Consulting im Style-Check - Kolumne von Wolfram Saathoff Holleri du Diarrhö – Aphorismen-Durchfall im Business-Netzwerk

Hat niemals auf LinkedIn langweilige Zitate gepostet: George W. Washington. (Bild: Flaticon, Haus am Meer)
In dem Satz »Es ist lecker«, ist das Es ein ganz profanes Pronomen, das ein Substantiv (das Essen) ersetzt, wie es die deutsche Rechtschreibkommission glücklich macht. Wer in der Schule für fünf Pfennig aufgepasst hat, weiß, dass man das Substantiv ganz einfach erfragen kann: »Was ist lecker?« – »Das Essen.« Bei der Uhrzeit geht das nicht: »Was ist zwölf Uhr?« – »Du mich auch!«
Das in der Uhrzeitangabe verwendete Es ist ein sogenanntes ›expletives Es‹, im Englischen ›dummy pronoun‹ genannt, und ist semantisch so leer wie eine zweistündige Rede von Olaf Scholz – existiert zwar als Geräusch, bedeutet aber nichts und verweist auch auf nichts. Dennoch ist es notwendig, weil in der deutschen Sprache ein Aussagesatz zwingend eines Subjektes bedarf. Sie erinnern sich an die Schulzeit: Subjekt, Prädikat, Objekt. Und genau jetzt ist ›Es‹ Zeit, zum Thema zu kommen.
Sinnsprüche auf LinkedIn: Erschreckend allgemeingültig bis gewollt lustig
Vor einiger Zeit entdeckte ich auf LinkedIn dieses bedenkenswerte Bonmot: »Denken ist das Handeln für Dumme«, schreibt da ein User auf LinkedIn und hält sich wahrscheinlich für einen genialen Aphoristiker mit Heranreichungspotenzial an Georg Christoph Lichtenberg. Ich hielt kurz inne, kapierte es nicht (Sinn und Unsinn wurden auch nirgends erläutert, es stand einfach so da) und zog weiter. Es blieb mir aber offensichtlich erinnerlich, denn es sticht mir seitdem immer wieder ins Hirn wie ein Schlaganfall, wenn mir diese unsinnigen Sinnsprüche in meine LinkedIn-Timeline gespült werden wie tote Fische ans Oderufer:
- Seien sie allgemeingültig (»Vereinte Kraft ist zur Herbeiführung des Erfolges wirksamer als zersplitterte oder geteilte«, Thomas von Aquin),
- motivierend (»In einem wankenden Schiff fällt um, wer stillsteht und sich nicht bewegt«, Ludwig Börne),
- geistreich (»Erfolg hat nur, wer etwas tut, während er auf den Erfolg wartet«, Thomas Edison)
- oder auch nicht (»Du musst nicht spitze sein, um anzufangen. Aber du musst anfangen, um spitze zu werden«, wer auch immer Zig Ziglar war),
- widersprüchlich (»Verfolgt man seine Träume nicht, so ist man am Schlafen und nicht am Leben« von jemandem namens Tom Stephan, der die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, ob man nicht am Leben sein muss, um überhaupt träumen zu können)
- oder auch gewollt lustig (»Die Ärzte haben es am besten: ihre Erfolge laufen herum und ihre Misserfolge werden begraben«, Jacques Tati).
Eines haben sie doch alle gemein: Es sind Phrasen, leer wie das Es in »Es ist zwölf Uhr«.
Der Zwang zur Regelmäßigkeit: Jeden Tag was Kluges posten!
Stellen Sie sich vor, Sie haben auf der Arbeit einen richtig beschissenen Tag, Ihnen fliegen die Projekte nur so um die Ohren, fünf Kollegen und drei Kolleginnen sind krank, zuhause ist ein Rohr gebrochen und Ihr Auto hat Brechdurchfall. Sie gehen in die Kaffeeküche, um mal für zwei Minuten durchzuatmen, da steht der Typ aus der BuHa, klopft Ihnen kumpelhaft auf die Schulter, sagt: »Wie Enrique Iglesias schon sagte: ›Es gibt zwei Arten von Stress: Einen, wenn du Arbeit hast, und einen, wenn du keine hast‹«, und zieht lachend von dannen. Hilfreicher wäre nur ein Genickschuss.
Dennoch begegnet man diesen im alten Griechenland als gnōmai (in kurzen Versen ausgedrückte Lebensregeln weiser Männer) bezeichneten Sinnsprüchen ü-ber-all! Natürlich auch in den LinkedIn-Profilen der unterschiedlichsten Beraterinnen und Berater. Die Frage muss lauten: Warum nur?
Die Antwort ist wohl genauso profan wie einleuchtend:
Es wird den Menschen ständig eingebläut, sie müssten regelmäßig ›etwas‹ posten, damit der Algorithmus zufrieden schmatzend die Relevanz des Users hochstuft und ihn in mehr Timelines rotzt als einen User, der qualitativ hochwertige, dafür aber deutlich weniger Inhalte postet. Auf diese Weise entstehen immer mehr quasi expletive Posts.
Das Problem ist, dass man nicht jeden Tag irgendwas Kluges zu sagen hat. Und anstatt dann weise zu schweigen, fluten die Like-Süchtigen den Äther mit Essen, Tieren oder Zitaten. Wobei Zitate gegenüber Essen und Tieren den Vorteil haben, dass sie die zitierende Person so schlau aussehen lassen wie die zitierte. Denken die zumindest: Ich zitiere Goethe, also muss ich wohl so schlau wie Goethe sein. Mindestens.
Kampf dem Clickbaiting!
Ein Problem, das uns häufig begegnet im Social Marketing: Man muss die Kanäle regelmäßig bespielen, um wahrgenommen zu werden. Und wenn man sich nicht einreihen möchte in die Riege derer, die ein Bild von Hubba Bubba posten und dazu schreiben: »Wer erinnert sich noch? #Schulzeit«, gerät man schnell ins Schwimmen. Allzu viele landen dann an dem Ort, an dem diverse Kalenderhersteller bereits waren: auf www.zitate.de, Suchworte: Erfolg, Beruf, Motivation etc. pp.
Zum Glück hat LinkedIn das Problem erkannt und User, die nur auf Likes und Klicks und Views aus sind, den Kampf angesagt. Denn, wie LinkedIn-Chefredakteur Dan Roth sagt:
When things go viral on LinkedIn, usually that’s a sign to us that we need to look into this, because that’s not celebrated internally.
Also werden zukünftig fachliche Inhalte bevorzugt vom Algorithmus ausgespielt und Clickbaiting weitestgehend ignoriert. Auch die Kommentare werden auf ihren Gehalt gescannt, wie auch die Beziehung zwischen Postendem und Kommentierendem. Ob und wie das in der Praxis funktionieren wird, wird man sehen.
Aber unterschätzen wir den Algorithmus und die dahintersteckenden Hirne mal nicht und gehen vom Besten aus. KI wird ihren Teil dazu beitragen.
Einfach mal schweigen
Was heißt das für Sie? Nun, entfernen Sie zuallererst zitate.de aus Ihrer Lesezeichenleiste und machen sich mal ein paar Gedanken, wie man das, was Sie den ganzen Tag sonst so machen, bereichernd für die Community aufbereiten kann. Und wenn Ihnen partout nichts einfallen mag, machen Sie das, was weise Menschen in dieser Situation tun: schweigen. Denn wie sagte schon Karl Valentin:
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten.
Über die Person
Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden