

Wie kamen Sie auf die Idee das Netzwerk „Distressed Ladies“ zu gründen? War das direkt oder indirekt eine Reaktion auf den geringen Frauenanteil in der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung?
Katharina Gerdes: Bei einem Mittagessen in 2013 unterhielt ich mich mit zwei Kolleginnen, Sylwia Maria Bea und Anne Schwall, darüber, dass die Arbeit auf einem bestimmten Mandat viel Spaß gemacht hatte, weil wir ausnahmsweise mal nicht die einzigen Frauen im Team waren. Wir schauten daraufhin in unserem Netzwerk, welche Frauen wir noch in der Restrukturierungs- und Insolvenzbranche kannten und loteten aus, ob Interesse an einem gemeinsamen Austausch bestand. Also ja, die Idee für das Netzwerk entstand aus dem Umstand der damals geringen Präsenz weiblicher Professionals in der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung.
Welche Vorteile hat es für Sie persönlich Mitglied im Netzwerk zu sein?
Monika Dussen: Netzwerken ist generell immer von Vorteil, egal in welchem Bereich und gerade auch für Frauen. Von den Erfahrungen anderer zu lernen, ist von unschätzbarem Wert, und auch, sich zu ganz persönlichen Fragestellungen austauschen zu können. Betrachtet man die Führungsriegen der Beratungen und Kanzleien in unserem Geschäft fällt eines auf: Viele Empfehlungen und Kontakte kommen aus dem Netzwerk. Männer praktizieren das bereits sehr viel häufiger und auch selbstverständlicher als Frauen. Frauen scheuen, meiner Erfahrung nach, auch eher davor zurück klar zu kommunizieren; was sie können und welche Aufgaben sie aufgrund ihrer Qualifikation und Expertise übernehmen wollen. Stichwort Seilschaften: Das Wort ist ja an sich etwas negativ besetzt. Im Grunde heißt das aber nur, dass man sich gegenseitig unterstützt und gemeinsam einen Berg erklimmt, anstatt einsam an die Spitze zu rennen.
Katharina Gerdes: Ich kann Monika zustimmen. Außerdem spielt, gerade in unserer Branche, gegenseitiges Vertrauen unter den Akteuren für die erfolgreiche Bewältigung der Unternehmenskrise eine große Rolle. Mandate werden daher meist im eigenen Netzwerk vergeben. Entsprechend geht es auch bei den Distressed Ladies darum, dass sich die Mitglieder gegenseitig aktiv unterstützen. Dies geschieht z.B. durch den fachlichen Austausch bei Fragen im Projekt - hier bietet gerade die multidisziplinäre Aufstellung des Netzwerks einen großen Vorteil. Die Mitglieder unterstützen sich auch bei der Geschäftsentwicklung, u.a. durch Empfehlungen ins Mandat und das Auftuen von Speaking-Opportunities, die dann durch geeignete Mitglieder besetzt werden.
Was müsste sich in der Consultingbranche ändern, damit der Frauenanteil vor allem in den Führungsetagen deutlich ansteigt?
Monika Dussen: Häufig liegt es an der vermeintlich schlechten Vereinbarkeit von Job und Familie. Ein Beruf, der viel Reisetätigkeit nach sich zieht, ist für die Eltern eine Herausforderung; zumindest ein Elternteil muss ja vor Ort ansprechbar für die Kinder sein. D.h. dann auch, dass für eine erfolgreiche Frau im Consulting ein Familienvater vorhanden sein muss, der seinen Job mit der Familie und der Karriere seiner Frau vereinbaren kann. Hier braucht es gute Organisation und auch Verständnis innerhalb des Unternehmens, auch für den Vater! Zudem sollten Unternehmen, wollen sie mehr Frauen in Führungsetagen, diese auch ermutigen, Karriere zu machen. Dazu gehört auch hin und wieder, die weiblichen Angestellten ins kalte Wasser zu werfen und ihnen Jobs anzubieten, die sie sich selbst (noch) nicht zutrauen. Zudem braucht es natürlich einheitliche Vorgaben für alle. Beförderungen müssen unabhängig von Geschlecht stattfinden und wirklich nur an die individuelle Leistung gekoppelt werden. Und natürlich muss die Bezahlung bei gleichen Jobs auch die gleiche sein. Wobei dies in der Beratung, aufgrund der Leistungsorientierung, meiner Erfahrung nach eher der Fall ist als in Linienfunktionen.
Katharina Gerdes: Für eine Karriere im Consulting reicht es nicht aus „einfach nur gut zu sein“ in dem was man tut. Es muss auch ein belastbarer Business Case her, d.h. ausreichend eigenes Geschäft. Dies ist keine Frage – jedenfalls nicht nur – der internen Strukturen, sondern hängt, wie oben bereits dargestellt, ganz wesentlich von den Marktgegebenheiten oder Seilschaften, wie Monika es nannte, ab. Zum einen sollte bei der Förderung weiblicher Talente daher ein besonderer Fokus auf das Thema Vernetzung und Netzwerkarbeit gelegt werden. Zum anderen gehe ich davon aus, dass mit einer wachsenden Zahl von weiblichen Führungskräften in Unternehmen auch die Zahl weiblicher Beraterinnen in Top-Positionen zunehmen wird.
Die Beratungsbranche kämpft mit anderen Branchen um die besten weiblichen Talents. Wo sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Hebel, damit der weibliche Nachwuchs den Weg in die Beratung findet?
Monika Dussen: Hier braucht es definitiv weibliche Role Models. Viele Frauen trauen sich das vermeintlich harte und auch nach wie vor männerdominierte Beratungsumfeld nicht zu. Wenn sie sehen, wie andere Frauen ihren Weg gegangen sind und wie sie es geschafft haben, macht das Mut, eine Karriere in der Beratung einzuschlagen. Ich bin mir sicher, je mehr Frauen in den Führungsetagen sind, desto mehr andere Frauen kommen nach. Denn, dass sie die Jobdescription genauso erfüllen müssen wie ihre männlichen Kollegen, ist den Frauen klar. Nur, dass sie keine Superwomen sein müssen, um sich im Consultingumfeld zu behaupten, ist vielen nicht bewusst. Für kommende Generationen wird es dann hoffentlich keine Besonderheit mehr sein, dass es gemischte (Führungs-)Teams gibt.
Katharina Gerdes: Es geht darum, realistische Karrierewege aufzuzeigen. Beratungsgeschäft bedeutet, zumindest im Bereich der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung, in erster Linie Projektgeschäft. In der Projektphase wird sehr viel und unter hohem Druck gearbeitet. Es passiert nicht selten, dass junge Frauen und Männer den Weg in das Projektgeschäft unbewusst einschlagen und sich später dann aus Gründen der Vereinbarkeit von Job und Familie oder Work-Life Balance noch einmal umorientieren. Auf dieses Selbstverständnis des Nachwuchses muss natürlich reagiert werden. Es hilft also nichts, die Realität des Jobs schön zu malen, sondern es müssen realistische Karrierewege aufgezeigt und die Konditionen des Arbeitsumfeldes dort, wo es möglich ist, verbessert werden. Gerade mit Blick auf die Erfahrungen aus der Covid-19 Pandemie dürfte hier das Thema Flexibilität ein Hebel sein. Soweit es das Mandat zulässt, kann Mitarbeitern z.B. Eigenverantwortung mit Blick auf Arbeitsort und Arbeitszeit durchaus zugetraut werden.
Im Sinne der Nachwuchsförderung dürfte es sich zudem lohnen, zwischen den Projekten Ausgleichsphasen zuzulassen bzw. diese bestenfalls sogar proaktiv einzubauen. In dieser Phase bietet es sich dann an, den Schwerpunkt auf Netzwerkaufbau und die Geschäftsentwicklung zu legen und die Nachwuchskräfte gezielt zu fördern.
Insbesondere mit Blick auf Frauen sollte sich Förderung nicht in Vorträgen zu Softskill-Themen oder How-to-Workshops erschöpfen. Vielmehr sollte es um konkrete Unterstützung in Bereichen gehen, in denen sich heute noch systemische Nachteile ergeben, wie beispielsweise im Bereich des Zugangs zu relevanten Netzwerken. Gelingt die Förderung des weiblichen Nachwuchses, gelangen wir zu den von Monika schon benannten Role Models, die sicher ein wichtiger Baustein sind/sein werden, weitere junge Frauen zu ermutigen, eine Karriere in der Beratung anzugehen.
Etliche Beratungshäuser nähern sich dem Thema Diversity, in dem sie versuchen zunächst mehr Frauen zu rekrutieren. Wo fängt ein Haus am besten an, wenn es die Frauenquote nachhaltig erhöhen möchte?
Monika Dussen: Beim Mindset. Natürlich ist es gut, mehr Frauen zu rekrutieren. Wenn diese Frauen im Laufe ihres Berufswegs dann allerdings mit Vorurteilen konfrontiert oder in Sachen Aufstiegschancen benachteiligt werden, ist auch nicht viel gewonnen. Den High-Potentials unter den Beraterinnen muss spätestens, wenn die Familienplanung ansteht, klar sein, dass sie die Chancen auf eine Top Karriere haben. Denn nur dann sind die nötigen Kompromisse im familiären Umfeld meiner Ansicht nach sinnvoll zu gestalten.
Katharina Gerdes: Konsequent sein und sich für jede zu besetzende Position mindestens auch eine Frau anschauen. Im Übrigen kann ich mich Monika nur anschließen.
Die Pandemie nähert sich dem Ende. Viele Berater haben erkannt, dass man nicht immer beim Kunden vor Ort sein muss. Wird sich durch die Pandemie ihrer Meinung grundsätzlich etwas für Frauen in der Beratung verändern? Werden weibliche Karrieren im Consulting nach Corona leichter möglich sein?
Monika Dussen: Zum aktuellen Zeitpunkt würde ich sagen: Die Rahmenbedingungen werden besser. So ist die Rückkehr aus der Elternzeit oder die Vereinbarkeit von Job und Familie durch eine neue, agile und hybride Art des Arbeitens sicher einfacher geworden. Auf der anderen Seite war zu beobachten, dass zum Teil alte Rollenmuster wieder auftauchten. Homeoffice plus Homeschooling, in vielen Fällen blieb das dann am Ende doch wieder an den Frauen hängen. Hier müssen sich alle Beteiligten weiterentwickeln. Viele Frauen müssen ihren Männern (den Vätern) mehr zutrauen und Männer müssen sich noch selbstverständlicher in der Familie engagieren. Das funktioniert aber nur, wenn Unternehmen insgesamt Lösungen für Eltern anbieten, seien es nun Männer oder Frauen! Entscheidend ist hier in Zukunft: In den Unternehmen muss sich ein Mindset durchsetzen, dass beide Seiten von Diversität profitieren. Klar ist auch, dass es sich in Zeiten des Fachkräftemangels kein Unternehmen und keine Branche mehr leisten kann, auf das Know-how und das Potenzial seiner weiblichen Angestellten zu verzichten. Hinter einer erfolgreichen Frau und Mutter steht allerdings auch immer ein starker Vater! Hier sind wir noch längst nicht so weit, wie wir sein müssten. Für uns in der Beratung ist der persönliche Kontakt zu unseren Kunden natürlich essenziell, deshalb werden wir auch in Zukunft nicht vollständig auf Reisen verzichten. Gerade in unserem Umfeld geht es häufig um die Existenzen der Unternehmen und den Erhalt vieler Arbeitsplätze. Da reicht es nicht, sich nur virtuell zu sehen. Allerdings rechnen wir damit, dass die Reisetätigkeit etwas abnehmen wird, schon allein aus Nachhaltigkeitsgründen, die wir sehr ernst nehmen.
Katharina Gerdes: Als Anwältin bin ich gar nicht so viel bei dem Mandanten vor Ort. Aber es wurde natürlich viel gereist und ansonsten überwiegend aus dem Büro gearbeitet. Der mit Corona einhergehende erhöhte Digitalisierungsgrad eröffnet zahlreiche Möglichkeiten mit Blick auf flexibleres Arbeiten. Ich sehe darin ganz klar eine Chance für Frauen und Männer „Familie und Job“ noch besser vereinbaren zu können. Das sollte von den Beratungsunternehmen und Kanzleien ebenfalls als Chance begriffen und unterstützt werden.


Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden