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Teil 1 des Interviews mit Iris Grewe, BearingPoint „Eine Unternehmensberatung lebt auch davon, dass sich Bedarfe auf Kundenseite verändern, die wiederum auf unser Portfolio wirken“

Welche Business-Chancen ergreift BearingPoint und welche nicht? Am Beispiel der Betriebsgastronomie erläutert Deutschland-Chefin Iris Grewe die Leitplanken des Unternehmens (Bildnachweis: picture alliance / Ulrich Baumgarten)
Wenn es verschwimmende Grenzen gibt, dann muss es ja irgendwann auch mal klare Grenzen gegeben haben. Wie definieren Sie die Grenzen, was Consulting ist und was nicht?
Iris Grewe: In der Vergangenheit, als Consulting entstanden ist, gab es eher klare Definitionen. Es waren häufig Wirtschaftsprüfungen, aus denen die Beratung ergänzend entstanden ist. Dann gab es Strategieberater, die sich vor allem auf die strategische Begleitung von Kunden fokussiert haben. Den dritten Aspekt in diesem Spannungsfeld, die Technologieberatung, gab es so noch nicht vor rund 40 Jahren.
Und diese Grenzen sind aus unserer Sicht als BearingPoint schon lange nicht mehr da. Wir haben uns 2009, als wir uns durch einen Management Buy-Out unabhängig gemacht haben, bewusst als Management- und Technologieberatung positioniert.
Damals haben viele Analysten gefragt: „Was seid Ihr denn jetzt? Managementberater oder eine IT-Truppe?“ Unsere Antwort war: „Beides“.
Wir setzen in der Managementberatung, bei der Strategie und der Konzeption an und ermöglichen den Wandel unter Nutzung von Technologie: Management und Technologie. So wird ein Schuh draus, denn den Wandel umzusetzen geht selten nur auf Konzeptbasis. Man braucht in der Regel IT, Technologie, EDV dazu. Das ist bis heute so und hat sich eher noch verstärkt.
Hat das bei BearingPoint auch etwas mit der klaren Abspaltung von KPMG zu?
Iris Grewe: Wirtschaftsprüfungen gibt es ja schon seit weit mehr als 100 Jahren, gefühlt sozusagen „schon immer". Die Prüfer haben mitunter Dinge gefunden, die Veränderungsbedarf für die Unternehmen bedeuteten und dann haben die Berater diese Veränderungen begleitet.
Das war selten rein strategisch, sondern oft recht operativ. Produkte, Prozesse, Abläufe glätten, damit es prüfbar, ordnungsgemäß wird. Dadurch entstand das Operations-nahe Consulting, das es auch heute noch gibt. Die Tatsache, dass sich Consultancy-Bereiche oder Advisory Units, die wirtschaftsprüfungsnah entstehen und sich dann wieder abspalten, so wie es heute wieder diskutiert wird, – liegt aus meiner Sicht daran, dass aufsichtsrechtliche Behörden, bspw. die SEC in den USA, nicht möchten, dass Prüfung und Beratung Hand in Hand gehen, um Interessenskonflikte in den Firmen zu vermeiden.
Die Tatsache, dass wir als Unternehmensberatung im Management- und Technologiebereich tätig sind, hat mit der unternehmerischen Struktur daher wenig zu tun. Ohne aufsichtsrechtliche Behörden würden wahrscheinlich die Konzerne, die in der Prüfung oder Steuerberatung tätig sind, nach wie vor auch weiter umfangreich in der Transformationsberatung tätig sein.
Wenn sie denn dürften. Es gibt immer wieder Verlockungen, die rechts und links vom Kerngeschäft auftauchen. In Ihrem Business gibt es doch ständig irgendwelche Möglichkeiten, die man ergreifen könnte, oder?
Iris Grewe: Geht das in die Richtung: „Was ist Kerngeschäft?“
Ja
Iris Grewe: Generell würde ich es mal so formulieren: Unser Kerngeschäft ist es, Chancen zu ergreifen. Basierend auf unseren Service Lines und den Kundensegmenten prüfen wir kontinuierlich neue Möglichkeiten, unser Dienstleistungs- und Produktportfolio weiterzuentwickeln. So entsteht Wandel und auch Wachstum.
Das Kerngeschäft ändert sich dadurch. Und das ist auch in Ordnung so.
Eine Unternehmensberatung lebt zudem auch davon, dass sich Bedarfe auf Kundenseite verändern, die wiederum auf unser Portfolio wirken. Diese Wechselwirkungen machen es spannend, in so einem Umfeld zu arbeiten.
Aber wie setzen wir jetzt Leitplanken, um zu entscheiden, welchen Möglichkeiten wir nachgehen? Oder welche Dinge entstehen aus einem Projekt, bei dem als Nebeneffekt vielleicht ein Produkt entsteht, das man auch anderen Kunden anbieten könnte?
Zunächst prüfen wir immer: Passt es zu unseren Segmenten und Serviceleistungen? Ohne eine valide Option auf dauerhaftes Geschäft würden wir nicht, nur weil sich eine singuläre Chance ergibt, in ein völlig neues Industriesegment reingrätschen. Den Bereich Tourismus und Hospitality oder auch Sport bedienen wir aktuell beispielsweise nicht. Und viele Dinge ergeben sich auch dadurch, weil sich die Wirtschaftswelt wandelt.
Ein sehr prägnantes Beispiel ist unser Emissions Calculator. Der ist vor Jahren bei einem Projekt mit einem Automobilkonzern entstanden, die nachvollziehen wollten, wie groß in der Produktion der CO2-Ausstoß ist. Um diese Fragestellung zu lösen, haben wir ein entsprechendes Emissionskalkulations-Programm gebaut und das versucht. Damals hat das kaum jemanden interessiert.
Wir haben dann aber gesehen, dass die Sensibilisierung für Umweltschutz-Themen inkl. Blick auf den CO2-Fußabdruck steigt. Damit war der Aspekt der Wiederholbarkeit gegeben. Wir haben das Emissionskalkulations-Programm daraufhin zu einem marktreifen Produkt weiterentwickelt und international zertifizieren lassen. Unser Emissionsrechner war sogar der erste auf dem Markt, der nach den wichtigsten europäischen Standards zertifiziert worden ist. Heute setzen wir den Emissions Calculator in vielen Projekten ein.
Das liegt ja nun relativ nahe. Ich meine, man könnte sich ja vorstellen, vielleicht etwas artfremd, dass BearingPoint auf einmal in großem Stil in das Thema Betriebsgastronomie einsteigt.
Iris Grewe: Nein
Warum, nein? Wo ist die Grenze?
Iris Grewe: Wir machen das zum einen daran fest, ob es zu unseren Kunden-Segmenten passt, auf die wir uns im Moment ausrichten, und zum anderen, ob die zu erbringende Dienstleistung oder das Produkt in den Leistungsumfang als Management- oder Technologieberatung passt.
Was wir also tun - und ich komme jetzt nochmals auf den Bereich Nachhaltigkeit zurück: Wir haben mehrere hundert Berater, die sich mit Nachhaltigkeits-Themen und Projekten beschäftigen. Organisch ist das Wachstum allerdings meistens etwas langsamer, als wenn man Spezialwissen zukauft. Deswegen haben wir zum Beispiel diesen Sommer die Firma I-Care übernommen, die sich um Nachhaltigkeitsstrategie und ökologische Transformation in verschiedensten Branchen kümmert. Und so ergänzen wir durch Zukäufe eine Dienstleistung, die wir ohnehin bereits auf der Agenda haben komplementär. Aber wir würden jetzt nicht eine Gastro-Firma erwerben.
Das habe ich verstanden: Es ergeben sich neue Themen, die haben einen klaren Bezug zur Beratung, weil der Bedarf auch auf einmal da ist, weil es Anforderungen, Regulatorien gibt, auf die man reagieren muss. Aber warum ist die Betriebs-Gastronomie so ein klares „Nein“? Wo ist dann wirklich der Cut? Es wäre wiederholbar, es würde wahrscheinlich zu relativ vielen ihrer Segmente passen, aber warum ist es dennoch für Sie klar, dass BearingPoint das nicht machen würde?
Iris Grewe: Betriebsgastronomie hat mit physischer Logistik, Betrieb von Lokationen, Warenbewirtschaftung, Nahrungsmittelverarbeitung etc. zu tun. Das ist vor allem eine physische Dienstleistung, bei der es um haptische Produkte geht. Und damit nichts, was wir bei uns im Unternehmensberatungsgeschäft sehen würden. Wenn ein Konsumgüterbetrieb allerdings seine Lagerlogistik prozessual oder technologisch auf den neuesten Stand bringen möchte, stehen wir gerne bereit.
Ich versuche es mal anders zu fassen:
Beratung ist alles, wozu man als externe Drittpartei einen Rat geben kann, ähnlich wie ein Arzt, der als Chirurg ein akutes Problem löst oder als Therapeut langfristig unterstützt. Aber der Arzt betreibt nicht das Krankenhaus inkl. Immobilienbewirtschaftung und Kantine.
Und wir sind eher als Arzt oder Therapeut unterwegs. Daher war das ein spontanes Nein zum Betrieb von Betriebsgastronomie.
Sie haben bei BearingPoint einen Bereich, der heißt „run the business“. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es doch auch darum, dass sie gewisse Dienstleistungen für Unternehmen übernehmen, die über das klassische Beratungsgeschäft hinausgehen.
Iris Grewe: Genau. Zum einen haben wir die klassische Transformations-Beratung. Bei Transformation geht es um „change the business“. Darum kümmert sich unser Geschäftsbereich Consulting.
Dann haben wir unseren Geschäftsbereich Products. Hier geht es um „run the business“ oder „run the client“. Products umfasst IP-basierte Produkte, häufig Softwareprodukte wie zum Beispiel den Emissions Calculator oder die Equipment and Tools Management Software ETM Next, mit der man die Bewirtschaftung von Baustellen und der dort vorhandenen Geräte koordiniert.
Uns gehören aber weder die Geräte noch bewirtschaften oder reparieren wir diese. Wir schauen allerdings, dass der Einsatz der Geräte, die eine Baufirma möglicherweise benutzt, mit dieser Software besser geplant werden kann.
Und in dem Bereich akquirieren wir ebenfalls. Hier ein anderes Beispiel: Agree&Sign ist eine SaaS-Lösung, die wir Kunden in verschiedensten Branchen, in denen wir unterwegs sind, zur Verfügung stellen können. Mit dieser Lösung kann man Genehmigungs- und Vertragsgestaltungs-Komponenten, ob es jetzt ein Leasingvertrag oder ein Versicherungsvertrag ist, digital unterstützt abschließen, verwalten und gestalten. Das ist eine typische Lösung, mit der wir durch Zukauf den Bereich Products dieses Jahr ausgebaut haben.
Stichwort Agree&Sign: Ist das ein Produkt, was Sie auch außerhalb Ihrer eigenen Client Base anbieten? Gibt es da einen eigenständigen Vertrieb?
Iris Grewe: Ja, da gibt es einen Vertrieb.
Auch wenn Sie kein Kunde von uns sind, können Sie, wenn Sie das Produkt auf der Webseite finden, anfragen. Und natürlich gibt es dafür auch Produktmanager, die als Ansprechpartner und vertrieblich im Markt unterwegs sind.
Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews mit Iris Grewe ab dem 28. September.
Über Iris Grewe

Das Interview mit Frau Grewe führten unsere Redakteure Holger Geißler und Alexander Kolberg.
Weitere Informationen zum Unternehmen auf CONSULTING.de:

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