Thomas Deelmann In 7 Schritten zur Digitalstrategie - Teil 1

Professor Thomas Deelmann
"Digitalisierung & Beratung" ist eine Begriffskombination, die seit einiger Zeit viele Fans hat und ein Trendthema geworden ist. Spannend ist Digitalisierung für Berater allerdings häufig vor allem dann, wenn sie als Chiffre für ein einschlägiges Unterstützungsangebot für ihre Kunden interpretiert wird. Spannend ist sie ebenfalls, wenn Berater ihre Arbeit dank digitaler Technologien effizienter gestalten können.
Noch spannender (für Anbieter, Nachfrager, Marktbeobachter – und gegebenenfalls neue Akteure, z.B. einer der großen chinesischen oder amerikanischen Internet-Konzerne) könnte es allerdings sein, den Kern-Beratungsprozess zu digitalisieren und damit die Basis für eine Automatisierung zu legen. Dies wäre disruptiv im Christensen’schen Sinne!
Viele Beratungen scheinen Schwierigkeiten zu haben, mögliche Implikationen der Digitalisierung einzuschätzen und hier selber zu einer Position zu finden. Im Rahmen einer Digitalstrategie wird untersucht, ob und wie Digitalisierung die eigene Beratung verändert und wie aktiv agiert (oder auf die Entwicklungen reagiert) werden kann. Sieben Schritte werden vorgestellt: Vier für die sorgfältige Entwicklung einer Digitalstrategie und drei für ihre Umsetzung. Der nachfolgende erste Teil fokussiert auf die Strategieentwicklung.
Schritt 1: Blick aus dem Fenster
Der Blick nach draußen, also auf die Umwelt der eigenen Beratung, ist ein guter Startpunkt für die Entwicklung der Digitalstrategie. Diese Perspektive kann dabei viele Facetten aufweisen.
Beispiel 1: Aktuell verändert sich das Verhalten der Beratungskunden deutlich, wie verschiedene Teilnehmer des Forschungsprojektes InnoDIB (Innovationsforum Digitale Beratung) bestätigten: Für die Bereitstellung von Fachinformationen in Form von Analysen etc. wurde vor kurzem noch bezahlt – heute werden diese Analysen als kostenlose Vermarktungsmaterialien der Berater interpretiert.
Beispiel 2: Es gibt aktuell keine Zugangsbeschränkung zum Beratungsmarkt. Hier kann man erwarten, dass es auch zukünftig jedermann, jederfrau und jedem Unternehmen erlaubt sein wird, die ungeschützte Berufsbezeichnung "Berater" zu führen. Dies könnte interessant für neue Anbieter mit neuen Geschäftsmodellen sein.
Beim Blick aus dem Fenster lassen sich viele Entwicklungen auf technischen, ökonomischen sozialen und weiteren Gebieten identifizieren, die Einfluss auf die eigene Beratung haben können. Die Herausforderung bei diesem Schritt besteht darin, die wirklich relevanten Aspekte aus der Vielfalt der Beobachtungen und Entwicklungen herauszudestillieren.
Schritt 2: Nabelschau
Neben der Analyse der Umwelt dient auch der Blick auf die eigene Beratung als Grundlage für die weiteren Schritte. Eine der am schwersten zu beantwortenden Fragen wird dabei wohl "Wer bin ich?" sein, also das Herausarbeiten des eigenen Wesenskerns. Ist die getätigte Selbstzuschreibung als Trusted Advisor wirklich tragfähig? Oder wird nicht doch häufiger die solide Rolle des Fachexperten eingenommen? Oder – Hand aufs Herz – sind es eigentlich meist Bodyleasing-Projekte, welche die Beratung de facto wirtschaftlich über Wasser halten? Die Beantwortung dieser Frage kann Schmerzen bereiten, ist aber notwendig!
Aus der Masse der circa 130.000 Berater in Deutschland können einen aber auch weitere Aspekte hervorstechen lassen: Z.B. eine Branchenfokussierung, Technologiekompetenz, besondere Eigenschaften und Einstellungen der Mitarbeiter oder ganz andere Merkmale. Auch die Frage nach der eigenen Kultur muss gestellt werden. Beispielsweise kann kritisch hinterfragt werden, ob das Up-or-Out-System wirklich so strikt ist, wie es immer propagiert wird oder ob die kleinere, sechs Personen starke Beratungspartnerschaft wirklich so partnerschaftlich interagiert, wie es der Name und die Selbstdarstellung behaupten?
McKinsey scheint ein Beispiel für eine Beratung zu sein, die ihren inneren Kern gefunden hat. Die oftmals getätigte Beschreibung als Strategieberatung springt dabei zu kurz. McKinsey agiert vielmehr sehr pragmatisch als Dienstleister für die Herausforderungen des (Top-) Managements ihrer Kunden und hat auf jeweils entsprechende Nachfragesituationen mit Strategieberatung, dem Business Technology Office, einem eigenen Forschungsinstitut, dem Capability Center für Trainings, einem Joint Venture, den Solutions etc. reagiert.
Im Rahmen des zweiten Schrittes ist die Ehrlichkeit in der Selbstbetrachtung besonders wichtig. Hier zählt nicht, was auf der Visitenkarte steht („Berater – Trainer – Coach“), sondern das, was die Beratung wirklich macht, was sie wirklich kann, was sie aus der Masse hervorhebt: Nicht mehr – aber auch nicht weniger als der Wesenskern.
Schritt 3: Optionen für das Geschäftsmodell entwickeln & eine Auswahl treffen
Im dritten Schritt werden die Analyseergebnisse aus den beiden ersten Schritten konsolidiert und kombiniert: Die eigene Beratung wird also in den Kontext der Umwelt gestellt. Dazu müssen auch Einschätzungen z.B. zur Eintrittswahrscheinlichkeit und -geschwindigkeit einer Digitalisierung der eigenen Beratungstätigkeit getroffen werden.
Auf dieser Basis wird dann das zukünftige Geschäftsmodell gestaltet. Regelmäßig wird suggeriert, es gäbe hier narrensichere Patentlösungen – leider ist das nicht der Fall. Tatsächlich gehört die Geschäftsmodell-Gestaltung mit all ihrer notwendigen Kreativität und den zugehörigen Unsicherheiten ("Haben wir auch wirklich alles berücksichtig?") zu den vornehmsten Aufgaben der Geschäftsleitung.
Als Impuls und zur Anregung der Kreativität lassen sich für die Digitalisierung von Beratungen dennoch fünf idealtypische Ausprägungen identifizieren. Die Bandbreite reicht von "Augen zu und durch" (das klassische "As is"-Szenario) über einen Hybrid-Ansatz bis zu einem "Pure Play", bei dem alles auf die Digitalisierungs-Karte gesetzt wird.
Moody’s Analytics beispielsweise arbeitet an der Automatisierung eines Prozesses, der die Sichtung von Geschäftsberichten nach einschlägigen Kennzahlen und Tabellen umfasst. Diese sehr arbeitsintensiven Tätigkeiten, die bisher insbesondere von Berufseinsteigern übernommen wurden, entfallen nun und die aufwändige Analysephase wird schneller, kostengünstiger und durch Rückkopplungsschleifen auf Dauer auch weniger fehleranfällig.
Die Herausforderung im dritten Schritt besteht darin, dass die große Menge an Daten und Informationen aus den ersten beiden Schritten massiv verdichtet und eine Entscheidung für ein konkretes zukünftiges Geschäftsmodell getroffen werden muss.
Schritt 4: Veränderungen durchdenken. Mit allen Auswirkungen!
Nach der Definition des Ziel-Geschäftsmodells ist nun der Weg dorthin zu beschreiben. Dieser Weg wird gemeinhin als "Strategie" bezeichnet. Hierbei sind die vielfältigen Auswirkungen von und Wechselwirkungen zwischen einzelnen Maßnahmen zu beachten. Möchte man es z.B. den Online-Händlern, die große Teile der Aktivitäten rund um den klassischen Verkaufsprozess an den Kunden ausgelagert haben, nachmachen, so können mit Hilfe des Template-Driven-Consultings oder eines Self-Service-Consulting-Angebots Teile der Analysephase an den Kunden abgegeben werden (ihnen wird dies durch geringere Beratungskosten schmackhaft gemacht). Diese Entscheidung hat dann allerdings Auswirkungen auf die Aufgaben und Auslastung der bisherigen (Junior-) Berater, was wiederum Auswirkungen auf die benötigte Personalpyramide hat. Diese beeinflusst die Recruitingaktivitäten, die Aufstiegschancen einzelner Berater sowie die Ausgestaltung der notwendigen Performance-Evaluation für Beförderungen. Auch die Neugestaltung der Berater-Kunden-Beziehung, des Leistungsversprechens, des notwendigen Kulturwandels und so weiter müssen dabei berücksichtigt werden.
Deutlich wird, dass in diesem Schritt die Berücksichtigung der mannigfaltigen Interdependenzen den kritischen Punkt bilden.
Ausblick: Walk the talk!
In einem Folgebeitrag werden drei weitere Schritte skizziert, die sich mit der Umsetzung der gerade entwickelten Strategie beschäftigten. Hier geht es zum einen darum, die Veränderung auch wirklich zu beginnen. Dann ist es wichtig, den Fortschritt zu kontrollieren und schließlich, auf einer erreichten Stufe nicht stehen zu bleiben, sondern eine Weiterentwicklung anzustoßen Teil 2 betrachtet das tatsächliche "doing" und spricht die Anforderung aus: Walk the talk!
Über den Autor:
Professor Thomas Deelmann lehrt Management und Organisation an der FHöV NRW in Köln. Zuvor war er Professor für Corporate Consulting und Management an der BiTS Iserlohn. Seine Praxiserfahrungen als (interner) Berater, Beratungs-Einkäufer und Leiter der Strategieentwicklung bei einem führenden globalen ICT Service Provider bilden die Basis für seinen Forschungsschwerpunkt in der Unternehmens- und Verwaltungsberatung.
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