Teil 2 des Interviews mit Sascha Haghani, Roland Berger "In der Restrukturierungsberatung hat man ab 55 erst die richtige Erfahrungskurve erreicht, um auf das nächste Level zu kommen."

Sascha Haghani, Geschäftsführer DACH bei Roland Berger, spricht im zweiten Teil des Interviews über seinen Werdegang in der Sanierungsberatung. Darüber, welche Eigenschaften es als Sanierungsexperte braucht, warum die Sanierung nicht für jeden das richtige Arbeitsfeld ist und weshalb die Sanierung ein Geschäft mit Null-Fehler-Toleranz ist.

Sascha Haghani: Welche Eigenschaften benötigt man als Sanierungsexperte? (Bild: SNFV GmbH)

Wie sind Sie selbst in der Sanierungsberatung vor 28 Jahren gelandet? War das Zufall?

Sascha Haghani: Das war Zufall. Als ich gerade dabei war, mein Studium in der Schweiz zu beenden, begann die Wiedervereinigung Deutschlands. Nachdem ich den Prozess aus dem Fernsehen miterlebt habe und ich über meine Heimatstadt Kassel nah dran war am Geschehen in den neuen Bundesländern, war für mich klar, dass – wenn ich dort ein Praktikum finde – dies mein erster beruflicher Schritt sein könnte. Ich habe mich dann bewusst gegen Investment-Banking entschieden, das stand ebenfalls auf meiner Wunschliste.

Ich bin zu Roland Berger gegangen, weil Berger damals sehr stark das Thema der Transformation in den neuen Bundesländern gestartet hat. Das war die Geburtsstunde der Restrukturierung im klassischen Sinne, wie wir sie heute kennen. Es war damals der Wunsch, die historische Situation mitzuerleben. Die Lust an der Restrukturierung kam nach dem Prinzip "learning by doing". Und danach habe ich nichts anderes mehr gelernt. (Lachen)

Was war Ihr schwierigster Restrukturierungsfall?

Sascha Haghani: Wie Sie wissen, ist es guter Brauch, in der Unternehmensberatung nicht über konkrete Projekte und Kunde zu sprechen. Es war die Sanierung einer Baumarktkette. Dummerweise hatten wir damals einen Winter, bei dem es bis in den Mai Schnee gab. Das war frustrierend. So etwas kann man nicht antizipieren. Sie können nur statistisch kalte Tage, Niederschläge oder Schnee ermitteln. Aber, wenn es dann sechs Wochen länger Schnee gibt und dadurch ein Millionenbetrag fehlt, dann ist es nicht mehr aufzuhalten.

Das heißt, der verzögerte Frühling war dafür verantwortlich, dass die Gartenbausaison zu spät angefangen hat und die Umsätze fehlen?

Sascha Haghani: Genau.

Wenn sie drei Lieferungen Stiefmütterchen und Blumen schreddern müssen, weil sie keine Frühlingssaison haben, die aber ein Drittel des Jahresgeschäfts ausmacht, können Sie sich ungefähr ausrechnen, dass man dagegen nicht ansanieren kann.

Manchmal hat man Pech. Sie haben eben auch schon die Geschichte von Roland Berger angesprochen. Ich hatte das Vergnügen, mit einigen Ihrer Kollegen aus anderen Beratungen zu sprechen in den letzten Wochen. Was mich interessieren würde, was macht den Unterschied zwischen den einzelnen Häusern aus? Ist es die Geschichte, der Methodenbaukasten oder sind es die Persönlichkeiten, die eine Sanierungsberatung prägen?

Sascha Haghani: Es gibt verschiedene Elemente, die den Unterschied verdeutlichen. Das Restrukturierungsgeschäft macht bei uns einen sehr großen Anteil des Gesamtgeschäfts aus. Zudem sind wir eine Kaderschmiede für die Sanierung. Fast alle großen Restrukturierungsunternehmen in Deutschland werden von ehemaligen Roland Berger Kollegen geführt. Das ist zwar eine Auszeichnung für uns, aber auf der anderen Seite haben wir unseren eigenen Wettbewerb aufgebaut. Das ist normal, weil wir das Thema nicht exklusiv besetzen können.

Es sind die Persönlichkeiten, die den Unterschied ausmachen.

Und die Verankerung bzw. Verlässlichkeit in der jeweiligen Industrie. Dazu gehört, in schwierigen Situationen Entscheidungen mitzutragen und zu fördern, für diese einzustehen und eine klare Meinung zu haben. Das geht zum Teil soweit, dass Sie zum Niederlegen eines Mandats bereit sein müssen, wenn Gesellschafter oder Stakeholder anderer Meinung sind.

Wir bewegen uns jetzt mittlerweile in der dritten oder vierten Beratergeneration in der Restrukturierung. Ich bin fast schon ein Dinosaurier mit meinen 28 Jahren Tätigkeit bei Roland Berger. Die meisten bleiben zwischen fünf und sieben Jahren.

Sie müssen dafür sorgen, dass es einen Kern von erfahrenen Senior-Partnern gibt, die ihr Erfahrungswissen an jüngere Kollegen weitergeben.

Die Sanierung ist ein Geschäft mit Null-Fehler-Toleranz.

Wenn man sich in der Strategie einmal vertut, dann fährt das Geschäft nicht gleich vor die Wand. Machen Sie allerdings ein Fehler in der Kalkulation, im Businessplan, in der Finanzierung oder bei einer Verhandlung, dann säuft ihnen manchmal das ganze Unternehmen ab.

Was sind die Top 3 Fähigkeiten, die man gerade im Bereich der Sanierung und Restrukturierung haben sollte?

Sascha Haghani: Ganz vorne steht: Entscheidungsfreudigkeit, eine stabile Persönlichkeit gepaart mit einem analytischen und spitzen Verstand. Ich sage immer, der rein empathische und fröhliche Mensch, auch wenn dieser hochintelligent ist, muss nicht unmittelbar geeignet sein für so einen Job, in dem der Zeitdruck hoch ist, manchmal die Fetzen fliegen und wo sie darüber hinaus auch mit "Fallen" rechnen müssen, die ihnen gestellt werden. Ihnen wird manchmal ein X für ein U verkauft – und dabei geht es häufig um sehr viel.

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Deshalb müssen sie eine stabile Persönlichkeit sein, damit sie mit solchen Themen adäquat umgehen können. Sie müssen mal Seelentröster sein, gleichzeitig müssen sie aber auch die harte Hand haben und bereit sein, sich vor 1.000 Mitarbeitern in einer Betriebsversammlung hinzustellen und zu sagen, dass leider 500 Mitarbeiter gehen müssen, weil ansonsten alle ihren Job verlieren.

Was macht die stabile Persönlichkeit aus?

Sascha Haghani: Egal welchen bekannten Restrukturierer Sie nehmen, eins ist uns gemein: Wir sind in der Sache sehr präzise. Wir sind inhaltlich in den Themen drin und fähig, eine klare Entscheidung zu treffen.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir in der Lage sind, unsere Meinung zu vertreten, ohne umzukippen.

Und zum Thema "Umkippen": Ein Berater neigt dazu, sein Fähnchen nach dem Wind zu richten.

Weil es vielleicht opportun sein oder zum guten Ton gehören mag. Der Auftraggeber formuliert schon mal so etwas wie: "Pass mal auf, ICH habe dich geholt, für dies und jenes ...".

Wir sind diejenigen, die versuchen, mit Neutralität und Stabilität Entscheidungen herbeizuführen, die sich eben auch gegen eine bestimmte Stakeholder-Gruppe richten können. Das können auch die direkten Auftraggeber sein.

Können sie weitere Erfolgsfaktoren nennen?

Sascha Haghani: Wichtig sind das strategisch richtige Denken, ein sauberes Handwerk und nicht zuletzt die Fähigkeit, Zeitdruck und Komplexität zu managen.

Stichwort Strategie: Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Das heißt finanziell, operativ und strategisch muss es ein tragfähiges Konzept geben, das nicht nur den Reparaturumfang, sondern auch die Lösungswege sehr klar definiert. Der Reparaturanteil bemisst vielleicht auf nur ein Drittel, der Rest beschreibt den Weg nach vorne, sodass wir schnell sagen können, wie wir ein Unternehmen umbauen, damit es dann im Wettbewerb wieder erfolgreich agieren kann.

Und das alles muss handwerklich sauber gemanagt werden. Im Sinne eines Liquiditätsmanagements, einer Businessplanung mit transparenten Maßnahmen und verschiedenen Szenarien. Der Job wird immer anspruchsvoller, weil Sie natürlich das komplexer werdende Stakeholder-Management sehr stark akzentuieren müssen. Was darüber hinaus immer mehr zum Thema wird, ist die Frage: Welches Geschäftsmodell erfordert welche Governance-Struktur?

Haben Sie ein Beispiel dazu?

Sascha Haghani: Man muss sich fragen, ob die Governance-Struktur mit der Größe des Unternehmens mitgewachsen ist, oder ob alles nur über den Eigentümer führt. Der alleine entscheidet und sein Aufsichtsrat, weil er aus Family & Friends besteht, dann nur das macht, was der Eigentümer will. Dadurch können sich viel größere Probleme einschleichen.

Wir glauben, dass es die Aufgabe des Restrukturiers und Sanierers ist, letztlich alle Stakeholder-Gruppen entsprechend zu managen und durchaus als Katalysator zu agieren. D.h., auch das Ausbalancieren zwischen den Stakeholder-Gruppen zu übernehmen.

Häufig macht das der CRO. Es gibt aber viele Situationen, da gibt es keinen. Da muss man es erstmal selbst tun. Das ist ein Thema, welches wir mit an den Tisch des Hauses bringen und wo wir über viele Jahre Erfahrung verfügen.

Also, der Berater im Sinne eines Mediators?

Sascha Haghani: Ja, genau. Papier ist geduldig. Sie können alles aufschreiben, aber es müssen auch alle das Commitment mitbringen. Das Commitment muss sitzen und ehrlich sein.

Dann haben wir noch die Frage für den Ausblick auf den Markt

Sascha Haghani: Ich glaube, die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens im kommenden Jahr wird den Restrukturierungsmarkt verändern. Wir haben durch ESUG auch schon

Veränderungen miterlebt. Ich will noch die Frage beantworten, ob die vorinsolvenzliche Sanierung durch ein strukturiertes Verfahren beschleunigt oder substanziell gestärkt werden kann.

Das wird so sein, gerade wenn es darum geht, größere Veränderungen vorzunehmen. Das war in der Vergangenheit immer sehr mühsam. Ich glaube auch, dass die Frage, wie weit unsere Banken in der Lage sind, bestimmte Restrukturierungssituationen sanierend oder sanierungsbegleitend zu betreuen, sehr davon abhängt, was deren Bilanzen zulassen.

Das heißt, es wird ein gewisses Trading stattfinden, wie man es im angelsächsischen Bereich erlebt, bei dem größere Kreditportfolios oder Pakete von Hedge-Fonds und entsprechende Debt-Fonds gehandelt werden. Dadurch entsteht ein Schuldnerwechsel. Was das für ein Einfluss auf die Restrukturierung hat, wird man sehen.

Last but not least, wenn man in die Restrukturierung schaut, geht es zunehmend um das richtige Konzept. Es geht aber auch um die Frage der starken und robusten Umsetzung, die nur über ein entsprechendes erfahrenes Team abgedeckt werden kann. Die Mutter aller Kompetenzen in der Restrukturierung ist die Erfahrung.

In der Strategieberatung sagt man, dass man im Alter von 55 reif ist für das Retirement oder den "Garden Leave". In der Restrukturierungsberatung hat man ab 55 erst die richtige Erfahrungskurve erreicht, um auf das nächste Level zu kommen.

Der erste Teil des Interviews "Und das ist eben das entscheidende Thema der Restrukturierer: Sie müssen unter Unsicherheit entscheiden." findet sich hier.

Sascha Haghani: Sanierung und Restrukturierung (Bild: SNFV GmbH)
Sascha Haghani: Leiter des globalen Kompetenzzentrums Restructuring, Performance, Transformation and Transaction (RPT) und Geschäftsführer DACH bei Roland Berger.

 

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