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Interview Nicole Voigt, Managing Director & Partner BCG "Frauen in Top-Führungspositionen haben eine Sogwirkung für weibliche Nachwuchskräfte"

Woran liegt es, dass das Thema Gender Diversity in den Führungsebenen über die Jahre nur schleppend vorankommt?
Nicole Voigt: Insgesamt zeigt der BCG Gender Diversity Index tatsächlich ein sehr schleppendes Vorankommen bei Geschlechterparität in den Führungsetagen der 100 größten deutschen börsennotierten Unternehmen: Geht die Entwicklung im Tempo der vergangenen drei Jahre weiter, wäre erst nach 2050 ein 50:50-Verhältnis erreicht.
Eine der Ursachen für den langsamen Gender-Diversity-Fortschritt könnten die unterschiedlichen Auffassungen ambitionierter Frauen und männlicher Entscheidungsträger sein: So erachten Frauen etwa flexibles Arbeiten als wichtiges Thema für die eigene Entwicklung im Unternehmen. Männer pflichten dem zwar bei, sind aber seltener bereit, sich dafür einzusetzen. Umgekehrt empfinden Männer die Teilnahme an externen Veranstaltungen oder Rankings als wirkungsvoll. Ambitionierte Frauen halten dies für weit weniger wichtig, sie vermissen vielmehr die Grundlagen für Gender Diversity - etwa ein entsprechendes "Change Mindset" sowie Vorbilder.
Frau Voigt, wenn Sie die Möglichkeit hätten drei Maßnahmen zur Steigerung der Gender Diversity in Unternehmen verpflichtend einzuführen: Welche drei Maßnahmen wären das?
Nicole Voigt:
Drei wirkungsvolle Maßnahmen zur Steigerung der Geschlechterparität sind:
- Diversität strategisch verankern: Vielfalt muss strategisch in der Führung und im Personalmanagement festgeschrieben sein und wie ein Geschäftsziel behandelt werden. Es sollte in regelmäßigen Abständen geprüft werden, ob die Diversitäts-Ziele erreicht werden.
- Familienfreundliche Unternehmenskultur etablieren: Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben hat bei gut ausgebildeten Frauen Priorität Nummer 1 (BCG-Studie „Decoding Global Trends in Upskilling and Reskilling”, November 2019).
- Transparenz schaffen: Veröffentlichungspflichten zur Anzahl weiblicher Führungskräfte sowie zur personenbezogenen Vergütung – nicht nur für börsennotierte Unternehmen – helfen, die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu lenken.
In der Studie wurde deutlich, dass Frauen und Männer eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Effektivität von Maßnahmen zur Steigerung der Diversity haben. Woher kommt das? Wie lässt sich das ändern?
Nicole Voigt: Chefs erachten oft das, was sich weibliche Nachwuchskräfte wünschen, um Geschlechterparität herzustellen, nicht als Priorität. So sehen aufstiegswillige Frauen beispielsweise eine finanzielle Incentivierung der Führungsriege hinsichtlich Gender-Diversity-Zielen bei Stellenbesetzungen und Beförderungen oder etwa organisatorische Aspekte, wie Unterstützung bei der Kinderbetreuung als effektiv an. Zudem vermissen ambitionierte Mitarbeiterinnen in ihrem Unternehmen oftmals die Bereitschaft des Top-Managements, für Veränderungen einzutreten. Dabei ist dieses schon erwähnte Change Mindset von großer Wichtigkeit: Entscheider sollten den Mut haben, noch unbekannten Köpfen den Aufstieg in Führungsgremien zu ermöglichen. Unsere Befragung hat ergeben, dass Frauen in Top-Führungspositionen eine Sogwirkung für weibliche Nachwuchskräfte haben: Nehmen sie die oberste Führungsriege als divers wahr, streben 83 Prozent von ihnen einen Aufstieg im gleichen Unternehmen an, anstatt woanders Karriere zu machen. Dies trägt somit maßgeblich zur Mitarbeiterbindung und -entwicklung bei.
Sie haben die Studie in 14 Ländern durchgeführt: Auf welche Länder sollte man schauen? Wo läuft es besser als in Deutschland? Was sind die Hintergründe?
Nicole Voigt: Vorreiter in Bezug auf Geschlechterparität sind skandinavische Staaten wie Norwegen und Schweden oder auch Frankreich. Diesen Nationen ist gemein, dass dort ein ganz anderes Rollenbild als das bei uns traditionell geprägte vorherrscht. Männer übernehmen Familienpflichten, Frauen eine Führungsposition – das ist in Norwegen häufiger zu sehen als in Deutschland. Frankreich ist laut des MCSI Women On Boards Progress Reports mit 44,3 Prozent jener Staat mit dem höchsten prozentualen Frauenanteil unter den Direktorenposten. Kurze Karenzzeiten sind in Frankreich eine Normalität und gesellschaftlich akzeptiert, so entsteht weniger häufig ein Karrierebruch durch eine Elternschaft. Was dazu kommt: In den meistern der im Hinblick auf Geschlechterparität führenden Staaten gibt es eine verpflichtende Frauenquote für die Führungsgremien. Unternehmen mit Sitz in Ländern mit obligatorischen Quoten erreichen insgesamt eine größere geschlechtsspezifische Vielfalt auf der Vorstandsebene: 7 von 10 Firmen hatten per Ende Oktober 2019 mindestens 30 Prozent weibliche Vorstandsmitglieder. In Ländern ohne obligatorischer Geschlechterquote hatten nur 2 von 10 Unternehmen die Schwelle von 30 Prozent weiblicher Direktoren erreicht - und fast ein Viertel hatten ausschließlich männliche Vorstände. (MSCI Women On Boards Progress Report, December 2019)
Sie arbeiten in der Consultingbranche, wo der Frauenanteil in Leitungsfunktionen laut Zahlen des BDU ebenfalls nur 19 Prozent beträgt, bei BCG sind es weltweit auch nur 23 Prozent: Was sind die Hebel damit es mehr weibliche Führungskräfte im Consulting gibt?
Nicole Voigt: Unter den Neueinsteigern sind bei BCG rund ein Drittel Frauen. unser weltweites Führungsgremium besteht ebenso aus einem Drittel Frauen. Das zeigt: Wir sind nicht schlecht – aber wollen auf jeden Fall noch mehr erreichen. Wir nutzen gezielt die auch in der Studie deutlich gewordene Sogwirkung von weiblichen Role Models: Die Initiative Women@BCG bietet erstklassige Karriere-, Mentoren- und Netzwerkprogramme, um Frauen bei BCG dabei zu helfen, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Mit unserem Flexibility@BCG-Programm bieten wir verschiedene Optionen an, die dafür sorgen, dass unsere Beraterinnen und Berater nachhaltig und zugleich in der von ihnen gewünschten Intensität arbeiten.
Ergänzen möchte ich: Vielfalt bedeutet bei BCG aber nicht nur Geschlechtervielfalt. Wir sehen mehrere Facetten, die uns alle wichtig sind – darunter die Herkunft, der fachliche Hintergrund und die sexuelle Orientierung.
Was geht in der Consultingbranche schief zwischen 49 Prozent weiblichen Junior Consultants und 19 Prozent Frauen in Leitungsfunktionen? Wo und wie verliert die Branche die Frauen?
Nicole Voigt: Die Zahlen unterstreichen, dass die Führungsebenen unserer Branche immer noch sehr männlich geprägt sind. Im Rahmen unserer Diversity-Studie haben wir festgestellt, dass männliche Entscheidungsträger eine ganz andere Herangehensweise an das Thema Geschlechterdiversität und Frauenförderung haben, als es aus der Perspektive der ambitionierten Frauen hilfreich wäre. Der Knackpunkt ist sicherlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der viele Frauen andere Wege gehen lässt. Aber nicht nur. Jegliche Initiativen und Maßnahmen, die die divergierenden Sichtweisen deutlich machen und darauf abzielen, ein besseres Verständnis untereinander zu erreichen, sind wichtig, um das Blatt endlich zu wenden.
Sie engagieren sich bei den „Working Moms“ von daher gehe ich davon aus, dass Sie selbst Kinder haben: Wie bekommen Sie Ihren Job als Managing Director bei BCG und Ihre Familie unter einen Hut? Was sind die Erfolgsfaktoren für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Ihrem Leben?
Nicole Voigt: Ich habe drei Kinder und natürlich ist es nicht immer einfach, Familie und Beruf gerecht zu werden. Zwei meiner Kinder hatten bei meinem Berufseinstieg schon ein gewisses Alter erreicht, das hat Vieles erleichtert. Ich denke, es ist sehr hilfreich ein gutes Netzwerk um sich zu haben, um Back-ups organisieren zu können. Man sollte sich immer darüber bewusst sein, welche Dinge einem wichtig sind und dazu stehen – privat wie beruflich. Dazu gehört für mich auch die Erkenntnis, dass Perfektion in allen Dimensionen nicht möglich ist und dass die 80/20-Regel für berufliche Belange genauso gilt wie für Kindergeburtstage und Schulfeste.

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