Deep Dive Consulting: Kolumne von Jörg Hossenfelder, Lünendonk Es grünt so grün – oder doch nicht? ESG-Themen auf der Agenda von Beratungskunden

Häufige Dienstreisen mit dem Flugzeug waren in Managementberatungen keine Seltenheit. Doch eine veränderte Reise-Policy zählt nun zu den beliebtesten ESG-Maßnahmen in deutschen Beratungshäusern. (Bild: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke).
In der vergangenen Ausgabe meiner Kolumne konnten Sie nachlesen, wie der Mangel an qualifizierten Fachkräften auf die Branche der Managementberatungen einwirkt. Die Beratungshäuser sehen sich in ihrem Wachstum gehemmt, die geforderten (und mitunter gezahlten) Gehälter für Consultants steigen. Auch zum Megatrend Digitalisierung haben Sie an dieser Stelle bereits Zahlen, Daten und Fakten nachlesen können. Doch ein Top-Thema der Branche wurde bisher ausgespart: ESG. Wenden wir uns also der Gretchenfrage dieser Tage zu: Wie halten es Beratungen mit der Nachhaltigkeit?
Unternehmen auf der Suche nach Orientierung
Die Beobachtungen, dass sich die Welt wandelt und vor allem im Hinblick auf unsere Umwelt dringend Maßnahmen zum Erhalt eines lebenswerten Planeten ergriffen werden müssen, datieren nicht erst seit Kurzem. Vielfältige Initiativen von der globalen Ebene über großregionale Vereinbarungen bis hin zu individuellen staatlichen Reglementierungen setzen mal mehr, mal weniger konkrete Ziele. Der oftmals rein auf ökologische Aspekte reduzierte Nachhaltigkeitsbegriff wurde gleichberechtigt um die Themen Soziales und Unternehmensführung erweitert. Durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungen der drei Bereiche sollen globale Konzerne bis hin zu kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) mittelfristig ihrer Corporate Social Responsibility, den Rufen nach Transparenz und kontinuierlicher Evaluierung gerecht werden.
Und die Consultants selbst? Die stehen nur allzu oft vor der großen Herausforderung, aus der schier unüberschaubaren Vielfalt gesetzlicher, mal verpflichtender, mal unverbindlicher oder vage formulierter Regelungen unterschiedlicher administrativer Ebenen ihre individuellen Schlüsse zu ziehen. Einige Beratungshäuser erkennen den nahenden Bedarf, der sich bei einer verschärfenden Gesetzgebung auftun wird. Sie bieten bereits heute Leistungen rund um die nicht-finanzielle Berichterstattung an, erarbeiten mit den Kunden Gerüste, digitalisieren und zentralisieren entsprechende Datenströme oder unterstützen in der internen Führung.
Aber blicken wir noch nicht zu weit in die Zukunft und schauen auf den aktuellen Stand: Wird ESG-Beratung bereits heute nachgefragt? Und wie stehen die Beratungshäuser selbst zu diesem Thema? Einen Einblick liefert die „Lünendonk®-Studie 2022: Managementberatungen in Deutschland“, die im August dieses Jahres erscheinen wird. In der nachfolgenden, exklusiven Vorab-Auswertung für die Leserinnen und Leser von CONSULTING.de stellen wir erste Erkenntnisse aus der noch laufenden Feldphase vor.*
Anteil von Projekten mit ESG-Bezug knapp zweistellig
Durchschnittlich 13 Prozent der Projekte, die Managementberatungen für ihre Kunden umsetzen, weisen einen ESG-Bezug auf. Eine der befragten Beratungen gab sogar einen Anteil von 75 Prozent an. Das Thema Nachhaltigkeit in den drei Facetten Environmental, Social und Governance scheint bei den Beratungskunden also angekommen zu sein. Wenn auch in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Prioritäten: Im Durchschnitt weisen 5,8 Prozent der ESG-Projekte einen konkreten Umwelt-Bezug aus, für den Bereich Governance sind es durchschnittlich 6,5 Prozent. Abgeschlagen auf dem dritten Platz liegt der Bereich Social mit 1,6 Prozent.
Das Buzzword „ESG“ ist in aller Munde, die bislang noch geringen Anteile von ESG-Projekten in der Beauftragung hingegen überraschen. Und zeigen, dass der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommende Beratungsbedarf bei den Kunden eher in mittelfristiger Perspektive erwartet wird.
Bei knapp der Hälfte der Beratungshäuser sind die ESG-Projektvolumina ihrer Kunden derzeit (noch) gering. Signifikante Umsatzsteigerungen in Zusammenhang mit der nicht-finanziellen Berichterstattung erwarten 34 Prozent der Teilnehmenden. 42 Prozent rechnen hingegen nicht mit nennenswerten Umsatzeffekten. Sicherlich: ESG ist ein Wachstumsfeld. Welche Honorare sich damit allerdings am Markt erzielen lassen und ob daraus ein deutlicher Gewinn entsteht, bleibt abzuwarten.
Diese Stellschrauben nutzen die Consulting-Häuser
Fakt ist: Nicht nur Kundenunternehmen werden sich mittelfristig unter Transformationsdruck gesetzt sehen. Bereits heute müssen die Managementberatungen selbst im Einkaufsprozess vermehrt ihre ESG-Aktivitäten offenlegen. Dieser Aussage stimmen aktuell 47 Prozent der Studienteilnehmer zu. Eine beachtliche Zahl, die zeigt, dass Kunden ihre Lieferkette auch im Hinblick auf Beratungsleistungen prüfen.
Als beliebte Stellschraube zur Umsetzung von Umwelt-Maßnahmen nannten 9 von 10 Befragten eine veränderte Reise-Policy sowie die Förderung von Remote-Arbeit. Einen wesentlichen Anteil hieran hat sicherlich auch das fortdauernde Pandemiegeschehen. Über die Einsparung von Dienstreisen hinaus setzen die Beratungshäuser auch vermehrt auf Elektromobilität und das Zurverfügungstellen von Dienstfahrrädern. Im Bereich Social-Maßnahmen nannten die Befragten am häufigsten die Durchführung neuer Diversitätsstrategien sowie die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit. Nach Außen hin wird das soziale Engagement mit Spenden und Pro-Bono-Tätigkeiten gestärkt. Im Hinblick auf nachhaltigere Governance-Strukturen zeigen sich derzeit neue Rollenmodelle, verteilte Verantwortlichkeiten sowie transparente Arbeitsgruppen als beliebte Maßnahmen.
Diese ersten Vorab-Ergebnisse aus der noch laufenden „Lünendonk®-Studie 2022: Managementberatung in Deutschland“ machen zwei Dinge deutlich: Zum einen liegt der reelle Anteil von ESG-Projekte noch weit hinter dem zurück, was die derzeitige mediale Wahrnehmung vermuten lässt. Zum anderen müssen Consulting-Häuser selbst verstärkt ESG-Maßnahmen vorantreiben, um gegenüber ihren Kunden auskunftsfähig zu sein. Wer heute das Window of Opportunity nutzt, ist für die herannahenden Herausforderungen gut gewappnet.
*Bitte beachten Sie, dass die hier dargestellten Werte keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Es sollen lediglich Tendenzen aufgezeigt und exemplarisch einzelne Aspekte dargestellt werden.
Über Jörg Hossenfelder

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden