Kolumne: Prof. Dr. Thomas Deelmann, FhoeV NRW "Es ist bemerkenswert, wie weit Berater ihren Kunden hinterherhinken"

"Digitalisierung" scheint derzeit das dominierende Thema in wohl allen Branchen zu sein – auch in der der organisationalen Beratung. Zum Stand ihrer Digitalisierung liegen einige empirische Daten vor. Bereits 2016 haben Professor Volker Nissen und Henry Seifert von der TU Ilmenau in Kooperation mit dem BDU eine erste Studie veröffentlicht und auch z.B. hier nochmal interpretiert). Seit Ende Juni 2018 ist die Nachfolgestudie als Kooperation des BDU, dem AWSi und der TU Ilmenau, verfügbar. Die Lektüre bietet interessante Erkenntnisse und lädt zum Nachdenken ein.
Blickpunkt "Berater": Können die das?
Das Schlagwort "Digitalisierung" trifft Einzelberater wie Beratungskonzerne (mindestens) dreimal – mit ansteigendem Einfluss auf das eigene Geschäftsmodell:
- Zunächst "nur" als Beratungsgegenstand oder -produkt (z.B. im Rahmen eines Projektes zur Erstellung einer Digitalisierungsstrategie für einen Kunden);
- dann als pragmatischer Weg, die eigene Effizienz zu steigern (z.B. durch die Nutzung von Videokonferenzen an Stelle von Präsenzmeetings);
- und schließlich als Vorstuge zu einer signifikanten Veränderung des eigenen Geschäftsmodells (z.B. der Ersatz von menschlicher durch computerisierte Arbeitsleistung).
Beim Blick auf die Daten der Studie kann man provozierend vermerken, dass Berater reden, ihre eigenen Aktivitäten aber nicht (oder kaum) anpassen! Nur neun von 222 auf die entsprechende Frage antwortenden Berater (gut vier Prozent) bezeichnen sich selber als (eher) digital affin ("Digital Enthusiast" ist die Wortwahl in der Studie und sie werden skizziert als "Beraterinnen und Berater, die für neuartige Technologien hochsensibilisiert und jederzeit bereit sind, ihr Beraterverhalten durch digitale Technologien zu verändern").
Knapp 62 Prozent bezeichnen sich als "(eher) Face-to-Face Berater" und gut 34 Prozent als Zwischending oder "Mischform").
Dies steht im krassen Gegensatz zu der hohen Aufmerksamkeit, die "Digitalisierung" als Beratungsprodukt derzeit genießt. Bemerkenswert ebenso, wie weit Berater ihren Kunden hinterherhinken. 18 Prozent geben an, Digitale Enthusiasten zu sein, fünf Prozent bezeichnen sich als klassisch-traditionell und 77 Prozent optieren für die Mitte. Der Leitsatz "Eat your own dog foot" wird anscheinend kaum umgesetzt – und die Frage: "Können die das überhaupt?" erscheint wohl berechtigt!
Blickpunkt "Kunde": Wollen die das?
Im operativen Betrieb ihres Kerngeschäftes und der entsprechenden Weiterentwicklung scheinen die Kundenunternehmen recht progressiv zu sein und sich technischen Neuerungen, auch den so genannten "disruptiven", nicht zu verschließen.
Im Bereich der Beratungsdienstleistungen ist jedoch eine gewissen Technikzurückhaltung zu erkennen: In der Kooperationsstudie wird die Akzeptanz von zwölf Beratungstechnologien abgefragt. Video- und Telefonkonferenzen erhalten bei den befragten Kunden den höchsten Akzeptanzwert (3,7 auf einer Skala von 1 bis 5). Eine signifikante Veränderung der operativen Beratungsarbeit könnte z.B. durch Self Service Consulting erfolgen. Dies ist die einzige abgefragte Technologie, welche meiner Meinung nach eine größere Veränderung von Art und Form der Zusammenarbeit bedingen würde. Sie erhält jedoch nur einen geringen Akzeptanzwert von 2,8 (dies ist der drittschlechteste).
Die Kundenseite scheint zwar etwas aufgeschlossener zu sein für eine veränderte Art, Beratungsleistungen zu erbringen bzw. zu beziehen, als die Beraterseite (dies deckt sich mit den Ergebnissen). So richtig fortschrittlich sind aber auch ihre Einstellungen nicht. Dies kann als Grund haben, dass Kunden nicht wissen, was technologisch möglich ist (Was wohl bezweifelt werden darf… ) oder technische Neuerungen in diesem Feld nicht wollen. Wenn sie nicht wollen, dann lassen sich mindestens zwei Gründe vermuten:
- Erstens könnte es sein, dass Kunden ihre Berater nicht ausschließlich für die "klassischen" ratgebenden Beratungsaufgaben einsetzen, sondern sie vielmehr für "artfremde" Zwecke benötigen: Im Rahmen eines Bodyleasings, als Statussymbol oder als Sündenbock.
- Zweitens könnte es sein, dass den Kunden Beratung nicht wichtig genug für substantielle Verhaltensänderungen erscheint: Sie betrachten Beratung schlicht als Dienstleistung, die nur sehr selten bezogen wird und bei der Professionalisierungsbemühungen nicht lohnend scheinen oder sie interpretieren Beratung als beschaffungstechnisches "C-Produkt", dem nicht zu viel Aufmerksamkeit zu Teil wird. Die plakative Frage "Wollen die das überhaupt?" kann zumindest nicht voll bejaht werden.
Blickpunkt "Markt": Wird das was?
Die Digitalisierung in der Beratungsbranche ermöglicht Effizienzsteigerungen. Allerdings sollte die Digitalisierung kein Selbstzweck sein und springt als Solitär auch zu kurz: Es ist ein "same, same – but different" des Bestehenden. Digitalisierung ist an anderen Stellen oft nur eine Vorstufe zur Automatisierung. Durch Telefon- und Videokonferenzen eingesparte Reisekosten sind für Berater- und Kundenseite zwar nett – machen den Kohl aber nicht fett! Mit Blick auf die Ergebnisse der erwähnten Studie kann vermutet werden, dass große Sprünge in der nahen Zukunft nicht zu erwarten sind. Spannend wird es erst, wenn auf Basis der Digitalisierung eine Automatisierung der Leistungserbringung erfolgt; wenn also das Geschäftsmodell "Beratung" wirklich disruptiv verändert wird – signifikant, nicht scheibchenweise.
Warum wandelt sich die Beraterbranche nicht
Warum wandeln sich nun aber viele andere Branchen deutlich – die der Beratung hingegen maximal in kleinen Schritten? Den etablierten Beratern auf der einen Seite kann man wohl kaum einen Vorwurf machen: Warum sollten sie ihr eingeschwungenes, erfolgreiches und profitables Geschäftsmodell ohne Not aufgeben und die Gefahr eingehen, auf Umsatz und Gewinn verzichten zu müssen? Ihre Veränderungsträgheit ist also gut nachvollziehbar, aber: Neue Anbieter (ähnlich Uber für die Taxi-, Airbnb für die Hotel- oder Amazon Web Services für die IT-Branche) können Impulse setzen – und weitreichende Veränderungen in der Beratungsbranche initiieren.
Beim Blick auf die Kunden können ebenfalls Ansatzpunkte für eine Beantwortung der Frage gefunden werden (oben kurz genannt: Unwissenheit über technologische Möglichkeiten, artfremder Einsatz von „Beratern“ sowie nur ein mäßige Interesse der Kunden an ihren Dienstleistern). Hier erscheint ein Mehr an Professionalität im Umgang mit den Dienstleistern und eine dadurch bedingte Neugierde auf frische Ideen und neue technologische Konzepte gefragt, denn es gilt ja weiterhin: Jeder Kunde bekommt den Berater, den er verdient.
Welche Begründung für die aktuelle Digital-Diaspora im deutschen Beratungsmarkt auch passend erscheint – schmeichelhaft scheint für die aktuellen Marktteilnehmer keine zu sein."Wird das überhaupt was?" – Diese Frage sollten sich aber vor allem die Berater stellen, bevor es jemand anderes macht … und auch eine Antwort findet!
Zur Person:

Professor Thomas Deelmann lehrt Management und Organisation an der FHöV NRW in Köln. Zuvor war er Professor für Corporate Consulting und Management an der BiTS Iserlohn. Seine Praxiserfahrungen als (interner) Berater, Beratungs-Einkäufer und Leiter der Strategieentwicklung bei einem führenden globalen ICT Service Provider bilden die Basis für seinen Forschungsschwerpunkt in der Unternehmens- und Verwaltungsberatung.
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