Dr. Dirk Andres und Dr. Carsten Jakobs, AndresPartner Geschäftsführerhaftung in Zeiten von Corona - Was sich durch § 15b InsO ändert

Die COVID-19 Pandemie stellt die deutsche Wirtschaft vor enorme und besondere Herausforderungen. Beispielhaft sei angeführt, dass Einzelhandelsunternehmen durch gesetzlich angeordnete Schließungsverfügung bedroht sind, produzierende Unternehmen müssen aufgrund von Krankheitsfällen oder Exportschwierigkeiten die Produktion einstellen oder verringern. Auffangmaßnahmen sind beschlossen, wirken aber nicht in dem erforderlichen Maße. Die Geschäftsführung sieht sich daher einer Vielzahl von in- und externen Faktoren ausgesetzt, die einer Neujustierung ihres Geschäftes bedürfen. Zu diesen externen Faktoren, die neben das operative Business treten, ist es erforderlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die in den Zeiten der COVID-19 Pandemie vom Gesetzgeber eingeführt wurden, und den Pflichtenkreis der Geschäftsführung in Krisenzeiten zu beachten.
Pflichtenkreis für die Geschäftsführung in Krisenzeiten
Die Geschäftsführung hat durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, eine sich abzeichnende Krise frühzeitig erkennen zu können, um die Chance für ein rechtszeitiges Gegensteuern zu erhalten. Für den Vorstand einer Aktiengesellschaft ist dies in § 91 Abs. 2 AktG ausdrücklich geregelt, gilt aber auch nach allgemeiner Meinung für die GmbH. Zu den wesentlichen Pflichten der Geschäftsführung gehört, die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft dauerhaft zu überwachen und durch ein geeignetes Controlling-System und Unternehmensplanungen sicherzustellen, dass der drohende Eintritt von Insolvenzgründen frühzeitig erkannt wird. Ferner bestehen Unterrichtungspflichten an Gesellschafter bzw. Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (vgl. § 90 AktG), die über etwaig bestehende Risiken für den Fortbestand der Gesellschaft zu informieren sind.
Neuregelung zur Haftung der Geschäftsleitung ab dem 01.01.2021 in Kraft getreten, § 15b InsO
Im Falle des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung besteht grundsätzlich gemäß § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht, soweit die Insolvenzreife nicht innerhalb einer Frist abgewendet werden kann. Nach der Rechtslage ab dem 1. Januar 2021 kann die Zahlungsunfähigkeit binnen drei Wochen und die Überschuldung binnen sechs Wochen beseitigt werden, wenn ernsthafte Aussichten darauf bestehen. Zur Entlastung der Geschäftsleitung gilt für COVID-19 betroffene Unternehmen zudem übergangsweise ein verkürzter Prognosezeitraum im Rahmen der anzustellenden Fortführungsprognose von vier Monaten. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass eine belastbare Langfristplanung von zwölf Monaten bei der Überschuldungsprüfung aktuell nicht verlangt werden kann.
Tritt Insolvenzreife ein, wird der Pflichtenkreis der Geschäftsführung rund um die business judgement rule und ein insolvenzspezifisches Zahlungsverbot erweitert. Der Gesetzgeber hat mit dem SanInsFoG zum 1. Januar 2021 die einzelgesetzlich geregelten Haftungstatbestände, wie beispielsweise § 64 GmbHG, Gesellschaftsform übergreifend ausgestaltet und nunmehr in der neu eingeführten Haftungsnorm des § 15b InsO gebündelt.
Die Neuregelung orientiert sich zwar am Haftungsmaßstab der ursprünglichen Regelungen, bringt jedoch auch klarstellende Haftungserleichterungen mit sich. Im Fokus steht zunächst die Frist zur Insolvenzantragstellung. Solange die gesetzgeberisch eingeräumte Frist von drei bzw. sechs Wochen noch läuft, sollen Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sein. Nach Ablauf dieser Frist ist das nicht mehr der Fall. Einzelheiten sind noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen, es steht aber zu erwarten, dass die ausufernde Haftungsrechtsprechung dadurch begrenzt wird, dass geprüft werden kann, ob der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden durch die Zahlung als ohne entstanden ist, sodass sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens begrenzt. Die bisherige scharfe Regelung des § 64 GmbHG ist damit Geschichte. Die Rechtsprechung des BGH stufte zur Haftung nach § 64 GmbHG sämtliche Zahlungseingänge auf ein debitorisch geführtes Konto als haftungsauslösend ein. Der BGH sah den Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife in der Pflicht, Forderungen der Gesellschaft im Interesse der Gläubiger auf ein im Guthaben geführtes, ggf. neues Konto einzuziehen. Nur in engen Ausnahmefällen dürften Gelder nach Insolvenzreife weiterhin haftungsfrei auf ein debitorisches Konto eingezogen werden. Führte die Gesellschaft ihre Konten im Guthaben (= kreditorisches Konto), führten Zahlungen grundsätzlich zu einer Erstattungspflicht des Organs, es sei denn, dieses konnte sich im Einzelfall darauf berufen, dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren (§ 64 S. 2 GmbHG). Der BGH verlangte hierbei, dass die Gegenleistung der Zahlung zur Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein musste, um eine Masseschmälerung auszuschließen. Der Wert der Gegenleistung war dabei grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen. Arbeits- und Dienstleistungen sprach die Rechtsprechung sogar die Eignung als ausgleichende Gegenleistung regelmäßig ab. Die Zahlung der Löhne und Gehälter sowie von Dienstleistern nach Insolvenzreife löste daher persönliche Haftung aus.
Eine Ausnahme bildeten Zahlungen auf Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sowie auf Steuerverbindlichkeiten, die nach Rechtsprechung des BGH mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren, weil sich der Geschäftsführer nur so dem Konflikt mit öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten entziehen konnte. Diese Konfliktsituation hat der Gesetzgeber nunmehr in § 15b InsO aufgegriffen und zugunsten der Massesicherungspflicht entschieden. Im Ergebnis besteht durch das insolvenzrechtliche Zahlungsverbot des § 15b InsO weiterhin ein erhebliches Haftungsrisiko für Geschäftsleiter. Da aber die Insolvenzantragsgründe mehr Kontur erhielten, die Massesicherungspflicht den Vorrang vor öffentlich-rechtlichen Zahlungsgeboten erhielt und für den Geschäftsleiter die Möglichkeit besteht, einen geringeren Schaden nachzuweisen, kann von einer planbareren Situation für Geschäftsleiter gesprochen werden.
Suspendierung der Pflichten durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Der Gesetzgeber hat sich in Anbetracht der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie entschlossen, ähnlich wie in früheren Krisen, die Insolvenzantragspflichten durch das COVInsAG temporär auszusetzen, nunmehr bis zum 31. Januar 2021. Die Aussetzung der Antragspflicht ist aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, um dem Missbrauch von Trittbrettfahrern vorzubeugen. Dies geht in der allgemeinen Medienberichterstattung zuweilen unter. Mit der Aussetzung der Antragspflicht verbunden ist ein im Vergleich zur vorstehend grob skizzierten Haftungssituation gelockerter Pflichtenkreis der Geschäftsorgane fixiert worden.
Die fehlerhafte Annahme, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch für das eigene Unternehmen gilt, bildet in diesem Zusammenhang ein erhebliches Haftungsrisiko. Jeder Geschäftsleiter sollte daher idealerweise durch einen Spezialisten beurteilen lassen, ob die Voraussetzungen der Aussetzung der Antragspflicht (und für welchen Zeitraum) vorliegen und das Ergebnis für spätere Dokumentationszwecke sorgfältig archivieren.
Steht fest, dass man grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Aussetzung der Antragspflicht fällt bzw. temporär gefallen ist, gibt das den Geschäftsleitern noch keinen Freibrief für ihr Handeln. Die Organpflichten sind zwar durch § 2 COVInsAG modifiziert, bergen jedoch Tücken. Zahlungen, die im "ordnungsgemäßen Geschäftsgang" erfolgen, können grundsätzlich haftungsfrei erfolgen. Das bedeutet konkret nach unserer Auffassung:
1. Zahlungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes wie Miet- oder Pachtzahlung, Leasingraten, Löhne und Gehälter, Versorgerkosten, Steuern, etc.
2. Zahlung zur Umsetzung eines Sanierungskonzepts
Weiterhin nicht erlaubt sind solche, die eben nicht unmittelbar erforderlich sind, wie Zahlungen an Gesellschafter, insbesondere Darlehensrückzahlungen.
Der Zeitraum der Aussetzung der Antragspflicht (zunächst bis 30. September 2020) ist im Verlauf der Pandemie nur für die Überschuldung nochmals bis zum Jahresende 2020 verlängert worden, nicht aber für die Zahlungsunfähigkeit. Eine weitere Verlängerung greift nunmehr für den Monat Januar 2021 dann, wenn staatliche Hilfen im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 31. Dezember 2020 zwar beantragt, aber noch nicht geflossen sind. Die Geschäftsleitung ist daher weiterhin in der Pflicht, die Insolvenzreife und deren Möglichkeiten zur Behebung laufend zu prüfen. Da mit einer diesbezüglichen Fehleinschätzung sowohl ein Strafbarkeits- als auch Haftungsrisiko verbunden ist, empfiehlt sich die Einschaltung professioneller Berater, auch um den Fokus des Handels auf das operative Geschäft legen zu können.
Schutz durch D&O-Versicherung
In der Rechtsprechung und Literatur herrschte lange Uneinigkeit, ob insbesondere der ganz wesentliche Haftungsanspruch nach § 64 GmbHG vom Versicherungsschutz einer sog. D&O-Vermögensschadenshaftpflichtversicherung gedeckt ist. Die Versicherer stellten sich regelmäßig auf den Standpunkt, dass derartige Ansprüche nicht vom Versicherungsschutz umfasst seien. Diesen Streit beendete der BGH mit Urteil vom 18. November 2020 und entschied, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen ist.
Bereits vor diesem Urteil hat der gut beratende Geschäftsleiter den Versicherungsschutz ausdrücklich klarstellend in die Versicherungspolice aufnehmen lassen. Zukünftig ist davon auszugehen, dass Versicherungsschutz daher in der Regel auch ohne ausdrückliche Erwähnung enthalten ist, vorsorglich empfiehlt sich aber weiterhin die ausdrückliche Aufnahme der entscheidenden Haftungsnorm in der Krise, ab dem 1. Januar 2021 ist dies für Neufälle § 15b InsO.
Neben der Krisenfrüherkennung und der Einholung von sowohl betriebswirtschaftlich als auch rechtlich erfahrenen Beratern ist Geschäftsleitern gerade in der aktuellen coronabedingten Krise der Abschluss einer D&O-Versicherung anzuraten, um das persönliche Vermögen zu schützen. Die Rechtslage zur Insolvenzantragspflicht und dem damit verbundenem Pflichtenkreis der Geschäftsleiter ist so volatil wie die Krise selbst und erfordert daher ebenso flexibles Handeln, ohne den Blick für das Wesentliche zu verlieren.
Zu den Person:


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