Wenn man's Recht betrachtet Gesetzesreform zum Unternehmensstrafrecht: Vier wichtige Neuerungen für die unternehmerische Praxis

Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf ("Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft") in den Bundestag eingebracht, mit dem in Deutschland ein eigenes Stammgesetz zur Ahndung von Rechtsverstößen durch Unternehmen eingeführt werden soll. Aller Kritik aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum Trotz wird das Gesetzgebungsverfahren weiter mit viel Elan vorangetrieben. Mittlerweile dürfte klar sein: das Verbandssanktionengesetz (VerSanG), das Kernstück dieser Reform, wird kommen.

Die vier zentralen praktischen Neuerungen

Der Gesetzesentwurf (BT Drs. 19/23568) ist komplex und wurde in der Fachöffentlichkeit aus diversen Gründen kontrovers diskutiert. Für die unternehmerische Praxis sind es allerdings vor allem die folgenden vier Neuerungen, die man kennen sollte. 

  1. Für Verfahren nach dem Verbandssanktionengesetz soll das sogenannte Legalitätsprinzip gelten. Dies bedeutet, dass Staatsanwaltschaften fortan verpflichtet sein sollen, gegen die Mitarbeiter und gegen das Unternehmen zu ermitteln, wenn es Anhaltspunkte für strafbares Handeln gibt. Bislang kommt es durchaus noch häufig vor, dass sich die Ermittlungsbehörden auf die Einzelpersonen konzentrieren und das Unternehmen bei den Ermittlungen weitgehend außen vorlassen. Zwar können auch heute schon hohe Bußgelder verhängt werden. Viele Staatsanwaltschaften machen von dieser Möglichkeit jedoch eher selten Gebrauch. Hier will der Gesetzgeber mit der Einführung einer Ermittlungspflicht gegensteuern und praktische Ahndungslücken schließen.

  2. Für Großunternehmen soll die Sanktionsobergrenze von regelmäßig 10 Mio. EUR auf 10% des weltweiten Konzernumsatzes erhöht werden. Der Gesetzgeber schärft das Schwert und bläst zum Angriff auf die Unternehmenskriminalität. Die Sanktionen sollen wehtun. Ein positiver Nebeneffekt für die Staatsanwaltschaften: wer Sanktionen in dieser Größenordnung zu befürchten hat, ist oftmals willens zu kooperieren und sich so Pluspunkte zu verdienen. Unternehmen werden damit "erpressbar".

  3. Die Förderung von Kooperation von Unternehmen bei der Sachverhaltsaufklärung ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung. Dementsprechend sieht das VerSanG konkrete Regelungen zur Durchführung sog. verbandsinterner Untersuchungen vor. Hilft das Unternehmen bei der Aufklärung und hält sich dabei an die arbeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Vorschriften, winkt eine signifikante Reduzierung des Bußgeldes. Wer glaubhaft erklärt, den Sachverhalt selbst zu ermitteln und offenzulegen, soll von der Staatsanwaltschaft Zeit und Freiraum für die interne Untersuchung gewährt bekommen. Ob das geschaffene Anreizsystem allerdings ausreicht, um Unternehmen zur "uneingeschränkten und ununterbrochenen" Zusammenarbeit zu bewegen, ist unklar.

  4. Insgesamt dürfte es für Unternehmen in Zukunft schwerer werden, sich gegen eine Sanktionierung zu verteidigen. So reicht es für eine Sanktion grundsätzlich aus, dass Mitarbeiter eine Straftat begehen und der Führungsetage eine objektive Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen ist. Fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln der Führungskräfte soll, anders als nach derzeitiger Rechtslage, nicht mehr erforderlich sein. Vereinfacht könnte man sagen: Wer nicht über ein effektives Compliance-System verfügt, wird sich bei Straftaten von Mitarbeitern kaum gegen eine Verbandsgeldsanktion verteidigen können. Zudem soll das Vorhandensein von Compliance-Strukturen grundsätzlich sanktionsmildernd berücksichtigt werden.

Handlungsbedarf für Unternehmen

Ob Diesel-Skandal oder Wirecard: Die Rufe nach der Sanktionierung von Unternehmen und ihren Führungskräften werden lauter und wurden von der Bundesregierung erhört. Auch die Fachöffentlichkeit diskutiert rege über die Frage, wie Unternehmen für das Fehlverhalten von Leitungspersonen und Mitarbeitern zu sanktionieren sind. Das Thema ist in aller Munde und ist auch bei den Ermittlungsbehörden registriert worden. Staatsanwaltschaften werden daher nicht warten, bis das Verbandssanktiongesetz verabschiedet und in Kraft getreten ist. Bereits das heutige Instrumentarium des StGB (inklusive der Möglichkeiten der Einziehung von illegal erlangten Vermögenswerten) sowie die Bußgeldregelungen der §§ 130, 30 OWiG erlauben eine effektive Sanktionierung von KMU und, wenn auch mit Einschränkungen, von Großunternehmen. Nach geltender Rechtslage sind im Falle von Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen bereits Geldbußen bis zu 10 Mio. EUR möglich und die Einziehung hoher Millionenbeträge ist ebenfalls keine Seltenheit. All dies sollte Anlass genug für Vorkehrungen im Unternehmen sein.

Der Aufbau effektiver Compliance-Strukturen bedarf einer gewissen Vorlaufzeit. Erforderlich ist eine Risikoanalyse, die den Besonderheiten des konkreten Unternehmens Rechnung trägt. Diese dient der Ausarbeitung der internen Richtlinien und Handlungsanweisungen, die - je nach Maßnahme - betriebsverfassungsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Prüfung bedürfen und daher regelmäßig einen internen Abstimmungsprozess durchlaufen müssen. Schließlich sollten die Arbeitnehmer zumindest hinsichtlich der zentralen Risiken geschult werden, damit die Compliance-Vorgaben auch verinnerlicht und in der Praxis umgesetzt werden. Diese Prozesse sollten daher möglichst frühzeitig angestoßen werden.

Bei Beratungsbedarf zu diesem Thema wenden Sie sich gerne an Dr. Mayeul Hiéramente, hieramente(at)fhm-law.de. Mehr Informationen finden Sie auch unter www.fhm-law.de.

Dr. Mayeul Hiéramente, FHM
Über den Autor: Dr. Mayeul Hiéramente ist Partner bei FHM Rechtsanwälte, einer ausschließlich auf das Wirtschaftsstrafrecht und Arbeitsrecht spezialisierten Boutique-Kanzlei. Er ist Fachanwalt für Strafrecht und berät Individualpersonen und Unternehmen bei wirtschaftsstrafrechtlichen Angelegenheiten. Er ist Mit-Herausgeber eines Kommentars zum Geschäftsgeheimnisgesetz und publiziert regelmäßig zu aktuellen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und den strafrechtlichen Risiken und Chancen der Digitalisierung.

 

/jvdm

 

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