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- "In einer Restrukturierungssituation ist der aktuelle Fall auch gleichzeitig der anspruchsvollste."
Interview mit Johann Stohner, Alvarez und Marsal "In einer Restrukturierungssituation ist der aktuelle Fall auch gleichzeitig der anspruchsvollste."

CONSULTING.de: Herr Stohner, Sie sind seit vielen Jahren mit der Restrukturierung von Unternehmen beschäftigt: Was ist im Corona-Jahr 2020 anders?
Johann Stohner: Wir sehen uns mit einer Krise konfrontiert, deren Ausmaß, Intensität und Dynamik keiner von uns erlebt hat. Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur fast alle Branchen getroffen, sondern gleichzeitig zu einem weltweiten Lockdown und signifikanten Einschränkungen geführt. Das tägliche Leben ist weitestgehend zum Erliegen gekommen. Dabei sind einige Industrien, wie zum Beispiel der Tourismus und Hospitality-Sektor, besonders stark betroffen. Das ist in dieser Form für uns einmalig - mit tragischen Konsequenzen für Menschen und Unternehmen. COVID-19 war damit nicht nur Auslöser einer globalen Krise, sondern wirkte auch wie ein Brandbeschleuniger.
Mit welchem Methoden-Baukasten gehen Sie an neue Restrukturierungsfälle ran?
Johann Stohner: Die grundsätzliche Herangehensweise für eine Sanierung hat sich im Vergleich zu Zeiten vor der COVID-19-Pandemie nicht verändert. Wir stehen hier vor keinem Paradigmenwechsel in der Restrukturierung. In Deutschland warten alle Experten auf die finale Ausgestaltung der Europäischen Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen, die vermutlich Ende des ersten Quartals 2021 umgesetzt und dementsprechend für Veränderungen sorgen wird. Aktuell sind viele Staaten noch im Krisenbewältigungsmodus und nutzen die in dem jeweiligen nationalem Recht verankerten Instrumente. In Deutschland beinhaltet dies spezifische Sonderregelungen wie zum Beispiel die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die in abgeschwächter Form bis Ende des Jahres verlängert wird. Ein besonderer Fokus liegt außerdem auf der Vergabe von KfW-Krediten, staatlichen Bürgschaften und den Hilfen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Zudem haben wir zum Beispiel Stundungsmöglichkeiten für Steuerschulden sowie das Kurzarbeitergeld eingesetzt. Diese Instrumente sind aber ganz klar nur kurzfristige Lösungen, die uns dabei helfen Zeit zu gewinnen. Darüber hinaus ist die leistungswirtschaftliche Sanierung gerade in diesen unsicheren Zeiten unabdingbar: Fixkosten müssen reduziert und die Kostenbasis insgesamt variabler gestaltet werden. Zudem ist die Stärkung der Innenfinanzierungskraft durch rigides Working-Capital-Management unerlässlich. An all diesen Themen hat sich grundsätzlich nichts geändert.
In welchen Fällen lehnen Sie einen Restrukturierungsfall von vorneherein ab?
Johann Stohner: Grundsätzlich lehnen wir bei Alvarez & Marsal kein Mandat per se ab, nur weil eine extrem schwierige Ausgangssituation vorliegt. Ganz im Gegenteil sind wir dafür bekannt, dass wir auch in komplexen Fällen Leadership zeigen und tragfähige Lösungen durch innovative Konzepte, effektive Umsetzung und geschickte Verhandlungen finden. Damit maximieren wir für unsere Kunden ihren Unternehmenswert und minimieren die Risiken für alle Stakeholder.
Wir nehmen allerdings keine Fälle an, wenn wir uns mit dem potentiellen Kunden nicht auf eine gemeinsame Zielsetzung und die hierfür erforderlich Herangehensweise einigen können. Hier verliert der Kunde Zeit, die man in einer Restrukturierungsphase bekanntlich nicht hat. Komplexität ist für uns kein Problem, denn selbst in fortgeschrittenen Krisensituationen, wie bei einer stillen Liquidation oder einer Insolvenz, können wir immer noch Risiken begrenzen, Reputationsschäden vermeiden und Mehrwert schaffen.
Es gibt verschiedene Handlungsoptionen im Rahmen einer Restrukturierung. Wie schnell ist Ihnen klar, welcher Weg einzuschlagen ist?
Johann Stohner: Das kann man nicht pauschal beantworten, denn jeder Fall ist individuell. Im Rahmen eines Options Reviews („fix it, sell it, close it“) lassen sich - je nach Größe und Komplexität des Unternehmens sowie abhängig von der Qualität des Datenmaterials - bereits nach wenigen Wochen konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Letztendlich beantworten wir die Frage, wie schnell gehandelt werden muss, abhängig von der Notwendigkeit und dem Bedarf des Kunden. Bis wann müssen Entscheidungen getroffen werden, um in einer Restrukturierungssituation zu Lösungen zu kommen? Überlagert wird dies oftmals durch akute Liquiditätsprobleme. Befindet sich ein Unternehmen zum Beispiel in der Insolvenzantragspflicht und es ist, bildlich gesehen, schon fünf nach zwölf, dann müssen wir versuchen, die Uhr wieder auf fünf vor zwölf zu stellen. Wir müssen zuerst feststellen, in welcher Krisenphase sich das Unternehmen befindet – liegt eine strategische Krise, eine Ertragskrise oder eine akute Liquiditätskrise vor? Dabei ist es besonders wichtig, sich Zeit zu verschaffen. Die Bewertung der Liquiditätssituation muss am ersten Tag angegangen werden. Nur so können wir innerhalb kürzester Zeit Transparenz schaffen, Sofortmaßnahmen identifizieren und Handlungsspielräume erarbeiten.
Wenn die Wahl auf die Liquidation eines Unternehmens fällt, was ist bei der Vorbereitung und Durchführung der Liquidation operativ besonders zu beachten?
Johann Stohner: Gründe für eine Liquidation können sehr unterschiedlich sein und bestimmen wesentlich die Stoßrichtung und den verbleibenden Handlungsspielraum. Geht es darum, sich aus einem bestimmten Markt oder Produktbereich zurückzuziehen oder einen Produktionsstandort zu schließen und die dazugehörigen Gesellschaften zu liquidieren? Von ganz entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf ist es, ob die Liquidation „Out-of-Court“ (Stille Liquidation) oder im Rahmen eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens erfolgen soll. Eine stille Liquidation ist zwar im Regelfall teurer, bietet aber zwei wesentliche Vorteile. Zum ersten bleibt das Unternehmen vollumfänglich Herr des Verfahrens. Das Unternehmen ist der finale Entscheidungsträger und legt fest, was zu welchem Zeitpunkt in welcher Form gemacht wird. Diese Entscheidung trägt in diesem Fall kein Gericht oder Insolvenzverwalter wie bei einer Insolvenz. Zweitens sind die potentiellen Reputationsschäden anders gelagert. Doch unabhängig vom eigentlichen Anlass sollte zu Projektbeginn immer eine ausführliche Validierungs-, Planungs- und Konzeptentwicklungsphase mit einem Liquidationsplan als Grundlage vorangehen.
Wie sieht ein Liquidationsplan klassischerweise aus?
Johann Stohner: Ein Liquidationsplan „Out-of-Court“ sollte mit hoher Detailgenauigkeit aufzeigen, welche Aufgaben angegangen werden müssen. Dabei reichen die Themen von trivialen Sachverhalten wie der Kündigung bestehender Verträge bis zur komplexen Übertragung von weiterhin bestehenden Kundenbeziehungen auf dritte Parteien. Zudem ist auch die Planung der notwendigen Ressourcen und die Vergabe von Verantwortlichkeiten zur Erledigung dieser Aufgaben notwendig. Zusätzlich muss der Liquidationsplan die finanziellen Implikationen der Liquidation darstellen. Dabei ist eine liquiditätsorientierte Perspektive entscheidend. Die Maßnahmen auf einer Zeitleiste abzubilden und frühzeitig einzuschätzen, ist dabei ausschlaggebend. Kurz gesagt: Wer macht was bis wann? Was kosten die einzelnen Schritte und zu welchem Zeitpunkt muss das Geld zur Verfügung stehen?
Was sind gängige Fehler bei der Liquidation? Auf was sollte man besonders achten?
Johann Stohner: Häufig machen sich die Verantwortlichen im Vorfeld schlichtweg zu wenig Gedanken. Wir erleben oft, dass der Validierungs-, Planungs- und Konzepthase nicht die erforderliche Aufmerksamkeit eingeräumt wird. Dabei spielt die konsistente und rechtzeitige Kommunikation an Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Geschwindigkeit ist zwar wichtig, allerdings nicht auf Kosten eines durchdachten Plans. Reiner Aktionismus ohne Abwägung der bestehenden Optionen sowie der Auswirkungen ist nicht zielführend. Außerdem treffen wir immer wieder auf überholte Liquidationspläne, die nicht aktualisiert wurden. Eine gängige Kontroverse bei stillen Liquidationen ist ebenfalls, ob Ausschüttungen an Eigentümer stattfinden sollen, bevor die Liquidation formell beendet wurde. Dies sollte auf soliden Abschätzungen beruhen, ob liquide Mittel frei verfügbar sind und ausgeschüttet werden können. Dies ist relativ einfach festzustellen, insofern Zahlungen feststehen und somit gut abschätzbar sind. Es gibt allerdings auch schwer prognostizierbare Sachverhalte, die eine Ausschüttungsplanung erschweren. Eine stille Liquidation ist ein äußerst komplexes Thema und erfordert das Knowhow von Experten.
Welche Themen werden gerne übersehen bei einer Liquidation?
Johann Stohner: Es wird immer wieder in vielen Situationen unterschätzt, dass ein signifikantes Insolvenzrisiko besteht – auch bei einer stillen Liquidation. Oft werden Sonderthemen nicht genug Raum eingeräumt, besonders wenn diese schwer planbar sind. Dazu gehören unter anderem rechtliche Auseinandersetzungen, steuerliche Sachverhalte, Betriebsprüfungen oder der Umgang mit Pensionsverpflichtungen. Bei konzerninternen Transaktionen, wie zum Beispiel bei Verkäufen von Vermögensgegenstände an Konzerngesellschaften, sollte ein Unternehmen darauf achten, dass diese einem Drittvergleich standhalten. Dies ist besonders für das Management von Bedeutung, da im Falle einer ungeplanten Insolvenz nicht der Vorwurf der aktiven Vermögensminderung entstehen sollte. Daher ist es ratsam, dass ein geeigneter Sachverständiger die Bewertung der Vermögensgegenstände vornimmt.
Ein Unternehmen zu liquidieren hat diverse Risiken für die verschiedenen Stakeholdergruppen: Welche Risiken sollte man besonders im Blick haben?
Johann Stohner: Nehmen wir als erstes den Gesellschafter, der die Entscheidung über eine Schließung fällt. Hier sind die größten Risiken vor allem mögliche Reputationsprobleme und die finanzielle Belastung. Für die verbleibenden Unternehmensbereiche, sei es auf internationaler oder nationaler Ebene, ist es wichtig, dass die negativen Implikationen für das verbleibende Geschäft minimiert werden. Im Wege einer Liquidation kann es natürlich immer wieder zu Situationen kommen, in denen sich Rechtsstreitigkeiten zuspitzen oder neu auftreten - mit entsprechender Auswirkung auf den Finanzmittelbedarf. Insofern muss der Liquidationsplan permanent validiert und aktualisiert werden. Dabei sollte die Geschäftsführung die Liquiditätssituation überwachen und sicherstellen, dass ausreichend Mittel für die Liquidation der Gesellschaft vorhanden sind und keine Insolvenztatbestände vorliegen.
Wie kann man es schaffen, dass man wesentliche Mitarbeiter nicht verliert, auch wenn das Unternehmen liquidiert wird?
Johann Stohner: Wichtig ist auf jeden Fall eine transparente und professionelle Kommunikation. Die Mitarbeiter müssen erfahren, warum sich das Unternehmen zu diesem Schritt entschlossen hat, was die nächsten Schritte sind und was das konkret für sie bedeutet. Das sorgt im ersten Moment für Frustrationen, mangelnde Motivation oder sogar für einen Schock seitens der Mitarbeiter. Umso mehr geht es um schnelles Handeln: die Verantwortlichen dürfen keine Zeit verlieren und müssen Probleme sorgfältig, aber auch pragmatisch managen. Als sehr hilfreich hat sich erwiesen, wichtige Mitarbeiter durch entsprechende Motivationsprämien zu halten.
Was war bislang Ihr schwierigster Restrukturierungsfall? Was hat den Fall besonders herausfordernd gemacht?
Johann Stohner: In einem Sportwettkampf ist der bevorstehende Gegner immer der schwerste. So ist in einer Restrukturierung der aktuelle Fall auch gleichzeitig der anspruchsvollste. Vor kurzem war ich Chief Transformation Officer und Mitglied des Vorstands bei VAPIANO, einem börsennotierten Unternehmen in der Systemgastronomie mit mehr als 7.000 Mitarbeitern und 235 Restaurants in 33 Ländern. Dieser Fall war aufgrund der komplexen Gesellschafter- und Finanzierungsstruktur herausfordernd und bekam wegen der COVID-19-Implikationen eine besondere Brisanz. Wir befanden uns in den letzten Zügen einer erfolgreichen Refinanzierung, die mit den entsprechenden Stakeholdern erarbeitet wurde. Doch dann musste VAPIANO, bedingt durch COVID-19, innerhalb von wenigen Tagen alle Lokale schließen. Die finanzielle Situation des Unternehmens hatte sich komplett geändert. Die wochenlange Schließung der Restaurants, der höhere Finanzierungsbedarf, die absolute Unsicherheit über den weiteren COVID-19-Verlauf und die damit völlig unklaren Auswirkungen auf den Restaurantbetrieb führten letztlich dazu, dass die im Detail ausgearbeitete Lösung leider nicht zum Tragen kam und das Unternehmen in die Insolvenz ging. Meine Enttäuschung hierüber ist immer noch groß und ich bedauere es besonders für die Mitarbeiter und Geschäftspartner, die auf einen glücklichen Ausgang vertraut hatten.
Wie zuversichtlich schauen Sie als Managing Director eines Restrukturierungsspezialisten in das nächste Geschäftsjahr? Anders gefragt: Wie sieht die Nachfrage aktuell nach ihrer Dienstleistung aus?
Johann Stohner: Was das Restrukturierungsgeschäft betrifft sind wir sehr zuversichtlich. Alvarez & Marsal befand sich schon vor COVID-19 auf Wachstumskurs. Hier hilft uns insbesondere die Kombination aus klassischer Beraterarbeit mit schneller Transparenzschaffung und kreativen Sanierungskonzepten sowie unsere Bereitschaft, in einer Krisensituation Verantwortung zu übernehmen und in einer Interim-Management-Position eine Restrukturierung maßgeblich zu steuern. Die Nachfrage nach unserer Expertise steigt stetig und wir gehen davon aus, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird. Aus diesem Grund bauen wir unsere Kapazitäten kontinuierlich aus und freuen uns auf einige Neuzugänge, die in den nächsten Monaten unser Team verstärken werden.
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