Prof. Dr. Susanne Knorre Facebook-Bashing ist auch keine Lösung: Warum wir Datenethik brauchen

Facebook-Bashing ist zurzeit sehr beliebt. Unter den "Frightful 5" (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) ist Facebook als der größte Schurke ausgemacht. Das mag einer der Beweggründe für den von Erny Gillen und Ranga Yogeshwar veröffentlichten Beitrag in der FAZ vom 29.1.2019 sein. Lesen Sie mehr darüber, wieso wir Ethik im Zusammenhang mit Daten brauchen.

Die Überschrift des Artikels lautet "Die Strategie der Konquistadoren" und deutet schon an, dass hier mit dem Holzhammer, oder, treffender gesagt, mit Degen und Lanze vorgegangen wird. Kurz gesagt geht es darum, Facebook und sein Treiben mit dem der spanischen und portugiesischen Eroberer Amerikas gleichzusetzen. Die haben nämlich die Welt brutal unter sich aufgeteilt, ahnungslose Menschen hemmungslos betrogen und schließlich ganze Kulturen ausgelöscht. Wer käme da nicht gleich drauf: ist ja alles wie bei Facebook!

Warum begeben sich zwei so renommierte Köpfe auf das gefährliche Terrain des historischen Vergleiches, um nicht zu sagen der historischen Analogie? Das ist doch bekanntlich ein rhetorisches Mittel, das immer schiefgeht. Genauso ist es auch hier. Schon ein Unternehmen und sein Geschäftsmodell mit den mörderischen Feldzügen der selbst ernannten Eroberer des amerikanischen Kontinents und dem Genozid an den indigenen Völkern gleichzusetzen, ist schlicht daneben. Doch damit nicht genug der schiefen Vergleiche: aus Schießpulver und Rüstungen werden Sensoren und intelligente Apparate und aus mit Glasperlen spielenden Eingeborenen die naiven Nutzer von Facebook, die nicht wissen, was sie tun. Das steht da wirklich!

Warum also wird das Waffenarsenal des Facebook-Bashings ausgepackt? Die Autoren beschäftigen sich damit, dass Facebook und die Technische Universität München (TUM) nach eigenen Angaben eine Partnerschaft eingegangen sind, um den Aufbau eines unabhängigen KI-Ethik-Forschungszentrums zu unterstützen. Konkret geht es um 7,5 Millionen Euro für das neue TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence, das dazu beitragen soll, das Feld der ethischen Forschung zu neuen Technologien voranzutreiben und grundlegende Fragen zu untersuchen, die den Einsatz sowie die Auswirkungen von KI betreffen. Das neue Institut wird von dem renommierten Wirtschaftsethiker Professor Dr. Christoph Lütge geleitet, seit 2010 Professor für Wirtschaftsethik an der TUM. Um seine Unabhängigkeit zu betonen, werden noch ein Beirat gebildet und weitere Finanzierungsmittel eingeworben.

Weiter heißt es in dem am 20.1.2019 veröffentlichten Statement von TUM und Facebook wörtlich: "Es ist das erklärte Ziel des Instituts, durch seine Arbeit zu einem breiteren Diskurs über Ethik und KI beizutragen und Forschung zu betreiben, auf deren Grundlage praxisrelevante Rahmenbedingungen, Methoden und algorithmische Ansätze bereitgestellt werden können. Diese sollen dazu dienen, KI-Entwicklern und –Anwendern ethische Best-Practices an die Hand zu geben, nach deren Leitbild Lösungen für aktuelle und künftige Herausforderungen entstehen."

Sie finden an alledem nichts auszusetzen? Stimmt, denn das fiele auch schwer, es sei denn – nun ja, Facebook eben. Eindrucksvoll wird von diesem Unternehmen vorgeführt, wie fahrlässig es ist, sich über Jahre keine Sorgen um die eigene Reputation zu machen. Natürlich gibt es genug zu kritisieren an Zuckerbergs globalem Netzwerk, seine Arroganz, seine Marktmacht, seine Vorstellung vom Ende der Privatheit, die Weitergabe von Daten an die dubiosen Kameraden von Cambridge Analytica und vieles mehr. Aber was Gillen und Yogeshwar hier vorführen, ist ein intellektueller Rundumschlag, der selbst ganz im Stile der Konquistadoren nur verbrannte Erde hinterlässt und dabei das zentrale, vielleicht wegweisende Thema der Datenethik gleich mitverkohlt.

Oder war es vielleicht weniger Facebook als vielmehr der aus diesem Zitat abzulesende KI-freundliche, geradezu optimistische Grundtenor, der die Autoren so gestört hat? Immerhin kommt darin zum Ausdruck, dass Big Data in Kombination mit schlauen Algorithmen das Potenzial für die Lösung wichtiger Zukunftsfragen aufweist. Zweifelsohne läuft die Annahme, dass den Risiken von KI auch Chancen von ungeahntem Ausmaß gegenüberstehen, dem Mainstream der öffentlichen Diskussion entgegen. Diese ist in Deutschland seit 1983, dem Jahr der Volkszählung, von einem Narrativ dominiert, gegen das nur schwer Meinungsbildung betrieben werden kann, nämlich die Big Brother-Erzählung. Als Narrativ ist Big Brother bis heute so mächtig, dass es der Brutalo-Version der Konquistadoren gar nicht bedurft hätte.

Abgesehen davon, dass die Autoren der TUM und Professor Lütge unterstellen, sich von Facebook unangemessen beeinflussbar gemacht zu haben, wo es sich doch eigentlich um normale Drittmittelforschung handelt – abgesehen davon muss jetzt ganz dringend das Thema der Datenethik gerettet werden. Wenn das nicht gelingt, werden wir in Deutschland auch noch die nächsten 30 Jahre der Big Brother-Dystopie folgen, statt uns auch mal mit Utopien zu beschäftigen.
Denn Datenethik setzt da an, wo uns der Datenschutz nicht mehr weiterbringt.

Spätestens seit der Datenschutzgrundverordnung ist klar geworden, dass eine immer komplexere Rechtsetzung den Wettlauf mit der Entwicklung von Big Data und KI nie gewinnen kann. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Nutzer sich paradox verhalten, sprich, sie befürworten Datenschutz als wichtiges Thema, bewegen sich aber mehrheitlich sorglos im Netz und verschmähen die angebotenen Möglichkeiten der DSGVO, sich zu schützen. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass jede weitere Datenschutzgesetzgebung der Entwicklung von KI mindestens eine Dekade hinterherlaufen wird.
Datenethik kommt gedanklich von einer anderen Seite als der Datenschutz und ist deshalb eine unverzichtbare Ergänzung. Datenethik setzt nämlich darauf, dass Vertrauensbeziehungen zwischen den Akteuren der Datenwirtschaft unter bestimmten Bedingungen möglich gemacht werden. Datenethik fordert vor allem erheblich mehr Eigenverantwortung von jenen, die Daten sammeln, verarbeiten und eventuell weitergeben. Mit dem Perspektivenwechsel hin zur Datenethik nimmt man Unternehmen wie Facebook nicht weniger, sondern sogar stärker in die Pflicht, denn es reicht nicht mehr aus, compliant mit den Datenschutzgesetzen zu sein und dies pflichtgemäß zu erklären. Maßstab der Beurteilung ist vielmehr der positive Beitrag für gesellschaftlich relevante Zwecke, der mithilfe von Big Data geleistet werden kann. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Unternehmen nicht nur erklären müssen, was sie nicht tun. Stattdessen sind sie gefordert darzulegen, worin ihr aktiver Beitrag für gesellschaftlich relevante Zwecke besteht bzw. welche Gründe es gibt, die Chancen ihrer datengetriebenen Geschäfte nicht zu nutzen. Das beginnt beim Klimaschutz, geht über Gesundheit und Ernährung bis hin zu Bildung und Gefahrenabwehr. Wenn diese Zwecke dabei mithilfe der Geschäftsziele von Unternehmen erreicht werden, auch gut.

Einige Akteure werden die Chancen von Big Data bzw. KI besser nutzen können als andere. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die über einen Vertrauensvorsprung verfügen, weil ihr Umgang mit von ihnen gesammelten und genutzten Daten auf klaren ethischen Handlungsgrundsätzen beruht. Deshalb sind für Unternehmen und andere Organisationen, deren Geschäftsmodelle auf dem Sammeln, Analysieren und Auswerten von Daten beruhen, zusätzliche Konstrukte der "verbindlichen Selbstverpflichtung" erforderlich, z.B. in Form von Kodizes, Selbstverpflichtungen oder Treuhänderstatuten. Corporate Digital Responsibility ist hier das neue Schlagwort.

Und das führt uns wieder zu Facebook, denn offensichtlich ist, dass das Unternehmen jetzt genau daran arbeitet, nämlich die Vertrauensbeziehungen wieder herzustellen. Das mag man kritisieren, aber machen wir uns nichts vor: ohne Vertrauensbeziehungen, die bekanntlich Komplexität reduzieren, werden wir die Chancen von KI nicht nutzen können. Wir stehen im Übrigen insgesamt vor der Frage, ob nicht ein Paradigmenwechsel nötig ist, der nicht nur nach dem Schutz, sondern auch nach dem Nutzen von Big Data fragt. Er umfasste eine neue, aktive Rolle des souveränen Nutzers, verbindliche Selbstverpflichtungen der Online-Unternehmen und den Gedanken einer wettbewerbskonformen Dateninfrastruktur oder eines fairen Daten-Sharings gleichermaßen und gleichzeitig. Ohne ein datenethisches Fundament wird das alles nicht gehen.
Deshalb freue ich mich, dass Facebook hier etwas Sinnvolles getan hat und wünsche dem TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence viel Erfolg!

Studie von Knorre, S., Wagner, F., Müller-Peters, H. (Hrsg.)
Big Data: Bürgerschreck oder Hoffnungsträger? Zum Nutzen und Schutz von Daten des souveränen Bürgers in seinen Lebenswelten. Eine Studie zum Goslar Diskurs am 24.01.2019 anlässlich des 57. Deutschen Verkehrsgerichtstages.

 

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