#1Blick vom Beratungsforscher Frage: Warum macht McKinsey das? – Antwort: Weil sie es können

Gut oder schlecht?
Vor wenigen Tagen hat an dieser Stelle Agenturchef Wolfram Saathoff in seiner Kolumne auf einen Text von Moritz Neuhaus, Gründer einer anderen Agentur, reagiert. Saathoff meint (und bitte lesen Sie seinen Text und die übrigen, sehr sprachgewandten und pointierten Ausführungen gerne nochmal nach), die LinkedIn-Kacheln von McKinsey seien de facto Murks (meine Worte), während sie für Neuhaus den neuen Goldstandard (ebenfalls meine Worte) bildeten: „was soll am LinkedIn-Account von McK toll sein?“
Jetzt wäre es natürlich töricht, sich in den kleinen Disput der beiden Spezialisten einzumischen und es würde eine Torheit begangen werden, wenn man die inneren Gedankengänge und Prozesse einer Organisation, der man nicht angehört (hier: McKinsey) erklären wollte. Daher unterbleibt das natürlich auch an dieser Stelle.
Andere Perspektive im Angebot
Aber man kann durchaus die Perspektive erweitern und eine weitere Interpretation von der Seitenlinie anbieten, nämlich: Auf die einzelnen LinkedIn-Posts kommt es wohl kaum an. McKinsey (ab hier wird das Unternehmen nur noch als Proxy genannt) macht sie oder lässt sie machen, vielleicht, weil es zum guten Ton gehört. Aber hoffentlich nicht, um mit einem Klick eine neue Kundin oder eine weitere Bewerberin zu gewinnen. Das wäre wohl für beide Seiten (McKinsey hier, Kundin bzw. Bewerberin dort) desaströs.
Aufträge & Recruiting
Consulting-Aspiranten, die nur auf Grund von Posts, Tiktok-Videos oder klassischen Print-Anzeigen ihre Arbeitgeberin aussuchen, sind vermutlich kaum zu beneiden – wenn sie dann schnell feststellen müssen, dass der Job und das Umfeld doch anders ist, als die knappen Werbeaussagen versprochen haben. Walt Bogdanich und Michael Forsythe sind Investigativjournalisten bei der New York Times und geben in ihrem „Schwarzbuch McKinsey“ diesen verlorenen Consulting-Seelen eine Stimme – auch wenn sie im Text nur Nebenrollen spielen (für einen Blick auf den Kern des Buches bitte hier entlang zu einer Buchbesprechung in der FAZ und hier zu einer auf consulting.de). Und auch die Financial Times schreibt ausführlich über Beraterinnen und Beratern, die aus ethisch-moralischen Gründen mit der Kundenwahl ihrer Arbeitgeber hadern und darüber selber unzufrieden werden.
Gleichzeitig beauftragen Kunden (hoffentlich!) nicht „einfach so“ McKinsey und geben spontan für das kleinstmögliche Mini-Team mehrere hunderttausend Euro im Monat aus. Hier keimt noch die Hoffnung, dass sich irgend so ein altmodisches Buying Center der Sache professionell annimmt. Dieses darf sich gerne um die Durchführung von Ideen- und Preiswettbewerben kümmern und die Auswahl steuern.
Markenbekanntheit
Die LinkedIn-Posts können aber trotzdem hilfreich sein. Nicht, um die Aufmerksamkeit auf eine besondere McKinsey-Beraterin zu lenken (davon gibt es auch zu viele, die zudem noch hinreichend austauschbar sind) oder gar auf den aktuellen CEO (Kennt jemand den Namen des Global Managing Partner?). Hier ist McKinsey seit der Firmierungsentscheidung durch Marvin Bower bewusst sehr zurückhaltend und entpersonalisiert das Unternehmen von einzelnen Personen – und andere Beratungen folgten und folgen diesem Vorbild. (Der gesuchte Name lautet übrigens Bob Sternfels; aber wie gesagt: McKinsey scheint es traditionell ziemlich egal zu sein, wie bekannt der CEO ist.)
Die LinkedIn-Beiträge helfen, um ganz stumpf die Aufmerksamkeit verschiedener engerer und weiterer Zielgruppen auf die Marke McKinsey zu lenken beziehungsweise diese immer wieder hoch zu halten. Die Werbewirksamkeitsexperten in Forschung und Praxis wissen sehr genau: Es braucht eine ganze Reihe von Kontakten, damit eine Marke beim Gegenüber hängen bleibt – von konkreten Inhalten, die transportiert werden sollen, ganz zu schweigen. Und wenn ein solcher Markenkontakt in Form einer McKinsey-Kachel auf LinkedIn daherkommt: Gut, so sei es.
Sie können das – und noch viel mehr Dinge
Mit der gewonnenen Aufmerksamkeit steht die Vertriebsarbeit (und auch das Recruiting) aber noch ganz am Anfang und es mag gefühlt ewige Zeiten dauern, bis aus einem Kontakt eine Käuferin für ein hochkomplexes Vertrauensgut wird. (Einen möglichen Weg dahin haben übrigens unter anderem Giso Weyand und früher noch Alan Weiss mit ihren Kundensprungschanzen und Beschleunigungskurven sehr illustrativ beschrieben.) Und dabei ist für McKinsey dann ein ganzer Strauß von Dingen hilfreich, wie etwa die Unmengen an Thesenpapieren, die Web-Angebote, das Alumni-Netzwerk, die stetigen Zitate der Experten in Wirtschaftsmedien, die persönlichen Beziehungen und im Zweifel auch der Status als quasi-mythisches Unternehmen, das niemanden gerne in seine Karten gucken lässt. All dies soll die Nachfrage antreiben und generiert bei (potenziellen) Kunden eine latente Unsicherheit. Die wiederum kann von wem beseitigt werden? Richtig, den Consultants.
Und damit geht es zurück zur Ausgangsfrage: Warum macht McKinsey das, betreibt also den LinkedIn-Aufwand? Weil sie es können – und mit „können“ ist nicht zwingend eine Exzellenz in der kreativen Umsetzung gemeint (auch diese Beurteilung bleibt liebend gerne wieder den Experten überlassen), sondern ein „es sich leisten können“, auch diesen Kanal zu bespielen. Einen von vielen Kanälen ganz am Anfang auf dem Weg zu einem Recruiting-Erfolg, einem neuen Auftrag oder dem Ausbau der Markenbekanntheit.
Über die Person
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr
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