Ganz oder gar nicht? Multichannel-Chancen für den stationären Einzelhandel

Von Prof. Dr. Dominik Große Holtforth, E-commerce Institut Köln
E-commerce boomt! Der Anteil des Online-Handels in Deutschland an den gesamten Einzelhandelsausgaben ist 2014 weiter gestiegen und hat sich nach Angaben des Einzelhandelsverband HDE von 33,1 Mrd. € in 2013 auf 39 Mrd. € in 2014 erhöht. Eine rasante Entwicklung, bezieht man auch die Prognose von 43,6 Mrd. € E-commerce-Umsatz im E-commerce für 2015 ein. Allerdings zeigt eine Betrachtung des Anteils der E-commerce-Umsätze an den Gesamtumsätzen im Einzelhandel, das der so viel beachtete neue Absatzkanal E-commerce keineswegs die erste Geige im Handel spielt. Mit rund 90 % wird tatsächlich noch das Gros des Geldes im stationären Handel verdient, wie eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung für das Jahr 2014 zeigte.
Ist also E-commerce das, was Michael Ende mit der Figur "Herr Tur Tur" erfunden hat: ein Scheinriese? Eine neues Handelssegment, das vor allem durch große, vielleicht auch rücksichtslose Unternehmen auf sich aufmerksam macht, die zwar in kurzer Zeit sehr stark gewachsen sind aber bei weitem noch nicht die Größenordnung der Etablierten erreicht haben? Kommunikations- und marketingstarke Pure Player, die den Nerv junger Zielgruppen treffen und den Etablierten die Zornesröte ins Gesicht treiben?
Wohl kaum, auch wenn Geschäftsmodelle à la "Schrei vor Glück oder bring’s zurück" mit ihrer Wachstumsdogmatik, die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität zu ignorieren scheint, schon sehr provokant und nicht immer nachhaltig wirken. Viel wesentlicher dürfte sein, was die Kunden vom E-commerce halten. Und deren Einstellung ist eindeutig.
Schaut man sich das Einkaufsverhalten der Konsumenten an, wird deutlich, dass das Einkaufen im Internet keinesfalls eine Randerscheinung ist. Mittlerweile ca. 70 % der Deutschen zwischen 16 und 74 Jahren kaufen überhaupt über das Internet ein. Im europäischen Vergleich liegt der EU Durchschnitt bei 47%, Spitzenreiter sind Dänemark und Großbritannien mit jeweils 77%, so Eurostat für das Jahr 2013. Auch wenn zwar das deutliche Gros der Umsätze stationär realisiert wird, spielt der Online-Handel doch für viele bereits eine Rolle und diese Rolle dürfte wachsen.
Auch wenn es mehr als spekulativ wäre, den weiteren Verlauf der E-commerce Erfolgskurve oder gar einen finalen Einzelhandelsanteil vorherzusagen, bieten sich doch strukturelle Aspekte an, die die Zukunft des E-commerce als weiter dynamisch erscheinen lässt. Diese Aspekte oder Ursachen für weiteres Wachstum sind
- Die Zahl der verfügbaren Smartphones, Tables und Computer nimmt weiter zu.
- Die Nutzung des Internet mit Hilfe dieser Geräte steigt.
- Die hohe Wettbewerbsintensität im E-commerce führt zu einer deutlich höheren Innovatinsneigung und damit zu immer besseren Angeboten für die Kunden.
- E-commerce-Unternehmen haben Kostenvorteile, die sie als Preisvorteile an Kunden weitergeben können.
Läuft also alles auf einen "Showdown" zwischen Online und Offline, E-commerce und stationärem Handel hinaus? Auch wenn es gut für die Dramaturgie wäre, kann von einem Showdown dann doch eher nicht ausgegangen werden. Das hat vor allem mit einem "Dritten Weg" zu tun, der sich vielen stationären Händlern, aber auch vielen reinen Online Händlern, den so genannten Pure Playern eröffnet: der Multichannel Handel.
Vor kurzem war zu lesen, dass Amazon an einer amerikanischen Hochschule seine erste Filiale eröffnet hat. Nach erster Verwunderung wird aber doch rasch klar, dass diese Filiale eher einer "Packstation mit Personal" gleicht als einer klassischen Einzelhandelsfiliale. Konkreter ist in Sachen "Back to the Roots" der durchaus führende Elektronikversender Notebooksbilliger.de. Dieser betreibt in Deutschland bereits drei stationäre Filialen. Auch der "Schrei vor Glück"-Händler Zalando betreibt in Berlin und Frankfurt bereits Outlets.
Genauso wie die reinen Online Händler in durchaus nennenswerten Umfang in den stationären Einzelhandel expandieren, haben viele große und auch kleine stationäre Händler frühzeitig oder vielleicht auch verspätet den Online Handel entdeckt und sich somit zu Multichannel-Händlern entwickelt. Symptomatisch ist in dieser Hinsicht Media Markt/Saturn, die nach erheblichen Geburtswehen für den Zeitraum 2013/14 mit einer um 30%igen Steigerung im Online-Geschäft aufwarten kann und weiter den Weg zum Multichannel-Händler konsequent bestreiten will.
Läuft also alles auf eine friedliche Koexistenz zwischen Online und stationären Händler hinaus, da alle Einzelhändler auf gleichem Niveau als Multichannel-Händler miteinander konkurrieren? Eher nicht, denn wenn Online-Riesen wie amazon, Otto oder Zalando einen Umsatzrekord nach dem anderen verzeichnen, aber insgesamt die Konsumausgaben eher konstant bleiben, muss es wohl auch Verlierer der Digitalisierung im Handel geben. Diese Verlierer sind solche Unternehmen, denen es eben nicht gelingt, ihr Geschäftsmodell zu erweitern und anzupassen.
Die Ursachen für ein Zurückfallen und Zurückhaltung bei Entwicklung neuer Multichannel-Konzepte sind vielfältig. In manchen Fällen fehlt es an Größe und Kapital oder auch an Innovationsbereitschaft. Wenn es für ein inhabergeführtes Einzelhandelsgeschäft keinen Nachfolger gibt, mag auch das ein Grund sein, warum Zukunftsthemen nicht mehr erschlossen werden. Also überall dort, wo die Erschließung des neuen Kanals nicht oder zu spät erfolgt, droht der Verlust von Umsatz und Marktanteilen, die bis zur Existenzbedrohung führen kann.
Doch soweit muss es nicht kommen, denn wie gesehen ist die Marktentwicklung durchaus noch offen. Stationäre Händler können vor allem mit den folgenden Erfolgsfaktoren punkten und sie in einer Multichannel-Strategie einsetzen:
- Service
- Persönlichkeit
- Einkaufserlebnis
- Verbindung von Filiale und Online Angebot
- Produktbezogene Dienstleistungen.
Gelingt es stationären Händlern, in diesen oder anderen Bereichen nachhaltige Geschäftsmodelle aufzustellen, kann Multichannel als echte Chance verstanden werden, den stationären Handel weiterzuentwickeln, um nachhaltig zufriedene Kunden zu gewinnen.
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