Daniel Nerlich - Der Consultant Hunter Hiring Freeze, wer hat etwas von Hiring Freeze gesagt?

Im Oktober 2022 hat unser Kolumnist Daniel Nerlich das schwierige Marktumfeld für Unternehmensberatungen beleuchtet und trotz Polykrise ein positives Zukunftsbild für den Arbeitsmarkt gezeichnet. Ein Jahr später ist es an der Zeit, die damaligen Aussagen kritisch mit den Erfahrungen der letzten Monate zu vergleichen. Der Experte für Karriere im Consulting über Personalabbau, Hiring Freeze und sich weiterhin bietende Chancen.

Von einem flächendeckenen "Hiring Freeze" kann keine Rede sein. Trotz angekündigter Entlassungswellen in manchen großen Häusern bietet der Arbeitsmarkt für Consultants immer noch gute Chancen für eine Karriere in der Unternehmensberatung. (Bild: picture alliance / ANP | Remko de Waal)

Als der Marktanalyst Lünendonk & Hossenfelder im Juni dieses Jahres die aktuelle Studie zum Managementberatungsmarkt in Deutschland präsentierte, wurden für das abgelaufene Jahr 2022 glänzende Wachstumsraten nahe der 20 Prozent präsentiert. Für das laufende Jahr 2023 sagten die Top-20-Managementberatungen voraus, dass man durchschnittlich mit 12,2 Prozent Wachstum rechne. Auch der BDU hatte bei einer Befragung Anfang des Jahres eine Wachstumsprognose von rund 12 Prozent kommuniziert. Diese positiven Einschätzungen wurden im Jahresverlauf durch Pressemitteilungen konterkariert, in denen von spürbarem Personalabbau bei führenden Beratungen wie beispielswiese McKinsey, Accenture und EY die Rede war. Zusätzlich war an der einen oder anderen Stelle zu hören, dass ein „Hiring Freeze“ ausgerufen worden sei. In meinem Kolumnenbeitrag des letzten Jahres hatte ich noch vollmundig und optimistisch getönt, dass Unternehmensberaterinnen und -berater künftig mit „glänzenden und stabilen Karriereaussichten“ rechnen können. Lag ich mit dieser Aussage falsch? Wie stellt sich der deutsche Arbeitsmarkt im Consulting aktuell dar?

Tatsächlich lohnt eine differenzierte Betrachtung, eine einfache Lösung gibt es nicht – wie so häufig in der VUCA-Welt. Es lassen sich fünf Beobachtungen anstellen, die den Markt in der aktuellen Situation beschreiben:

  1. Insgesamt wird auch im Jahr 2023 noch immer eingestellt, wenn auch auf niedrigerem Niveau als in den vergangenen Jahren. In manchen Marktsegmenten kam es in der Tat zu Einstellungsstopps, während sich andere stabil zeigen oder gar boomen (Stichwort: Artificial Intelligence).
  2. In den Bereichen, wo ein Hiring Freeze ausgerufen wurde, kam es bei der bestehenden Belegschaft mitunter zu Irritationen. Ein Partner einer Großberatung rief mir zuletzt entnervt zu: „Wie soll ich meine Ziele realisieren, wenn ich nicht einstellen darf?“. Im Kandidatenmarkt wiederum wird hinter vorgehaltener Hand über die Gesellschaften geredet, die solche Maßnahmen umgesetzt haben.
  3. Diejenigen Häuser, die auch im Jahr 2023 einstellen, können im Kandidatenmarkt punkten. Es ist davon auszugehen, dass eine Sichtbarkeit über Stellenanzeigen oder Personalberateransprachen einen positiven Langfristeffekt für das Employer Brand haben wird.
  4. Wenn im Kontext von Entlassungen das Handelsblatt mit dem Titel „Braucht es noch die McKinsey-Berater“ aufmacht oder Professor Thomas Deelmann die Frage stellt, ob es zu einem „Kahlschlag bei Konsultanten?“ kommt, kann dies eine negative Agenda in den Köpfen setzen. Nicht immer machen sich die Lesenden die Mühe, den differenzierten Ausführungen des gesamten Artikels zu folgen. In den vergangenen Monaten wurde ich mehrfach auf diese Artikel angesprochen, verbunden mit der Frage, wie schlimm es denn um den Consulting-Markt stehe. Klare Antwort: Die angekündigten Entlassungswellen wurden fast ausschließlich in den Backoffice-Bereichen, also beispielsweise im Research oder im Marketing, vollzogen. Die betreffenden Firmen stellten zur selben Zeit, in denen sie sich von tausenden Mitarbeitenden trennten, in signifikantem Umfang in den marktnahen Beratungsbereichen ein.
  5. Der massive Personalaufbau in den Jahren 2021 und 2022, als Beratungen um bis zu 30 oder gar 40 Prozent wuchsen, führte auch negative Effekte mit sich. Im Gespräch mit manchen Personalverantwortlichen wurde mir mitgeteilt, dass man in dieser Phase die üblichen Auswahlkriterien absenken musste, um die Bedarfe aus den Fachbereichen decken zu können. Spätestens im Jahr 2023 wird klar, dass man sich mit der einen oder anderen Besetzung keinen Gefallen getan hat.

Muss man sich also im aktuellen Marktumfeld vor einem „Last in, first out“ im Consulting sorgen? Sollte man als Kandidatin oder als Kandidat in den kommenden Monaten vorsichtshalber jeglichen Interviewprozess pausieren?

Klare Antwort: Nein. Der Markt bietet nach wie vor werthaltige Optionen und wahrhaftige Chancen, um Karriere innerhalb der Unternehmensberatung zu machen. Wer jetzt Gespräche führt, kann getrost ab 2024 an neuer Wirkungsstätte starten. Und das gegebenenfalls in einem freundlicheren Konjunktur- und Marktumfeld.

 

Über die Person

Daniel Nerlich ist Gesellschafter und Partner bei einem führenden Unternehmen im Executive Search, Board Consulting und Management Audit. Zu seinen Klienten zählen die Top-10 der internationalen Strategieberatungen, die Big-4 Wirtschaftsprüfungs- und Advisory-Gesellschaften sowie sogenannte „Hidden Champions“. Seit rund fünfzehn Jahren liegt sein Fokus auf der Besetzung von Führungspositionen innerhalb der Unternehmensberatung. Zudem ist er Gründer des Online-Magazins CONSULTANT career lounge.

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