Meinungsbeitrag von Prof. Dirk Lippold Frohe Weihnachten 4.0 und eine gute Digitalisierung in 2023

1.0, 2.0, 3.0 und jetzt sogar 4.0. – Professor Lippold setzt sich in seiner Kolumne mit den Versionsnummern von Weihnachten, Consulting, Technologie, Internet und einigen mehr auseinander. Was davon macht wirklich Sinn? Und gibt es Consulting 4.0 und Weihnachten 4.0 wirklich?

Die Entwicklungsstufen von Weihnachten lassen sich anhand von Kindergeschenken identifizieren. Teddy Bären und Puppen gehören zu Weihnachten 1.0. Digitalisierte Eisenbahnen und Roboter gehören dann eher der Generation Weihnachten 4.0 an (Bild: picture alliance / dpa | Britta Pedersen).

Weihnachten 4.0? Ja, sicher. Es gibt Arbeit 4.0, Technologie 4.0, Consulting 4.0, Führung 4.0, Mittelstand 4.0, Deutschland 4.0, ja sogar Restrukturierung 4.0 und – ach ja natürlich – Industrie 4.0. Lediglich die öffentliche Verwaltung „firmiert“ derzeit noch unter „Verwaltung x.0“. Doch auch hier läuft alles auf „Verwaltung 4.0“ hinaus, denn so ziemlich alle Bundesministerien haben die Digitalisierung für 2023 zur Chefsache erklärt und in den Dienst der Bürger gestellt – nicht zuletzt, um eine positiv-gestalterische Vision für die Leistungserstellung der öffentlichen Hand in der Digitalisierung zu suggerieren.

Wenn es 4.0 gibt, was war dann nochmal 3.0?

Somit rufe ich allen zu: Frohe Weihnachten 4.0! Denn was liegt da näher, als auch unsere gesamten Weihnachtsaktivitäten in den „Vier-Punkt-Null“-Wertschöpfungskanon einzubeziehen. Die Frage ist jetzt nur noch, ob wir lediglich die digitalen Weihnachtsaktivitäten, oder auch die analogen Handlungen zum Fest mit einbeziehen und nach wertschöpfenden Prozessen auswerten wollen.

Nun ja, einen Knackpunkt gäbe es da noch: Was war eigentlich nochmal Weihnachten 1.0, 2.0 und 3.0? Allerdings muss man die gleiche Frage bei Arbeit 4.0, Technologie 4.0 und so weiter stellen.

Industrie 4.0 – ein deutsches Phänomen

Pardon, bei Industrie 4.0 nicht! Industrie 4.0 – die Mutter des ganzen „Vier-Punkt-Null“-Gedöns – war es nämlich, an die sich alle anderen Wirtschaftszweige und Funktionsbereiche einfach dranhängten.

Bei Industrie 4.0 kann man das – übrigens ausschließlich deutsche – Phänomen ja noch irgendwie nachvollziehen. Schließlich sind es die vier industriellen Revolutionen, an denen sich die Ziffer „Vier“ orientiert: Die Dampfmaschine brachte die erste industrielle Revolution. Elektrizität und Fließband läuteten die zweite ein und die Automatisierung durch IT und Elektronik löste die dritte industrielle Revolution aus. Als Fortsetzung dieser Entwicklung wurde in Deutschland – aber eben auch nur in Deutschland – mit der kommenden Verschmelzung von Industrie und Informationstechnik der Begriff Industrie 4.0 als vierte industrielle Revolution eingeführt.

Vielleicht hat das Versionswirrwarr etwas mit der Digitalisierung zu tun?

Warum nun aber auch viele Bereiche, die von dieser Verschmelzung nur indirekt betroffen sind und keine drei Revolutionen hinter sich haben, ebenfalls zur „Vier-Punkt-Null“-Familie gezählt werden, bleibt uns verschlossen.

Meine Vermutung aber ist, dass der gemeinsame Verbundfaktor die Digitalisierung sein soll. 4.0 steht offensichtlich für alles, was mit digitaler Transformation, Big Data, Künstlicher Intelligenz, Analytics und Expertise im Umfeld von Industrie 4.0 zu tun hat.

Und dann müssen wir natürlich auch das neue „digitalisierte“ Weihnachten, das die Ministerien ja zum Startpunkt der Digitalisierungswelle auserkoren haben, zum Weihnachten 4.0 ausrufen.

Jetzt müssen wir für die einzelnen Mitglieder der 4.0-Familie nur noch eine einfache Erklärung für die jeweilige 1.0-, 2.0- und 3.0-Stufe finden.

Was könnte Consulting 4.0 bedeuten?

Nehmen wir zum Beispiel den Begriff Consulting 4.0. Der einfachste Erklärungsansatz definiert Consulting 4.0 als Inhaltsberatung für Industrie 4.0. Doch was ist dann mit Consulting 2.0 und 3.0? Ein erster „sprungfixer“ Erklärungsansatz über vier Entwicklungsfolgen hinweg könnte wie folgt aussehen:

  • Consulting 1.0 für den klassischen Lösungsberater
  • Consulting 2.0 für den Prozessberater
  • Consulting 3.0 für den heutigen Prozess- und Fachberater mit hoher sozialer Kompetenz
  • Consulting 4.0 steht dann für alles, was mit digitaler Transformation, Big Data, Analytics und Expertise Industrie 4.0 zu tun hat.

Das halten viele jedoch für zu kurz gesprungen.

Etwas mehr technologisches Know-how verknüpft mit rudimentärer Strategieexpertise, aber sonst weitermachen wie bisher – das rechtfertigt doch nicht einen so anspruchsvollen Begriff wie Consulting 4.0.

Also kommt noch eine weitere „sprungfixe“ Entwicklungsfolge für den Beratungsbereich ins Spiel – diesmal jedoch deutlich digitaler [vgl. Werth et al. 2016, S. 59]:

  • Consulting 1.0 ist die computergestützte Beratung (mit Excel, PowerPoint etc.,)
  • Consulting 2.0 meint die computerunterstützte Beratung (z.B. mit branchenspezifischen Softwaretools) 
  • Consulting 3.0 als computergesteuerte Beratung, d.h. der Consultant berät zwar weiter beim Kunden, aber der Computer sagt ihm, was und wie er zu beraten hat 
  • Consulting 4.0: Der Computer übernimmt die digital erbrachte Beratung total auf Knopfdruck – digitale Überwachung, Steuerung und Durchführung, eben wie bei Industrie 4.0 mit der Smart Factory.

Doch Consulting 4.0 sollte mehr sein als die Digitalisierung der Beratungsbranche nach innen und außen. Die Frage ist doch, ob das Consulting angesichts der digitalen Transformation nicht auch vor einer größeren Umwälzung steht. Sicher, die neuen technologischen Entwicklungen machen auch vor den Beratungsunternehmen nicht halt, aber das war immer so.

Gibt es für das Consulting 4.0 schon Geschäftsmodelle?

Diesmal sind Berater gefragt, die erkennen und vor allem wissen, dass durch die neuen technologischen Möglichkeiten disruptive Geschäftsmodelle oder wenigstens doch neue attraktive Anwendungsfelder bei den Kundenunternehmen entstehen. Gefragt ist ein Berater-Typ, der es den Kundenunternehmen ermöglicht, innovative Lösungen, die größtenteils durch die digitale Transformation möglich werden, zu einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis anzubieten und umzusetzen. Aber rechtfertigt dieser Beratertyp bereits die Bezeichnung Consulting 4.0, obwohl es streng genommen zuvor gar kein Consulting 2.0 oder 3.0 gab?

Warum könnte Weihnachten 4.0 durchaus Sinn machen?

Versuchen wir es einmal mit Weihnachten 4.0 und seine vorgelagerten Stufen 1.0, 2.0 und 3.0 anhand der Entwicklungsstufen von Kindergeschenken:

  • Weihnachten 1.0 steht für die Generation der Puppen und Teddy-Bären
  • Weihnachten 2.0 ist die Ära der Brettspiele und Holzeisenbahnen
  • Weihnachten 3.0 sind Figuren und Bauten von Lego und Playmobil, entsprechende Stabilbaukästen für junge Ingenieure und elektrische Eisenbahnen
  • Weihnachten 4.0 ist die Digitalisierung der elektrischen Eisenbahnen und bestimmter Spielfiguren

Vielleicht belässt man es auch einfach bei Industrie 4.0

Doch was soll dieser Nummerierungs-Hype überhaupt? Warum Arbeit 4.0, Verwaltung 4.0, Marketing 4.0, Banken 4.0, Technologie 4.0, Consulting 4.0, Mittelstand 4.0, Deutschland 4.0 und so weiter? Reicht Industrie 4.0 nicht aus? Kann sich das Label „Industrie 4.0“ nicht viel leichter zu einer Art „Marke“ entwickelt, wenn es bei der Alleinstellung bleibt und nicht durch die übrigen „Vier-Punkt-Null“-Versuche verwässert wird?

Alles nahm seinen Anfang mit Web 2.0, das im Gegensatz zum Web 1.0 die Interaktion z.B. über Soziale Medien zulässt und damit das Web vom reinen Informations- zu einem „Mitmach“-Internet gemacht hat. Deshalb ist man aber heute nicht gleich bei Web 4.0.

Und für alle diejenigen, die der Idee von der Industrie 4.0 folgen und die Versionsnummer 4.0 als Garant für eine allseits zugesprochene Modernität im Umfeld der digitalen Transformation sehen, bleibt ja immer noch Weihnachten 4.0. Und da wir uns zu Weihnachten nur das Neueste und Modernste schenken wollen – möglichst digital und in einer Smart Factory hergestellt – wird diesen Zeitgenossen wohl nichts anderes übrigbleiben, als Weihnachten 4.0 in ihren festen Wortschatz zu übernehmen – in der Hoffnung, dass sie kein Mensch mehr nach Weihnachten 3.0, 2.0 oder gar 1.0 fragt …

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern mit 4.0-Ambitionen ein Weihnachtsfest mit Modernitätsgarantie und einen guten Übergang in ein digital transformiertes Jahr 2023.

Allen anderen wünsche ich ein besinnliches und weniger hektisches Weihnachten mit vielen analogen Zutaten sowie viel Zuversicht im Hinblick auf ein hoffentlich friedlicheres neues Jahr.

Quellen:

Lippold, D.: Die Unternehmensberatung. Von der strategischen Konzeption zur praktischen Umsetzung, 4. Aufl., Berlin-Boston 2022

Lippold, D.: Einführung in das Consulting. Strukturen – Trends – Geschäftsmodelle. Berlin-Boston 2022.

Werth, D./Greff, T./Scheer, A.-W.: HMD 2016, S. 50-70

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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