Interview mit Iris Grewe, Deutschland-Chefin BearingPoint "Ich habe nie nein gesagt, wenn es darum ging, eine neue Rolle oder Verantwortung anzunehmen"

Frei nach dem Motto „Keine Angst vor dem kalten Wasser“ veranschaulicht Iris Grewe, Deutschland-Chefin der Management- und Technologieberatung BearingPoint, ihren beruflichen Werdegang und zeigt, worauf es ankommt, um als Frau erfolgreich in der Beratungsbranche zu sein.

Wie war Ihr Tag bislang?

Iris Grewe: Bisher sehr abwechslungsreich. Der Corona-Situation geschuldet zudem beinahe nahtlos in virtuellen Sitzungen und Calls. Am Morgen fand ein Austausch mit den österreichischen Kollegen über einen potenziellen Team Hire statt. Nachmittags war besonders erfreulich, dass wir von einem neuen Kunden im Konsumgüterbereich die Beauftragung für ein Großprojekt erhalten haben. Das ist deswegen so spannend, da wir Ende Mai aufgrund der Covid19-Situation mit dem Kunden komplett virtuell über fünf Stunden im Rahmen der Angebotspräsentation zusammengeschaltet waren. Das war für beide Seiten ein Novum - allerdings auch ein schöner Beweis dafür, dass sogar Vertrieb in Zeiten von Corona virtuell funktionieren kann.

Das klingt spannend und abwechslungsreich. Ist das auch einer der Gründe, warum sie ursprünglich zur Beratung gekommen sind?

Iris Grewe: Es ist definitiv der Grund, warum ich immer noch bei der Beratung bin. Beruflich habe ich ursprünglich bei einer Bank gestartet. Ich bin ausgebildete Bankkauffrau, habe im Anschluss daran Volkswirtschaft studiert und verschiedene internationale Praktika gemacht, um unterschiedliche Branchen kennenzulernen. Dann hat eine Freundin von mir ein Praktikum bei einer Beratungsfirma gemacht und war aufgrund der abwechslungsreichen Tätigkeitsfelder begeistert. Daraufhin habe ich mich ebenfalls bei Unternehmensberatungen beworben. Die Empfehlung meiner Freundin hat sich tatsächlich bewahrheitet und seither bin ich der Branche treu geblieben.

Sie sind seit 2002 bei BearingPoint. Im September 2018 wurden Sie Deutschlandchefin von BearingPoint. Das sind 16 Jahre bis an die Spitze. Interessanterweise hat Ihr Vorgänger Kiumars Hamidian genauso viele Jahre vom Einstieg bis zur Berufung als Deutschlandchef gebraucht. Ist das ein Zufall oder dauert dieser Schritt bei BearingPoint eben 16 Jahre?

Iris Grewe: Zunächst einmal würde ich sagen, dass die Ernennung zum Partner und Miteigentümer der wichtigere bzw. bedeutendere Schritt bei uns auf dem Karriereweg ist. Dieser erfolgt in der Regel nach neun bis zwölf Jahren ab Berufseinstieg. Dass Kiumars Hamidian und ich gleich lange gebraucht haben, bis wir die Deutschland-Leitung übernommen haben, unterstreicht in meinen Augen eher die Tatsache, dass es bei uns für die Position egal ist, ob man männlich oder weiblich ist.

Wie sind die 16 Jahre abgelaufen? Ab wann war klar, dass Sie Ihren Vorgänger beerben werden? Wird man da eines Tages zur Seite genommen und gesagt "Ich glaube, du hast das Potenzial dazu Deutschland-Chefin zu werden"?

Iris Grewe: Vielleicht sehen andere das früher in einem als man selbst. Ich bin damals im Financial Services Team eingestiegen, war als Consultant viel im Wertpapierbereich und Kreditgeschäft unterwegs und als Manager im Börsenumfeld international tätig. Als Senior Manager kam der Fokus auf das Investment Banking dazu und schließlich bin ich Partner für das Banking und Capital Markets Geschäft geworden. Auf diesem Weg haben mich vermutlich ein paar Leute bemerkt und gedacht: "Die könnte Potential haben."

Ich für meinen Teil habe allerdings auch nie nein gesagt, wenn es darum ging, eine neue Rolle oder Verantwortung anzunehmen. Auch wenn ich teilweise echten Respekt vor der neuen Aufgabe hatte, habe ich mich immer noch mehr darüber gefreut, ein solches Angebot zu bekommen.

Die ersten Anzeichen, dass es vielleicht in eine erweiterte Führungsverantwortung gehen würde, zeigten sich in 2014. Damals bin ich von den Partnerkollegen in das Partnership Board, sozusagen der Aufsichtsrat unserer Partnerschaft, gewählt worden. Danach habe ich die Co-Führung in der Schweiz übernommen, dann die Regionalleitung Schweiz-Italien-Österreich und schließlich 2018 die Leitung in Deutschland.

Allein die Tatsache, dass ich immer relativ angstfrei an Dinge rangehe, war sicherlich bei einigen Kollegen bekannt, und dass mein Entdeckergeist gerne Neues ausprobiert, ist auch kein Geheimnis. 

Ist es dann tatsächlich der Mut oder was sind die Schlüsselfaktoren, die es letztendlich für diese Reise braucht? 

Iris Grewe: Ich glaube, grundsätzlich ist es wichtig, dass man nicht nur Mut und Neugier, sondern auch Kreativität und Flexibilität, einen wachen Verstand und eine gesunde Portion Resilienz mitbringt. Sowohl beim Berufseinstieg als auch bei jedem neuen Projekt hilft es, wenn man keine Angst vor dem kalten Wasser hat. Kaum ein Kunde tritt mit einem identischen Auftrag zweimal an uns heran. Das heißt auch, dass man sich immer wieder mit neuen Dingen beschäftigen muss. Es ist ein bisschen wie beim Schwimmen. Man steht eines Tages vor einem Gewässer, weiß jedoch nicht, wie sich das Wasser anfühlen wird. Das Einzige was man weiß, ist, dass man schwimmen gelernt hat und nicht untergehen wird, wenn man in das Wasser springt. Eine solche Haltung hilft natürlich. 

Ein anderer wichtiger Punkt ist meines Erachtens, dass man sich engagieren sollte, wenn eine spannende Aufgabe an einen herangetragen wird. Dadurch lassen sich neue Kompetenzen und Erfahrungen erwerben, die vielleicht sogar außerhalb des eigenen Arbeitsbereichs liegen. Dadurch wird man in einem Unternehmen - und das gilt nicht nur für die Consulting-Branche - sichtbar. In der Beratung ist es allerdings wichtig, dass man sich sichtbar macht, da man nicht per se an einem Ort, mit den gleichen Personen oder in einer Abteilung tagtäglich zusammenarbeitet.

Gab es in den letzten Jahren denn auch etwas, auf das sie verzichten mussten, um ganz nach oben zu kommen?

Iris Grewe: Nicht unbedingt, um nach oben zu kommen. Ich habe lange mit Begeisterung Theater gespielt. Eine ortsgebundene Freizeitbeschäftigung ist aufgrund der Reisetätigkeit nicht immer mit dem Consulting-Beruf vereinbar. Wenn man nicht regelmäßig an den Proben teilnehmen kann, hängt man diese Leidenschaft lieber für eine Zeit an den Nagel und nimmt sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf.

Wie vereinbar ist der Job denn mit der Familie?

Iris Grewe: Man muss gut planen und organisieren können. Das sehen wir auch bei jüngeren Eltern oder bei Personen, die sich um kranke oder alte Familienmitglieder kümmern. Überall da, wo eine Ortsabhängigkeit aufgrund persönlicher Bindungen oder Verpflichtungen hinzukommt, ist es herausfordernd. Dies zeigt sich bei uns vor allem in Deutschland. In Ländern wie Österreich, Großbritannien und Frankreich, wo ein großer Teil des Wirtschaftsgeschehens in der Hauptstadt konzentriert ist, ist die organisatorische Herausforderung, Familie und Beruf zu vereinen, deutlich geringer. BearingPoint hat allein in Deutschland acht Standorte, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass Deutschland ein föderal geprägtes Land mit einer verteilten Industriekultur ist. Unsere Kunden sind an unterschiedlichen Orten vorzufinden und die Berater-Tätigkeit ist damit auch mit Reisen verbunden. In eher zentralistisch organisierten Ländern ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einfacher umzusetzen. Dinge wie Teilzeitarbeit, Familienservices, Arbeiten von zu Hause etc. sind alles gute Angebote, die wir auch in Deutschland haben, deren Wirkungen wegen der Reisetätigkeit jedoch mitunter begrenzt sind.

Man hört Stimmen, die sagen, dass die Zeit von Corona in der Consulting-Branche tatsächlich etwas Gutes bewegen wird, weil man gemerkt hat, dass man nicht immer vor Ort sein muss, sondern vieles auch remote geht. Wird sich durch die Corona-Krise im Consulting-Beruf etwas nachhaltig verändern?

Iris Grewe: Ich glaube, dass die Erfahrung durch Corona zeigt, dass virtuelles Arbeiten vor allem bei einer Bürotätigkeit tatsächlich gut funktioniert. Im Consulting selbst ging das allerdings auch vorher schon. Jeder von uns hat einen Laptop, ein Mobiltelefon, man kann sich jederzeit WIFI oder einen Hotspot holen und als Consultant im Prinzip arbeiten, wo man will. Der Dreh- und Angelpunkt ist, dass die Kunden das virtuelle Arbeiten bisher entweder a) nicht gewohnt waren, b) technisch nicht darstellen konnten und c) schon gar nicht von einem Berater wollten. Das hat sich jetzt mit Corona geändert. Unsere Kunden haben gemerkt, dass weder der Berater noch die eigenen Büromitarbeiter zwingend vor Ort sein müssen, damit die Firma weiter funktioniert. Meiner Meinung nach wird das zukünftig schon einen Unterschied im Zusammenhang mit Bürotätigkeiten machen. Sobald die Kunden feststellen, dass sie der Arbeit von Consultants auch ohne physische Präsenz vor Ort vertrauen können, wird auch die Ortsgebundenheit ein Stück weit aufgehoben werden. 

Wo kann die Reise für Sie bei BearingPoint noch hingehen? 

Iris Grewe: Wir haben bei BearingPoint ein Rotationsprinzip. Das heißt es steht immer ein ganzer Strauß an Rollen für einen entsprechenden Verantwortungszeitraum zur Verfügung. Es gibt regionale und überregionale Marktrollen, fachliche Führungspositionen oder auch organisatorisch leitende Positionen. Es gibt viele verschiedene Rollen, die ich selbst noch nicht innegehabt habe und damit eine ganze Bandbreite spannender Gelegenheiten. Ich sehe da der Zukunft offen entgegen.

 

Das Interview mit Iris Grewe führte Holger Geißler. Teil 2 des Interviews erscheint am 25. August.

sh

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Mehr zum Dossier: Frauen im Consulting

Artikel dieser Ausgabe:

alle anzeigen

Weitere Highlights auf CONSULTING.de

Editors Choice

alle anzeigen