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- "Ich halte nichts davon, als Hardcore-Sanierer mit brachialer Gewalt in ein Unternehmen reinzugehen."
Interview mit Nils Kuhlwein von Rathenow, KEARNEY "Ich halte nichts davon, als Hardcore-Sanierer mit brachialer Gewalt in ein Unternehmen reinzugehen."

Was hat Sie an den Ergebnissen der neuen Welle des Restructuring Score überrascht? Da ist doch vieles, was man erwartet hätte, oder?
Nils Kuhlwein: Auf den ersten Blick schon. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass die Coronakrise einzigartig ist und wir nach vorne immer in Szenarien mit sehr vielen Risiken planen. Unser Restructuring Score gehört zu den wenigen Analysen, die mit zeitlich kurzem Nachlauf die tatsächlichen Kennzahlen von Unternehmen untersuchen. Das ist immens wichtig, um wieder verlässlich nach vorne zu blicken. Wir waren uns bereits bei den ersten Analysen im Dezember sicher, dass das Herbsthoch der Wirtschaft auf viel Sand gebaut ist. Andere haben ja schon so getan, als ob wir mit dem schlimmsten durch wären. Heute sehen wir, dass die Bundesregierung ihre Prognosen nach unten korrigiert und die deutsche Industrie einen Auftragsrückgang vermelden muss.
Gerade in den Branchen, wo Deutschland bislang stark war - Automobil-Hersteller und -Zulieferer, Maschinenbau - ist der Restrukturierungsdruck am größten. Wie sollten Politik und die Wirtschaft darauf reagieren?
Nils Kuhlwein: Ich glaube, dass bei allen deutschen Autobauern die Warnglocken lauter geworden sind und die Schalter im letzten Jahr umgelegt wurden. Endlich kommt jetzt die nötige Modelloffensive mit alternativen Antrieben. Da spielten die Förderpakete der Bundesregierung sicherlich eine positive Rolle, aber man sieht den Trend ja auch weltweit. Sorgen mache ich mir mehr um die Zulieferer. Jene, die Komponenten für den Verbrenner liefern, trifft es hart und ich bin mir sicher, dass wir hier Übernahmen und Zusammenschlüsse sehen werden. Ähnlich ist es beim Maschinenbau. Aber wir sehen auch, dass "Made in Germany" weltweit noch immer zählt.
Ich würde mir wünschen, dass die Politik die Unternehmen bei Forschung, Entwicklung und Umbau unterstützt. Nur so können jene wettbewerbsfähig bleiben, die im Kern innovativ sind, aber denen Corona finanziell gerade schwer zu schaffen macht.
Ist das Geschäftsmodell von Automobilherstellern überhaupt noch zukunftsfähig? Was müsste sich hier ändern?
Nils Kuhlwein: Und ob es das ist. Schauen Sie auf die Absatzzahlen vor der Coronakrise. Trotzdem ist die Branche unter massivem Transformationsdruck. Die Nachhaltigkeitsfrage schwebt über allem, denn der Mobilitätssektor ist nun mal einer der Hauptemittenten. Hinzu kommen die Digitalisierung und die Neujustierung des Verhältnisses zwischen Hard- und Software beim Bau und bei den Kundenwünschen. Die Branche steht also vor drei großen Herausforderungen gleichzeitig und der Konkurrenzdruck wächst. Wie wichtig die deutsche Autoindustrie im globalen Maßstab aber weiter ist, sehen Sie an der Entscheidung Teslas, ihr Europawerk bei uns zu bauen. Die Kalifornier versprechen sich einen Schub dank deutscher Ingenieurskunst.
Die USA und China kommen besser durch die Krise als Deutschland, so die Aussage der Studie. Liegt das nur an den unterschiedlichen Branchenschwerpunkten der Länder oder auch daran, wie die Länder auf die Corona-Krise reagiert haben?
Nils Kuhlwein: Die Ausgangslage ist eine andere. China hat erst verheimlicht und als das nicht mehr ging, hat man mit rabiaten Maßnahmen die Epidemie weitgehend unter Kontrolle gebracht. Das geht in einem totalitären Überwachsungsstaat, aber nicht in einer Demokratie. Und das ist auch gut so, meiner Meinung nach. In den USA hat die Regierung Trump Maßnahmen zur Pandemieeindämmung bewusst verhindert, weil man vor allem die Wirtschaft offenhalten wollte. In Europa ist die Situation aber auch komplizierter. Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung ist höher, trotz Europäischer Union haben wir auf kleinem Raum immer noch viele Nationalstaaten, die ihre eigenen Regeln zur Eindämmung des Virus erlassen. Das macht es nicht leichter. Hinzu kommt, dass unsere Wirtschaft eng verflochten ist. Vergessen Sie nicht, dass in manchen EU-Staaten die Wirtschaft zwischenzeitlich fast komplett zum Erliegen kam, und wenn in Norditalien die Bänder stillstehen, dann hat das auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen.
Wenn wir heute nochmal am Anfang der Krise stehen würden: Was würden Sie - mit dem Wissen von heute - der Regierung wirtschaftlich raten? Was hätte man am Anfang anders machen sollen?
Nils Kuhlwein: Ich glaube, am Anfang haben wir ziemlich viel richtig gemacht. Für falsch hielt ich damals jedoch die Grenzschließung. Da hat man viel Vertrauen zerstört. Natürlich ist es einfach, jetzt zurückzublicken und zu kritisieren, aber grobe Fehler wurden im Sommer und Frühherbst gemacht. Man hat die Zeit der niedrigen Inzidenzien damals nicht genutzt, um Szenarien für den Winter zu erstellen und weiter dafür zu werben, dass es für Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft besser ist, wenn man früh und konsequent handelt.
Versagt hat der Bund bei den jüngsten Coronahilfen. Es kann doch nicht sein, dass das Bundeswirtschaftsministerium über Wochen nicht in der Lage ist, eine Plattform erfolgreich aufzusetzen, die eine zeitnahe Bearbeitung von Hilfsanträgen von Unternehmen ermöglicht.
Was bedeuten die Ergebnisse für die Restrukturierungsberater? Noch mehr Arbeit?
Nils Kuhlwein: Bei Kearney haben wir seit 2017 ein schlagkräftiges Restrukturierungsteam aufgebaut, weil uns klar war, dass sich auch der blaueste Konjunkturhimmel einmal eintrüben wird. Nun zieht der Markt spürbar an und ich glaube, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Art der Restrukturierung wandelt sich aber.
Ich halte nichts davon, als Hardcore-Sanierer mit brachialer Gewalt in ein Unternehmen reinzugehen.
Diese einzigartige Coronakrise trifft auch Unternehmen einzigartig und man muss genau hinschauen, ob es oft nicht eher um den Aufbau neuer Geschäftsmodelle geht. Denn anders als zur Finanzkrise 2008/2009 ist derzeit genügend Geld in den Märkten vorhanden.

/pj
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